Frankfurt in der Krise: Zwietracht statt Eintracht - der Pokal als letzte Chance

Von Justin Kraft
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Eintracht Frankfurt steht vor einem wichtigen Spiel. Im DFB-Pokal muss das Team von Oliver Glasner in Stuttgart ins Finale einziehen, um die Saison doch noch retten zu können. Doch den Blick auf das Wesentliche sollte auch das nicht verändern. Zu viel ist in den letzten Monaten passiert. Eine Analyse.

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Seit Monaten spricht Oliver Glasner davon, dass er davon ausgehe, in der nächsten Saison auf der Trainerbank von Eintracht Frankfurt zu sitzen. Seit Monaten gibt es keinen Vollzug bei den Vertragsgesprächen. "Geht mal davon aus, dass ich im nächsten Jahr hier noch Trainer bin", sagte er erst im April.

Nun berichtete Sport1, dass sein "Zocken" um eine Verlängerung sowie die ständigen Sticheleien in Richtung Sportvorstand Markus Krösche bei der Vereinsführung und den Spielern nicht gut angekommen sei. Angeblich habe er bereits Teile der Kabine verloren.

Es kriselt bei der SGE und die Gründe dafür sind vielschichtig.

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Eintracht Frankfurt: Die aktuelle Situation

Neun Siege, vier Remis, vier Niederlagen - nach 17 Spieltagen stand Eintracht Frankfurt auf dem vierten Platz der Bundesliga. Nur fünf Punkte hinter den Bayern, denen sie am 18. Spieltag einen Punkt abringen konnten. Was dann folgte, war ein großer Absturz.

In der Rückrundentabelle steht die Eintracht auf Platz 15. Aus 13 Partien holten sie lediglich zwei Siege und zwölf Punkte. Erzielte die SGE in der Hinrunde noch 2,1 Tore pro Bundesliga-Partie, sind es jetzt nur noch 1,1. Auch defensiv kassiert das Team von Oliver Glasner mittlerweile 1,6 Tore pro Spiel statt zuvor 1,5.

Der Blick auf den neunten Platz in der Tabelle lässt wenig Hoffnungen zu, dass die fünf Punkte Rückstand auf den sechsten Rang noch aufgeholt werden. Zumal Frankfurt unter den Kontrahenten das formschwächste Team ist. Dass man in der Champions League gegen die SSC Neapel ausschied, ist für sich genommen wenig dramatisch. Aber auch da war die Art und Weise durchaus überraschend. Frankfurt hatte fast nichts entgegenzusetzen.

Und so steht die Eintracht nach einer guten Hinrunde vor einem Scherbenhaufen. Die Einzelteile zusammenzukehren, erscheint alles andere als einfach.

BVB, Borussia Dortmund, Daichi Kamada, Eintracht Frankfurt, Julian Rijkhoff, Niklas Süle
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Eintracht Frankfurt: Zu viele Lame Ducks in der Mannschaft?

Ein Grund für den Absturz dürfte sein, dass viele Spieler unterperformen. Allen voran Schlüsselspieler wie Daichi Kamada oder Mario Götze, die in der Hinrunde noch für viele Offensivaktionen der Frankfurter mitverantwortlich waren, jetzt aber deutlich abgebaut haben. Das Spiel der SGE hat an Dynamik und an Punch verloren.

Vieles wirkt vorhersehbar, einstudierten Abläufen fehlt es mindestens an Nuancen in der Präzision. Hier ein Pass in den Rücken, da ein Ball, der bei der Annahme verspringt und im Gegenpressing ein halber Meter, der für eine erfolgreiche Rückeroberung fehlt - die Formdellen auf individueller Ebene haben direkte Auswirkungen auf den Erfolg der taktischen Ausrichtung.

Wie bei anderen Teams könnte die lange Winterpause inklusive der Winter-Weltmeisterschaft eine Rolle spielen. Insbesondere Kamada wirkte nach einem für ihn unglücklich verlaufenen Turnier unzufrieden. Hinzu kommt bei einigen aber auch die ungeklärte Zukunft. Erst seit wenigen Wochen steht fest, dass Kamada Frankfurt verlässt, zuvor gab es viele Spekulationen.

Auch bei Randal Kolo Muani ist unklar, was im Sommer passiert. Viele Topklubs umwerben den Angreifer. Und dann sind da Spieler, die mit ihrer Rolle unzufrieden sind. Beispielsweise Rafael Borré, dessen Berater im Februar ankündigte, sich "natürlich Gedanken machen" zu wollen. Es scheint, als wäre das Team voller Lame Ducks, die aus jeweils sehr unterschiedlichen Gründen nicht mehr an ihre Form herankommen.

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Eintracht Frankfurt: Rhythmus wurde durch Verletzungen unterbrochen

Zur Wahrheit gehört darüber hinaus, dass Frankfurt mitunter die Spieler ausgingen, um in der entscheidenden Saisonphase Rhythmus aufzunehmen. Die schwere Verletzung von Jesper Lindström dünnte die Alternativen in der Offensive aus, in der Defensive musste Glasner die Verletzung von Hrvoje Smolcic hinnehmen. Auch die Ausfälle von Evan Ndicka, Philipp Max und Kristijan Jakic taten weh.

Glasner musste vor allem in der Abwehr immer wieder umstellen, fand aber keine Grundordnung, die das von Misserfolg zu Misserfolg verunsichertere Team stabiliseren konnte.

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Eintracht Frankfurt: Der Trainer verliert seinen Glanz

Insofern muss Kritik am Trainer auch differenziert werden. Nicht für alles, was in diesem Jahr nicht läuft, kann Glasner verantwortlich gemacht werden. Lange Zeit sah es in der Hinrunde so aus, als könne er dem Team endlich seinen Stempel aufdrücken. Das mag angesichts des Erfolgs in der Europa League eine zunächst fragwürdige These sein. Doch tatsächlich schien sich die SGE fußballerisch nochmal deutlich weiterzuentwickeln.

Glasner, der bei all seinen Stationen für einen sehr ruhigen und gepflegten Ballbesitzfußball stand, und Frankfurt, das seit Jahren einen aggressiven, temporeichen und auf Umschaltsituationen ausgelegten Fußball spielt - das schien zunächst nicht zu passen. Doch der Österreicher näherte sich an, fand einen guten Kompromiss aus den vorhandenen Stärken des Teams und seiner eigenen Philosophie. Frankfurt wurde auch durch die Verpflichtung von Götze nochmal stärker in eigenem Ballbesitz.

All das ist in der Rückrunde verpufft. Womöglich auch deshalb, weil Glasner auf die Ausfälle und Formdellen seiner Schlüsselspieler nicht taktisch reagieren konnte. Seit Wochen spielt die Eintracht in derselben Grundformation, rotiert wird eher moderat. Sicher gehört die Diskussion über die Problemstellen des Kaders zur Problemanalyse dazu. Andererseits wiederholen sich die Fehler auf taktischer Ebene ständig.

Ein gutes Beispiel ist der Sechserraum. Sebastian Rode und Djibril Sow lassen sich dort zu oft aus ihren Positionen ziehen. Dass sie grundsätzlich gute Zweikämpfer sind, steht nicht zur Debatte. Doch der Raum zwischen der Abwehr- und der Mittelfeldkette ist meist zu groß. Vor allem die deutliche Niederlage gegen den BVB (0:4) offenbarte diese Schwachstelle. Von einem Trainer dieser Qualität ist zu erwarten, dass er überdurchschnittlich guten Spielern wie Sow oder Rode einen guten Rahmen bieten kann, um mit ihnen die Defensive kompakter zu halten.

Die Kritik an Glasner ist wohl auch deshalb größer geworden. Und ganz entziehen kann er sich dieser nicht. Zumal schon in der vergangenen Saison eine Rückrunde in der Bundesliga nahezu leichtfertig hergegeben wurde - damals noch unter dem Deckmantel der erfolgreichen Europa-League-Saison.

Markus Krösche
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Eintracht Frankfurt: Uneinigkeit auf und neben dem Platz

So wie Glasner direkten Einfluss auf die Mannschaft hat, haben die Geschehnisse eine Ebene über dem Trainer aber auch Auswirkungen auf dessen Arbeit. Zwar betonte Glasner noch im März bei DAZN, dass es "eine hervorragende Zusammenarbeit" mit Markus Krösche sei, doch die Gerüchte häuften sich, dass das Verhältnis zwischen den beiden nicht optimal sein soll.

Im Interview mit Sky erhöhte der Sportvorstand zuletzt nochmal den Druck: "Jetzt geht es nicht mehr darum, dass wir die Themen besprechen, sondern dass wir auf dem Platz handeln. Dazu müssen jetzt alle einen Schritt mehr machen als wir es in den vergangenen Wochen gemacht haben: das Trainer-Team muss gute Entscheidungen treffen, die Spieler müssen ihre Leistung bringen." Man habe eine "hervorragende Ausgangssituation" verspielt.

Nach dem Unentschieden gegen den FC Augsburg legte Krösche bei Sky sogar nochmal nach: "Wenn man die Leistung heute sieht, muss man sagen, dass wir es nicht begriffen haben. Wir müssen das heutige Spiel mit aller Macht gewinnen und das haben wir nicht getan." Dafür erntete er Widerspruch von Kevin Trapp. "Ich widerspreche ungerne meinem Chef, aber ich weiß, dass wir in der Mannschaft sicherlich wissen, um was es geht", erklärte der Torhüter.

Es ist diese Art der Uneinigkeit, die die letzten Wochen immer präsent war - auf und neben dem Platz. Auch die Geschichten rund um Präsident Peter Fischer beruhigten die Lage nicht. Gegen ihn wurde wegen des Verdachts des Erwerbs und Besitzes von Kokain ermittelt. Nach den laut der Staatsanwaltschaft zunächst glaubhaften und umfangreichen Zeugenaussagen wurde das Verfahren allerdings eingestellt, weil die Anschuldigungen nicht erhärtet werden konnten.

Unruhe, Uneinigkeit und eine offene Zukunft bei zu vielen Protagonisten - die Situation der Eintracht ist kompliziert. Und sie umfasst deutlich mehr Aspekte als den rein sportlichen.

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Eintracht Frankfurt: DFB-Pokal ist die letzte Chance

Trotzdem könnte es am Ende der Saison wieder etwas zu feiern geben. Wieder gibt es einen Pokalwettbewerb, der für vieles entschädigen würde, wenn die Eintracht ihn gewinnt. Im DFB-Pokal müssen die Frankfurter nach Stuttgart. Bei einem etwaigen Finaleinzug würde man auf RB Leipzig treffen, das sein Duell mit dem SC Freiburg am Dienstagabend eindrucksvoll gewann.

Es ist nicht nur der vermutlich letzte Weg nach Europa, es ist eben auch die Chance, vieles von der Unruhe, die zuletzt produziert wurde, zu überdecken. Die Frage, die man sich intern allerdings stellen muss, ist, ob das ein nachhaltiger Weg ist.

Zwar mag Frankfurt eine der stärksten Pokalmannschaften der letzten Jahre sein. Doch das Alltagsgeschäft ist die Bundesliga. Der elfte Platz der vergangenen Saison und der sich abermals andeutende Mittelfeldplatz in dieser sind für die Ansprüche der SGE einfach zu wenig. Auch unter Glasner kehrte keine Konstanz ein. Das gilt es im Sommer auf vielen Ebenen zu hinterfragen - auch wenn womöglich eine Pokal-Party diesen Prozess unterbrechen könnte.

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