Diese Neuerfindung könnte eine Ära prägen: Kommentar zu Spaniens EM-Sieg

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Spanien 2024 zählt zu den verdientesten Europameistern der Geschichte. Neu erfunden, eilte die Mannschaft von Nationaltrainer Luis de la Fuente zu beeindruckenden Bestmarken und könnte nun eine Ära prägen. Ein Kommentar.

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Zunächst einmal zum Fußball-Land Spanien ganz generell, dieser unfassbaren Sieges-Maschine. In Berlin hat sich zum 27. Mal hintereinander bei einem großen Endspiel mit spanischer Beteiligung diese spanische Beteiligung durchgesetzt. Zum 27. Mal hintereinander. Unfassbar. Die letzte Pleite - abgesehen von innerspanischen Duellen - datiert vom Champions-League-Finale 2001, als der FC Valencia gegen den FC Bayern München verloren hat.

Nach dem Finalsieg von Berlin gegen England ist Spanien mit vier Titeln nun auch Rekord-Europameister. 1964 gelang ein erster Triumph, 2008 und 2012 folgten zwei weitere. Gekrönt vom WM-Titel 2010 bilden sie die goldene Ära des spanischen Fußballs. Tiki-Taka nach Prägung von Pep Guardiolas FC Barcelona. Ein Pässchen hier, ein Pässchen da. Alles für den Ballbesitz! In der Startelf vom Finale 2012 standen mit Sergio Busquets, Xabi Alonso, Xavi, Andres Iniesta, Cesc Fabregas und David Silva sechs zentrale Mittelfeldspieler.

Auf die goldene Ära folgten ein schleichender Niedergang und dann die Revolution. Nationaltrainer Luis de la Fuente hat die spanische Nationalmannschaft seit seinem Amtsantritt Anfang 2023 fußballerisch neu erfunden.

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Spanien könnte wieder eine Ära prägen

Das Prunkstück der jetzigen Auswahl ist zwar ebenfalls das Mittelfeld um den Spieler des Turniers Rodri, den geteilten Torschützenkönig Dani Olmo sowie Fabián Ruiz. Im Vergleich zu ihren Vorgängern spielen sie aber deutlich vertikaler und zielstrebiger, gerne auch mal lang und diagonal.

Die größte Neuerung im Vergleich zu damals findet sich auf den Flügeln. Erstens: sie existieren. Zweitens: und wie! Die Dribbler Lamine Yamal (17) und Nico Williams (22) sorgten bei dieser EM für ein unvergleichliches Spektakel. Sie gingen als Talente ins Turnier, sie verlassen es als Stars. Bezeichnend, dass ausgerechnet die beiden Jungstars im Zusammenspiel für die spanische Führung im Finale gegen England sorgten.

Einen Tag nach seinem 17. Geburtstag löste Yamal den großen Pele erst als jüngsten Spieler in einem großen Finale ab, dann als jüngsten Torschützen und schließlich als jüngsten Sieger. Yamal und sein kongenialer Partner Williams sind einerseits die Helden des Triumphs von 2024, gleichzeitig aber auch ein Versprechen für eine goldene Zukunft des spanischen Fußballs.

Dieser Mannschaft ist es zuzutrauen, eine Ära zu prägen wie ihre berühmten Vorgänger. Mit Aymeric Laporte (30), Alvaro Morata (31) und Dani Carvajal (32) waren nur drei Spieler der Final-Startelf (knapp) über 30 Jahre alt. Zudem stehen weitere herausragende Talente bereit, die beiden verletzten Mittelfeldspieler Pedri und Gavi etwa oder die Verteidiger Pau Cubarsi und Balde.

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Was Spaniens Titelgewinn so besonders macht

Schwierig werden dürfte es aber, nochmal einen Titelgewinn mit ähnlicher Dominanz hinzulegen wie bei dieser EM. Obwohl die Spanier in der Gruppenphase auf den WM-Dritten Kroatien und den Titelverteidiger Italien trafen und sich dann durch die deutlich hochkarätigere Turnierseite kämpfen mussten, gewannen sie, obgleich gegen Deutschland nur glücklich in der Verlängerung, sämtliche sieben Spiele. Unbefleckt war zuvor letztmals Frankreich 1984 durch eine EM marschiert, damals brauchte es dafür aber nur fünf Siege. 15 Treffer sind unterdessen Allzeit-Rekord. Spanien ist ein hochverdienter Sieger, anders als die beiden letzten Titelträger Italien und Portugal.

Die Dominanz dieser spanischen Mannschaft bei der EM machte auch ihre Fähigkeit aus, bittere Rückschläge zu kontern. Im Viertelfinale gegen Deutschland kassierte Spanien kurz vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich und traf letztlich spät in der Verlängerung zum Sieg. Kein Gegner war so nah dran am spanischen Sturz wie Deutschland, was das Abschneiden von Julian Nagelsmanns Mannschaft im Nachhinein noch besser erscheinen lässt. Im Halbfinale gegen Frankreich geriet Spanien in Rückstand, drehte das Spiel aber unbeeindruckt innerhalb kürzester Zeit. Im Endspiel gelang erneut der Konter nach einem Ausgleich.

Die spielerisch enttäuschenden Engländer hatte sich im Laufe des Turniers zu Comeback-Experten gemausert. In sämtlichen K.o.-Spielen verwandelte die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate auch dank ihrer individuellen Klasse Rückstände in Siege, wurde deshalb bisweilen schon als Real Madrid des Verbands-Fußballs gefeiert. Mit einer derartigen Mentalität verantwortete das echte Real bekanntlich etliche der 27 spanischen Final-Triumphe in Serie. Endstation war für das falsche Real bei der EM erst gegen das neuerfundene Spanien.