England hat es wieder getan! Jetzt muss eine Fußball-Weisheit umgeschrieben werden

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Einst spezialisiert auf tragisches Scheitern, schaffte es England dank beeindruckender Comeback- und Elfmeter-Qualitäten ins EM-Finale. Der Triumph gegen die Niederlande dient als Paradebeispiel für die neugewonnene Nervenstärke. Endspiel-Gegner Spanien sollte gewarnt sein.

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"Fußball ist ein einfaches Spiel", sprach die englische Fußball-Ikone Gary Lineker einst legendär. "22 Männer laufen 90 Minuten lang einem Ball hinterher und am Ende gewinnt immer Deutschland." Diese These ist längst überholt, Deutschland gewinnt bekanntlich nicht mehr immer. Nachdem England den ewigen Rivalen bei der EM 2021 ausgeschaltet hatte, legte Lineker sein legendäres Zitat höchstselbst via Twitter "ins Bett" und schrieb: "Ruhe in Frieden."

Mittlerweile hätte die Weisheit in abgewandelter Form ein Comeback verdient. Bezogen nur nicht auf Deutschland, sondern ausgerechnet auf Linekers Heimat England - einst spezialisiert auf dramatisches Scheitern, mit Vorliebe im Elfmeterschießen. Alles Vergangenheit! Gegen die Niederlande drehte die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate im dritten K.o.-Spiel dieser EM zum dritten Mal einen Rückstand und steht somit im Finale. Jetzt fehlt nur noch die Krönung gegen Spanien am Sonntag in Berlin.

Nie zuvor erreichte eine Nation das EM-Finale, nachdem sie in allen K.-o.-Runden zurück gelegen hatte. Gegen die Slowakei rettete Jude Bellingham England zunächst mit einem Fallrückzieher in die Verlängerung, in der dann Harry Kane zur Entscheidung traf. Im Viertelfinale gegen die Schweiz egalisierte Bukayo Saka zehn Minuten vor Schluss einen Rückstand. Nach einer torlosen Verlängerung setzte sich England schließlich in einem perfekten Elfmeterschießen durch. Und nun gegen die Niederlande traf erst Kane vom Punkt zum 1:1, ehe Joker Ollie Watkins in Minute 90 das 2:1 erzielte.

Seine Mannschaft zeichne ein ganz besonderer "bounce-back factor" aus, lobte Siegtorschütze Watkins anschließend. Eine würdige deutsche Übersetzung dieser wunderbaren englischen Formulierung gibt es nicht, man könnte von "Comeback-Qualität" sprechen. "In Rückstand zu geraten, scheint uns erst in die richtige Spur zu bringen", erklärte Watkins.

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"Ruhiger als früher": Gareth Southgate lobt "Charakter" seiner Mannschaft

Aufgrund der exquisit besetzten Offensivabteilung um Kane, Bellingham, Saka und Phil Foden war England als einer der Topfavoriten ins Turnier gestartet. Diese Rolle mussten die Three Lions aber spätestens nach einer desillusionierenden Gruppenphase wieder abgeben. Es mangelte an flüssigen Kombinationen genau wie an Toren, dafür gab es reichlich Kritik an Trainer Southgate und dessen langweiliger Spielweise. Mit nur einem Sieg und einem Torverhältnis von 2:1 quälte sich England in die K.o.-Phase.

Dort setzte sich die spielerische Misere zwar fort, England gewann aber Spiel um Spiel. Irgendwie. Spät. Ganz spät. Im Elfmeterschießen. So wie früher halt die Deutschen. Worauf das zurückzuführen sei, wurde Southgate nach dem Sieg gegen die Niederlande, als England wenigstens in der ersten Halbzeit spielerisch überzeugte, gefragt.

"Charakter", sagte er. Charakter und Erfahrung. "Wir gehen K.-o.-Spiele jetzt ruhiger an als früher. Vor unserem ersten gemeinsamen K.-o.-Spiel bei der WM in Russland hatten wir zehn Jahre lang keines gewonnen. Wir hatten keine Erfahrung. Seitdem haben wir aber oft gewonnen und sind deshalb viel besser vorbereitet."

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England unter Gareth Southgate: Konstant erfolgreich wie nie zuvor

Southgate übernahm den Trainerposten 2016 und implementierte seitdem zwar keine besondere Spiel-, dafür aber eine beeindruckende Gewinner-Kultur. Noch nie in der Geschichte schnitt England konstant so erfolgreich ab wie unter Southgate. Nicht einmal um den bis dato einzigen großen Titel bei der WM 1966 oder in den 1990er-Jahren mit den zwei Halbfinal-Teilnahmen.

Mit Southgate ging es bei der WM 2018 direkt ins Halbfinale. 2021 verlor England das EM-Finale erst im Elfmeterschießen gegen Italien. Auf das Viertelfinal-Aus 2022 in Katar folgte nun die neuerliche EM-Final-Teilnahme, Englands überhaupt erste außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Als einzige Mannschaft Europas stand England bei der laufenden EM und den drei vorangegangenen Turnieren mindestens im Viertelfinale. Die Frage lautet einzig: trotz oder wegen Southgate?

Personell setzt Southgate auf Kontinuität, sowohl kurz- als auch langfristig. Im Laufe dieser EM rotierte er lediglich auf der Doppelsechs neben Declan Rice. Nach enttäuschenden Auftritten von Trent Alexander-Arnold und Conor Gallagher etablierte sich mittlerweile der erst 19-jährige Kobbie Mainoo von Manchester United. Gleichzeitig gehören fünf Spieler der Startelf an, die schon bei der Halbfinal-Pleite gegen Kroatien 2018 auf dem Platz standen: Keeper Jordan Pickford, die Verteidiger John Stones und Kyle Walker, Außenbahnspieler Kieran Trippier und Torjäger Harry Kane.

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"Elfmeter-Taskforce": Gareth Southgate bekämpft das nationale Trauma

Mit seinem souverän verwandelten Elfmeter zum 1:1 gegen die Niederlande hatte der zuletzt viel kritisierte Kane entscheidenden Anteil am Final-Einzug. Elfmeter sind mittlerweile keine Schwäche der Engländer mehr, sondern eine Stärke. Beim erfolgreichen Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen die Schweiz trafen sämtliche fünf Schützen, dazu hielt Pickford den Versuch von Manuel Akanji.

Speziell seit dem vom Punkt verlorenen EM-Finale von 2021 betreibt Southgate großen Aufwand, um das nationale Trauma zu bekämpfen. Laut Geir Jordet, Sportpsychologe und Elfmeter-Experte, habe Southgate extra "eine Elfmeter-Taskforce" gegründet und nach "einem wissenschaftlichen Ansatz" zur Problemlösung gesucht. Taskforce-Leiter Chris Markham habe ihn um Ratschläge gefragt, berichtete Jordet im Interview mit der FAZ. "Ich habe ihm gesagt, dass es vor allem auf eines ankommt: Kontrolle."

Beim Elfmeterschießen gegen die Schweiz wurden einige Maßnahmen offensichtlich. Auf Pickfords Flasche waren Hinweise zu den Schützen angebracht. Etwa "Akanji - dive left", es sollte sich lohnen. Dazu setzte England auf ein sogenanntes "Buddy-Konzept". Dabei bekommt jeder Schütze einen Buddy zugeteilt, der ihm im Vorfeld persönlich Mut zuspricht. So will Southgate hochtrabende Ansprachen im großen Kreis vor allen Spielern und Staff-Mitgliedern vermeiden und Druck von den Schützen nehmen.

Spanien gilt im Finale am Sonntag zwar als Favorit, nicht nur Southgate erachtet den Deutschland-Bezwinger als "bestes Team im Turnier". Mit den neugewonnenen Comeback- und Elfmeter-Qualitäten, gepaart mit der irrsinnigen individuellen Klasse und Erfahrung ist England aber ein maximal unangenehmer Gegner. Letztmals trafen die beiden Nationen übrigens im Viertelfinale der EM 1996 aufeinander. Damals gewann England im Elfmeterschießen - es sollte der einzige Sieg auf diesem Weg bei einem EM-Spiel bis zum diesjährigen Viertelfinale gegen die Schweiz bleiben.