1983 in einem Box-Gym in Riverside bei Los Angeles. Auf dem Arm seines Vaters schlägt ein zweijähriger Knirps unermüdlich auf einen Sandsack ein.
Die Freude ist ihm dabei ins Gesicht geschrieben. Er kann gar nicht genug bekommen, auch wenn sich der Sandsack kaum bewegt. Der Vater, selbst ein Amateur-Boxer, platzt vor Stolz angesichts des Durchhaltevermögens seines Sprösslings.
Acht Jahre später hämmert besagter Knirps noch immer auf Sandsäcke ein. Mittlerweile darf er das im renommierten Ressurrection Gym tun.
Dort, wo sich ein gewisser Oscar de la Hoya auf die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona vorbereitet, arbeitet Cristobal Arreola, ein schmächtiger Junge mit mexikanischen Wurzeln, an seiner Zukunft als Profi-Boxer.
Hoffnungsvollster Schwergewichtler
Heute gilt der einst schmächtige Chris als einer der hoffnungsvollsten Schwergewichtler auf dem Planeten. Einer, der nach Experten-Meinung selbst den übermächtigen Klitschko-Brüdern Paroli bieten könnte. Eine Karriere, die sich damals im Ressurrection Gym beileibe nicht abgezeichnet hatte.
"Es ist schon lustig. Als Kind hätte ich nie gedacht, einmal ein Schwergewichtler zu werden. Eher ein Welter- oder Mittelgewichtler. Mit 17 wog ich gerade mal 75 kg", erinnert sich Arreola, der heute immer wieder mit überschüssigen Pfunden zu kämpfen hat.
So brachte er bei einer Größe von 1,85 Meter zuletzt stolze 117 kg Kampfgewicht auf die Waage. Schuld daran, so gibt er zu, ist das leckere mexikanische Essen.
Vom "faulen Fettsack" zum Leistungssportler
Seit Arreola ein Video seines letzten Kampfes im November gegen Travis Walker sah, ist Schluss mit Burritos, Nachos und Bier.
"Als ich sah, wie meine Brust schwabbelte, dachte ich: Du bist ein Leistungssportler, aber du siehst aus wie ein fauler Fettsack. Es ist höchste Zeit, dass du auch endlich wie ein Leistungssportler lebst", sagt er.
Auch sein Trainer, Henry Ramirez, stellte nüchtern fest: "In dieser Form könnte Chris die Großen im Schwergewicht nicht besiegen."
Mit Hilfe eines Ernährungsberaters will Arreola nun auf mindestens 109 kg herunterkommen: "Ich würde es nicht Diät nennen, denn das hört sich so nach Arbeit an. Ich nenne es eine neue Lebensweise."
Starke K.o.-Quote
Jene neue Lebensweise soll ihm dazu verhelfen, der erste amerikanische Schwergewichtsweltmeister mexikanischer Herkunft zu werden. Dieses Ziel treibt ihn an.
Das Potenzial dafür hat Arreola ohne Zweifel. Er verfügt über diesen Killer-Instinkt, einen Kampf jederzeit vorzeitig zu beenden. In seinen bisher 27 Profi-Kämpfen ist der Linksausleger mit dem Namen "The Nightmare" (der Albtraum) ungeschlagen.
Seine beeindruckende K.o.-Quote (24/27) veranlasste Promoter Dan Goosen gar zu der Behauptung, Arreola könne "Tyson-esque" werden.
Große Worte, bedenkt man vor allem die Zweifel, die Experten zu Beginn seiner Karriere hatten. Mit einem so jungen Trainer wie Henry Ramirez, selbst erst 31, würde Arreola niemals etwas erreichen können, prophezeiten viele.
Klischees? Nein, danke
In der Tat ist es durchaus ungewöhnlich, sich in die Hände eines derart unerfahrenen Trainers zu begeben. Doch Arreola ist eben auch ein ungewöhnlicher Boxer.
Er erfüllt kein einziges Klischee, das dem Prototyp Schwergewichtler eigentlich anhaftet und ist vielleicht gerade deshalb bei den amerikanischen Fans so populär.
Seinen Trainer engagierte Arreola beispielsweise bei einer Kneipentour durch L.A. "Wir waren zusammen unterwegs, als er mich fragte. Ich sagte ihm, dass er betrunken sei und er mich noch einmal fragen solle, wenn er wieder nüchtern ist. Das hat er getan", erinnert sich Ramirez.
"Leichte Jungs" als Vorbilder
Auch sein Boxstil unterscheidet sich signifikant von den meisten Schwergewichtlern. Er bevorzugt Kombinationen, wie man sie hauptsächlich aus den niedrigeren Gewichtsklassen kennt und hat eine für das Schwergewicht untypische hohe Schlagfrequenz.
Statt Mike Tyson, Lennox Lewis oder Vitali Klitschko nennt Arreola leichte Jungs, wie Manny Pacquiao und Antonio Margarito, als seine Vorbilder. "Ich liebe es, den kleinen Boxern zuzusehen, weil sie unermüdlich drauf gehen", erklärt Arreola.
Wie ungewöhnlich Arreola tatsächlich ist, zeigt vor allem sein Verhalten außerhalb des Ringes.
Arreola: "Ich gehörte nie zu einer Gang"
Obwohl er in der Nähe von Los Angeles als eines von sechs Kindern in einfachen Verhältnissen aufwuchs, wo Kriminalität zum Alltag gehörte, geriet er selbst niemals in Schwierigkeiten. Dem Vater sei Dank.
"Als ich neun war, erzählten mir meine Cousins, sie seien in einer Gang namens Florencia. Und dass ich da unbedingt mit hin müsse. Ich erzählte meinem Vater davon. Er schlug mich das einzige Mal in meinem Leben windelweich. Dann fragte er: 'in welcher Gang bist du?' Ich antwortete: 'in keiner'."
Geprägt durch seine Kindheit ist Arreola heute selbst das obligatorische Säbelrasseln vor einem Kampf zuwider. Im Vergleich zum 28-Jährigen sind selbst die Klitschkos mit ihrem Saubermann-Image richtige Bad Boys.
Saubermann mit Mike-Tyson-Look
So ließ sich Wladimir zuletzt zu der Aussage hinreißen, er würde seinem Gegner, David Haye, das Maul stopfen. Worte, die Arreola niemals über die Lippen kommen würden.
Zwar sieht der 1,85 Meter große Bulle mit seinen unzähligen Tattoos und dem brutalen Gesichtsausdruck angsteinflößender aus als Mike Tyson, doch Arreola hat sich eines frühzeitig zum Ziel gesetzt.
"Ich möchte ein Vorbild sein. Natürlich will ich auch wie alle Boxer ein Champion werden, aber eben auch ein Vorbild. Das ist mir genauso wichtig."
Feuerprobe in Las Vegas
In Las Vegas machte Arreola nun einen nächsten wichtigen Schritt in Richtung WM-Kampf.
Im Rahmen des Hauptkampfes zwischen Paul Williams und Winky Wright traf er auf den erfahrenen Jameel McCline - seinen ersten wirklich ernstzunehmenden Gegner - und knockte ihn in der vierten Runde aus.
Der Hype um die neue Schwergewichtshoffnung scheint berechtigt. "Ich kämpfe gegen jeden. Wenn sie mir sagen, dass ich bereit dafür bin, gegen die Klitschkos zu fighten, dann werde ich das tun", sagte Arreola nach seinem Sieg.