Kathleen Weiß ist mit 1,71 Metern die kleinste Spielerin der Volleyball-Nationalmannschaft - und hat als Zuspielerin enormen Anteil an der Wiederholung der EM-Silbermedaille. Mit SPOX sprach Weiß über den besonderen Druck beim Heim-Turnier, den einstigen Stillstand im Verband und die Probleme der Bundesliga.
SPOX: Frau Weiß, herzlichen Glückwunsch zur EM-Silbermedaille. Wann haben Sie den Erfolg in Berlin realisiert?
Kathleen Weiß: Das hat tatsächlich eine Weile gedauert. Aber ein, zwei Tage danach wurde uns so richtig bewusst, was wir da eigentlich geschafft haben. Und was das für ein tolles Event für Volleyball in Deutschland war.
SPOX: Sie sind bereits zum zweien Mal Vizeeuropameisterin, lassen sich die beiden Turniere vergleichen?
Weiß: Einmal im Finale zu stehen, das haben schon einige Teams geschafft, aber das zu wiederholen, ist etwas ganz Besonderes. 2011 kam der Erfolg viel überraschender. Wir standen damals zum zweiten Mal im Halbfinale und dachten, jetzt irgendwie eine Medaille holen, das wäre supertoll. Nach dem Finale waren wir aber erst mal enttäuscht, weil wir 2:1 gegen die Serben geführt hatten.
SPOX: Und 2013?
Weiß: Dieses Jahr können wir sehr stolz auf uns sein. Immerhin war es die ganze Zeit die Ansage, dass wir um Gold spielen wollen, und dann noch im eigenen Land. Diesmal war der Druck viel größer.
SPOX: Empfanden Sie den Druck als belastend, oder war es sogar hilfreich, so viel Aufmerksamkeit zu verspüren?
Weiß: Bei den Spielen vor eigenem Publikum war der Druck definitiv hilfreich. Wir haben uns mental darauf vorbereitet und sind sowieso eine Truppe, die sehr enthusiastisch spielt. Dabei haben die Zuschauer auf jeden Fall geholfen. Wenn man in den tiefsten Vorbereitungen steckt, ist Druck aber nicht immer sehr hilfreich. Im Mai, Juni, da läuft vielleicht noch nicht alles so rund. Wenn dann der Trainer und Leute von außen sagen, wir wollen um Gold spielen, und so wird das ja alles gleich gar nichts, dann pusht uns das nicht unbedingt.
SPOX: Einige ragen aus dem DVV-Team heraus, andere weniger. Sie haben als Zuspielerin, als Regisseurin, einen Riesenanteil am Erfolg. Für den Laien aber stehen Sie im Spiel im Schatten der spektakulär abschließenden Angreiferinnen. Dabei können diese nichts ausrichten, wenn der Ball schlecht gestellt wird. Wie gehen Sie damit um?
Weiß: Es ist natürlich immer so, dass die Leute sagen, boah, das war ja jetzt ein toller Angriff. Ja, super, dankeschön, war ja nur ein Block da. Und warum war nur ein Block da? Der Ball kommt schließlich nicht aus der Luft... Also im Grunde genommen ist das schon in Ordnung. Ich kann damit umgehen, ein bisschen schade ist es natürlich manchmal schon. (seufzt) Aber schön zu hören, wenn jemand das mal erkennt. (lacht)
SPOX: Dazu kommt ja, dass Sie mit 1,71 Metern die Kleinste im Team sind...
Weiß: ...und ich auch noch am Netz spielen muss.
SPOX: Richtig, da fällt der Unterschied richtig auf. Im Team ist das sicherlich kein Thema, aber gibt es Alltagsanekdoten zu Ihrer Größe unter all den Langen?
Weiß: Na klar, die Szenen gibt es. Wir saßen mal mit dem ganzen Team im Hotel beim Frühstück, nebenan eine Familie. Und dann hörte ich: "Die ist aber klein. Na ja, die spielt bestimmt nicht." Ich dachte nur: "Hah, wenn Ihr wüsstet..." Ich habe meine Stärke auf anderen Gebieten. Mit meiner Größe würde ich nicht spielen, wenn ich mich nicht immer wieder durchsetzen würde. Wenn mal durchgetauscht wird, fängt das natürlich immer direkt bei mir an. Sowohl in der Nationalmannschaft als auch im Verein. Ich muss deshalb immer zwei, drei Mal mehr meine Frau stehen.
SPOX: Das spornt über die Jahre sicher an, wenn man sich immer wieder besonders beweisen muss.
Weiß: Schon, aber manchmal ist es auch einfach nur nervig. Und man denkt, "Leute, jetzt reicht es aber". Aber letztendlich ist es ein Grund, warum ich so stark geworden bin. Bei mir hieß es eben nie: "Komm' trotzdem mit". Ich habe nur gespielt, wenn ich wirklich gut war. Zu Beginn dieses Sommers hat der Trainer ja eigentlich auch nicht geplant, mit mir zu spielen. Um so glücklicher bin ich, dass ich schließlich doch zum Stamm gehörte und wir Silber geholt haben.
SPOX: Für die EM vor zwei Jahren kam Angelina Grün noch einmal in die Nationalmannschaft zurück und schien die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. War 2013 mehr Teamplay?
Weiß: Nein, das kam nur so rüber, weil wir jeden Punkt frenetisch gefeiert haben. Angelina war schon vor langer Zeit das Aushängeschild. Damals war sie die überragende Spielerin, weil sie schon in Italien spielte und viel weiter war als die ganze Mannschaft. Nach ihrem ersten Rücktritt, als sie zum Beachvolleyball wechselte, sind wir unter unserem Trainer Giovanni Giudetti das Team geworden, was wir heute sind. Das waren wir auch schon vor zwei Jahren - und Grüns Rückkehr war für uns ein glücklicher Umstand.
SPOX: ...weil Heike Bayer verletzt war.
Weiß: Genau, Grün übernahm ihre Position, spielte eine Super-EM, aber wir haben 2011 nicht Silber geholt, weil sie wieder zurück war. Wir waren mit ihr im Angriff vielleicht ein bisschen stärker als mit Heike, aber in der Annahme auch ein bisschen schwächer. Es tat mir leid, dass es hinterher hieß, Angelina Grün ist zurück, jetzt holt ihr Silber. Wären wir als Mannschaft nicht schon vorher zusammengewachsen, dann hätten wir nicht in diesem Finale gestanden. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir das jetzt noch einmal gezeigt haben.
SPOX: Spielt Margareta Kozuch als aktuelle Kapitänin eine ähnlich herausgestellte Rolle wie Grün damals?
Weiß: Maggie ist natürlich ein Aushängeschild. Und das brauchst du für die Medien. Aber ich würde noch immer sagen, bei uns ist das Team der Star. Wir haben keine körperlich herausragende Spielerin, bei uns muss wirklich jede ihre Leistung bringen, damit wir in ein Finale kommen.
Hier geht's weiter: "Das klingt lächerlich"
SPOX: Die Nationalspielerinnen spielen in ganz Europa verstreut. War die EM-Vorbereitung auch deshalb so lang?
Weiß: Unser Sommer begann für die Jüngeren Ende Mai, für uns Ältere Anfang Juni. Es ist eine lange Zeit, aber die ist wirklich wichtig. Im Volleyball muss man viel eingespielter sein als im Fußball. Wenn bei uns ein Pass fünf oder zehn Zentimeter länger oder das Tempo etwas anders ist, dann trifft der Angreifer eben den Ball nicht.
SPOX: Heißt, Sie haben für diese Silbermedaille vier Monate aufeinandergehockt. Geht man sich da nicht irgendwann unheimlich auf die Nerven?
Weiß: (lacht) Das fragen so viele, aber wir sind wirklich ein klasse Team. Mal für mich gesprochen: Meine besten Freundinnen sind in diesem Team. Mit Maggie Kozuch bin ich seit sieben Jahren auf dem Zimmer. Wir kennen uns in- und auswendig. Wenn das nicht wäre, wäre es eine Belastung.
SPOX: 2011 standen sechs Bundesliga-Spielerinnen im Aufgebot, jetzt waren es nur noch drei - ein Trend?
Weiß: Ja, das liegt klar an den finanziellen Möglichkeiten, die sind im Ausland viel größer. In Deutschland kann sich vielleicht ein Schweriner SC jetzt die Rückkehr einer Saskia Hippe leisten. Weil das etwas Besonderes ist, weil es ein guter Verein ist, der Champions League spielt und das für eine Spielerin finanziell möglich macht. Man kann als Nationalspielerin eigentlich nicht zurück nach Deutschland gehen, wenn man nicht andere Prioritäten setzt. Da würde man zu viel Geld verlieren.
SPOX: Sie sind seit ihrem Abschied aus Schwerin vor fünf Jahren unglaublich viel rumgekommen: Sechs Vereine in drei Ländern seit 2008. Was fehlt der Bundesliga, um mit der europäischen Spitze finanziell mitzuhalten?
Weiß: Wahrscheinlich eine Mischung aus noch mehr Professionalität und Präsenz. Denn mehr Fernsehzeit würde einhergehen mit mehr Geld. Es müssten größere finanzielle Möglichkeiten für die Vereine geschaffen werden, dann könnte man auch wieder über eine Rückkehr nach Deutschland nachdenken. Momentan ist der Unterschied zu den anderen Ligen zu groß, auch sportlich, weil natürlich alle guten nichtdeutschen Spielerinnen auch in anderen Ländern spielen.
SPOX: Dann ist es ein Erfolgsrezept der Nationalmannschaft, so viele Legionäre zu vereinen?
Weiß: Ja, wenn man als Nationalmannschaft in der Weltspitze mitspielen will, kann man nicht nur drei, vier Sommer auf diesem Niveau trainieren. Das muss man im Winter in den jeweiligen Vereinen weiterentwickeln. Deshalb ist es zurzeit sehr wichtig, früher oder später ins Ausland zu gehen.
SPOX: Besteht die Hoffnung, vielleicht auch beim DVV, dass der EM-Erfolg und die neue Aufmerksamkeit eine Chance für die Bundesliga sind?
Weiß: Auf jeden Fall. Was die Bundesliga und auch der DVV in den letzten Jahren verstanden haben, ist, dass die Nationalmannschaft und die Liga zusammenarbeiten müssen. Letztendlich ist es immer Volleyball. Und die Fans der Bundesliga sind auch Fans der Nationalmannschaft. Seit zwei Jahren ziehen die Offiziellen hier endlich an einem Strang.
SPOX: Welche Rolle spielt der neue DVV-Präsident Thomas Krohne? Er löste vor gut einem Jahr Werner von Moltke an der Spitze des Verbands ab und bringt jahrelange Erfahrung in der Sportrechtevermarktung der Fußball-Bundesliga und des Golf-Sports mit.
Weiß: Eine sehr große Rolle. Unter dem neuen Präsidenten konnten wir in diesem Sommer viel bewegen. So eine Medienpräsenz hat es für den Volleyball noch nie gegeben. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Klar, wenn du sportlich nicht erfolgreich bist, klappt das nicht. Aber wir haben jetzt einen Riesenschritt gemacht und das muss die nächsten Jahre weitergehen.
SPOX: Was ist unter Krohne neu?
Weiß: Erstens hat er sehr viele Kontakte in der Medienbranche, nutzte diese hervorragend und klapperte Radio- und Fernsehsender ab. Zweitens geht es gerade um unseren Ausstatter. Früher hieß es gerne mal, unseren Ausstatter haben wir seit fünf Jahren, also bleibt das auch so. Das mag lächerlich klingen, war aber so. So gab es bei unserer Vermarktungsfirma jahrelang niemanden, der für uns neue Sponsoren gesucht hat. Seit Zürich als großer Geldgeber vor fünf, sechs Jahren absprang, kam eigentlich nichts dazu.
SPOX: Das klingt unglaublich.
Weiß: War aber tatsächlich so. Alles ging damals bergab: Unser Ausstatter hat uns immer weniger gegeben, weil er dachte, die bleiben ja eh. Die Qualität der Ausrüstung wurde schlechter und die Sponsoren blieben weg. In Sachen Professionalität auf der Vermarktungsebene, wie man Sponsoren anspricht, wie man die Nationalmannschaft präsentiert, dass da mal ein Vortrag mit einer Diashow gehalten wird - da haben wir mit dem neuen Präsidenten einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht.
SPOX: Wie haben Sie als Spielerinnen auf diese Missstände reagiert?
Weiß: Als wir vor etwa vier Jahren immer ein Stück mehr Einblick bekamen, was beim DVV alles schief läuft, waren wir erschrocken. Man konnte ja erst mal davon ausgehen, dass sich daran die nächsten Jahre nichts ändert.
SPOX: Da geht die Motivation vermutlich flöten...
Weiß: Bis Olympia hatten wir eh nichts anderes im Kopf, das ist immer ein Ziel. Aber dann waren wir soweit, zu denken, für den Verband brauchst du ja eigentlich nicht mehr zu spielen, das bringt dir nicht mehr viel.
SPOX: Jetzt denken Sie anders darüber?
Weiß: Ja, das hat sich in diesem Sommer komplett geändert. Jetzt richten wir den Blick in die Zukunft und haben das Vertrauen, dass da etwas entstehen kann, die nächsten Jahre.
SPOX: Das heißt, Ihre sportliche Zukunft sehen Sie auch weiter in der Nationalmannschaft? Die Qualifikationen für den Grand Prix 2014, die WM 2014 und die EM 2015 sind ja geschafft.
Weiß: Auf jeden Fall. Für mich ist es eine der schönsten Sachen der Welt, in diesem Team zu spielen. Und so lange ich noch so viel Spaß an meinem Beruf habe und da auch noch eine Menge Geld verdiene, was ich später nicht mehr kann, werde ich das noch nutzen.