Der am Freitag veröffentlichte zweite McLaren-Report stellte fest, dass es in Russland jahrelang eine "institutionalisierte Strategie zur Medaillenbeschaffung in Sommer- und Wintersportarten" gegeben habe. Dabei seien mehr als 1000 russische Athleten aus 30 Sportarten in die Doping-Vertuschung involviert gewesen. Gesteuert worden sei das System vom Sportministerium.
"Jahrelang wurde von Russland bei internationalen Sport-Ereignissen betrogen. Es ist unmöglich zu wissen, wie tief die Verschwörung reicht und seit wann es sie gab", sagte Chef-Ermittler Richard McLaren: "Es existierte eine institutionelle Verschwörung in Sommer- und Wintersportarten. Die Athleten haben nicht individuell agiert sondern innerhalb einer organisierten Infrastruktur."
Handfeste Beweise
Betroffen gewesen seien dabei unter anderem die Olympischen Sommerspiele in London 2012, die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau sowie die Winterspiele in Sotschi 2014. Das System habe von "mindestens 2011 bis August 2015" existiert.
Zum Beweis seiner Ergebnisse veröffentlichte McLaren 1166 Dokumente, die er während der Untersuchung sicherstellen konnte, darunter Fotos, forensische Berichte und E-Mails.
"Der Bericht basiert nicht auf mündlichen Aussagen, sondern auf materiellen Beweisen, dies sind unzweifelhafte Fakten", sagte McLaren, der andeutete, dass das Ausmaß des Betruges noch wesentlich größer sein könnte: "Obwohl das Bild jetzt klarer ist, ist es noch nicht komplett. Wir hatten nur Zugang zu einem kleinen Teil der Daten."
Ein Whistleblower bereitete den Weg
Die Untersuchung war im Mai durch Enthüllungen des ehemaligen Leiters des Moskauer Anti-Doping-Labors, Grigori Rodtschenkow, ins Rollen gekommen. Der erste Teil des Reports hatte die Aussagen im Juli bereits bestätigt.
Die neuen Erkenntnisse setzen nun das Internationale Olympische Komitee unter Druck. Vor den Sommerspielen in Rio hatte sich das IOC gegen einen Komplett-Ausschluss Russlands entschieden, in etwas mehr als einem Jahr stehen die Winterspiele in Pyeongchang/Südkorea an. "Ich kann nicht entscheiden, ob sie teilnehmen können. Ob man ihnen trauen kann? Ich denke ja, aber sie brauchen Reformen", sagte McLaren.
Forderungen nach drastischen Konsequenzen kamen umgehend auf. "Russland darf so lange nicht an Welt- und Europameisterschaften und Olympischen Spielen teilnehmen, bis das russische Sportsystem überprüfbar einer glaubwürdigen Reform unterzogen worden ist", sagte Dagmar Freitag, die Sportausschussvorsitzende des Deutschen Bundestages, dem SID: "IOC-Präsident Thomas Bach muss jetzt endgültig seiner Verantwortung gerecht werden und eine klare Haltung zeigen. Bislang ist er bestenfalls durch Worte aufgefallen, die Taten hat er delegiert an die Fachverbände."
Vesper ist entsetzt
Auch der Deutsche Olympische Sportbund reagierte erschüttert auf den Report. "Die Vorwürfe aus dem ersten Bericht im Sommer waren heftig, aber das heute ist der Hammer", sagte Vorstandsvorsitzender Michael Vesper: "Das ist ein Angriff auf die Integrität des Weltsports, die dieser durch konsequentes Handeln abwehren muss." Je nach Beweislage müsse es nun zu individuellen oder Kollektivstrafen kommen.
Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes forderte dagegen unmissverständlich einen "kompletten Ausschluss des russischen Sports bis zur Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit".
Das IOC hatte bereits angekündigt, dass die Ergebnisse des McLaren-Reports in die Untersuchung zweier eigenständiger Kommissionen eingehen werde. Allerdings, so Mclaren, habe er keine Hinweise darauf, dass das russische Olympische Komitee involviert gewesen sei.
Auch Medaillengewinner sind betroffen
Betroffen sein sollen laut McLaren unter anderem fünfzehn russische Medaillengewinner der Spiele in London, vier Teilnehmer der Leichtathletik-WM sowie zwölf Medaillengewinner der Spiele von Sotschi, darunter vier Olympiasieger.
Demnach wurden in Sotschi Dopingproben russischer Athleten unter Mithilfe des russischen Geheimdienstes FSB ausgetauscht. Zudem berichtete McLaren davon, dass Proben mit Kaffeepulver und Salz verunreinigt wurden, um Doping zu verschleiern.
Namen der Athleten wurden in dem Bericht nicht genannt.Zunächst sollen alle Informationen an die zuständigen Verbände weitergeleitet werden. Diese würden dann über Sanktionen entscheiden.
Die Nationale Anti Doping Agentur reagiert entsetzt auf die Ergebnisse. "Die neuen Fakten des Abschlussberichtes machen uns sprachlos. Die Details über systematisches, organisiertes und perfides Doping im russischen Sport sind erschütternd. Athletinnen und Athleten wurden in ein menschenverachtendes, staatliches System eingebunden", sagte die NADA-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann. Dem Sport hafte jetzt "ein nachhaltiges Glaubwürdigkeitsproblem" an.