Ein flächendeckendes bundesdeutsches Dopingsystem mit womöglich tausenden involvierten Sportlern über mehrere Jahrzehnte: Der Mainzer Sportwissenschaftler Andreas Singler hat den Freiburger Mediziner Armin Klümper in einem neuen Gutachten vor allem im Zusammenhang mit dem Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel vor 30 Jahren schwer belastet. Singler beschreibt den umstrittenen Sportarzt als zentrale Figur eines riesigen Manipulations-Apparates.
"Armin Klümper hat (...) für die alte Bundesrepublik Deutschland in einem Umfang Dopingpraktiken angewendet, die weit über das ohnehin schon bekannte Maß hinausgehen", schreibt Singler in der Untersuchung "Armin Klümper und das bundesdeutsche Dopingproblem", die der Autor am Samstag in Auszügen öffentlich machte. Es gebe "gute Gründe, für die Bundesrepublik Deutschland von systematischem und teils auch flächendeckendem Doping (...) zu sprechen". Klümper war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Laut Singler müssen es "hunderte, wenn nicht tausende Sportler und zum Teil auch Sportlerinnen gewesen sein, die mit Klümper von einem langjährigen Mitglied des Universitätsklinikums und der Universität Freiburg aktiv im Sinne des Sportrechts gedopt (...) worden sind." Mit dem heute 81 Jahre alten Klümper sei ein jahrzehntelang andauernder Dopingskandal verbunden, "der den Telekom- bzw. T-Mobile-Skandal des Radsports und der Freiburger Sportmedizin an Bedeutung zweifellos sogar noch übertrifft."
Klümper offiziell geduldet und gefördert
Singler bezeichnet Klümper als "gewissermaßen die zentrale Bad Bank des westdeutschen Sports, in die (fast) alle dopingkontaminierten Handlungs- und Wissenszertifikate seiner Kooperationspartner ausdelegiert werden konnten". Demnach war Klümper "derjenige Sportmediziner in der Geschichte des Hochleistungssports der Bundesrepublik Deutschland, der wie kein anderer aktiv am Doping der Sportler und zum Teil auch der Sportlerinnen mitwirkte". Gleichsam arbeitet Singler heraus, dass Klümper nur aufgrund der Duldung und Förderung offizieller Stellen tätig sein konnte.
"Ohne politische Unterstützung in Stadt, Land und Bund sowie ohne ein breites institutionelles Stillhalten, etwa von Strafverfolgungsbehörden, der zur Finanzierung eines nicht geringen Teils dieser Dopingaktivitäten herangezogenen Krankenkassen oder der einschlägig für ihr Dopingproblem bekannten bundesdeutschen Sportverbände und Sportorganisationen wäre Klümpers Wirken nicht dauerhaft zu realisieren gewesen", schreibt Singler.
Strafrechtlich praktisch unbehelligt
Er kritisiert vor allem die Tatsache, dass der heute 81 Jahre alte Klümper, der 2000 nach Südafrika ausgewandert ist, strafrechtlich praktisch unbehelligt geblieben ist. "Zu zeichnen ist hier das Bild eines breiten institutionellen Versagens, da Klümper den Todesfall Birgit Dressel nur erstaunlich wenig beschadet überstehen konnte", schreibt Singler.
Dressel war am 10. April 1987 in der Mainzer Uniklinik nach tagelangem Todeskampf an Multiorganversagen gestorben. Die damals 26-Jährige, Stammgast bei Klümper, soll mehr als 100 verschiedene Medikamente konsumiert haben. Offiziell wurde der Todesfall nie restlos aufgeklärt.
"Selbst ein Aufsehen erregender Todesfall, in dessen Zusammenhang medizinisch nicht indizierte Behandlungen Klümpers bis hin zur Einnahme von anabolen Steroiden durch die Athletin standen, vermochte den Arzt nicht zu stoppen", schreibt Singler.
DOH: "Sport ist ein Massengrab"
Rückendeckung erhält Singler dabei auch von der Doping-Opfer-Hilfe, die vor dem Hintergrund der jüngsten Hinweise zu einer Unterstützung von Dopingopfern auffordert: "Aus dieser Bringschuld wird der Sportdachverband nicht entlassen", teilte der DOH unter dem Vorsitz von Ines Geipel mit. Die Todesliste des DOH verzeichne Hunderte an Dopingfolgen verstorbene Athletinnen und Athleten aus Ost und West.
"Die Ursachen sind Herzversagen, Schlaganfälle, Tumore, Akutversagen der Organe oder toxisch-allergische Reaktionen auf Doping", heißt es in der Erklärung des DOH. Die bundesdeutsche Gesellschaft habe angesichts des Todes von Birgit Dressel noch unter Schock gestanden, seitdem werde das Dauersterben der Athleten "so konspirativ gehandhabt wie das Doping selbst und insbesondere zum alleinigen Problem der Aktiven gemacht".
Sport soll endlich Verantwortung übernehmen
"Wir müssen raus aus dieser zirkulären Scheindiskussion, die da heißt: Hier die bösen Betrüger, dort der schöne, saubere Sport, der mit all dem nichts zu tun hat", sagt Geipel.
Diese bitteren Tode seien "genuiner Teil des organisierten Sports in Deutschland, und deshalb ist es auch mehr als überfällig, dass er zuerst die Verantwortung dafür übernimmt. Bigotterie und gespielte Ahnungslosigkeit helfen da nicht weiter", so Geipel weiter. Der DOH fordert den DOSB daher erneut auf, "die Arbeit an einem Nachhaltigkeitskonzept für die vielen Sportopfer im Land aufzunehmen und in Sachen Unterstützung endlich konkret zu werden".