SPOX: Dann kommen wir doch mal auf das aktuelle Turnier zu sprechen. Nach den vielen Absagen ist es gar nicht mehr so leicht, von absoluten Favoriten zu sprechen ...
Pesic: Es gibt keine mehr. Die Absagen haben beispielsweise Serbien hart getroffen, Spanien ist auch nicht mit der stärksten Mannschaft da, auch wenn beide natürlich trotzdem zum Favoritenkreis zählen. Ich glaube, dass das Feld ziemlich offen ist. Dass Georgien im ersten Spiel Litauen schlägt, hätte sicher auch nicht jeder erwartet. Bei den Deutschen ist es ein bisschen schade, dass so viele Leute abgesagt haben, weil sie nicht so einen großen Talentpool haben wie beispielsweise Serbien. Da tut jede Absage eines guten Spielers besonders weh.
SPOX: Was trauen Sie der deutschen Mannschaft denn mit der aktuellen Besetzung zu?
Pesic: Sie hatte eine turbulente, eigentlich keine richtige Vorbereitung, aus unterschiedlichen Gründen. Ich glaube, die deutsche Nationalmannschaft müsste mehr trainieren, mehr zusammen sein als alle anderen Mannschaften, wenn sie etwas gewinnen soll. Es wird sehr schwer, weil keine Kontinuität da ist. Ein Favorit ist man damit natürlich nicht. Aber ich denke, dass das Team zumindest eine gute Chance hat, in der Gruppe Dritter oder Vierter zu werden und weiterzukommen. Das wäre schon mal ein erster Erfolg.
SPOX: Sie haben die Vorbereitung angesprochen. Im ersten Spiel gegen die Ukraine hat sich nun ja auch gezeigt, dass noch nicht alles zusammenpasste. Wie haben Sie das Spiel gesehen?
Pesic: Ich kann das aus Erfahrung sagen: Das erste Spiel bei so einem Turnier ist immer schwierig, es ist mit viel Stress und Druck verbunden. Im Hinblick auf die Gruppe war es ja auch so: Hätte Deutschland das Spiel verloren, wäre ein Weiterkommen schon extrem unwahrscheinlich geworden. Die Ukrainer haben eigentlich nicht das Format, bei diesem Turnier eine Rolle zu spielen, deswegen mussten sie auch geschlagen werden. Man sollte den Sieg deswegen jetzt auch nicht überbewerten, aber es war wichtig. Im zweiten und dritten Viertel wurde sogar sehr gut gespielt, auch wenn sie damit danach auch schon wieder zufrieden waren.
SPOX: Der nächste Gegner Georgien hat nach dem Überraschungssieg gegen Litauen jetzt natürlich Oberwasser.
Pesic: Richtig, die Georgier gewinnen momentan alles, sie haben in der Vorbereitung auch Griechenland, Frankreich und nochmal Litauen geschlagen. Gegen sie wird man anders antreten müssen. Gegen die Ukraine fehlte im ersten und im letzten Viertel die Konzentration, das darf gegen die besseren Gegner auf keinen Fall passieren. Aber ich glaube, das weiß die deutsche Mannschaft auch. Man hat gegen die Ukraine genug getan, um zu gewinnen, aber da ist noch mehr drin. Wenn sie sich entsprechend steigern, können sie aber auch Georgien gefährlich werden und dann erwarte ich ein spannendes Spiel.
SPOX: Der überragende Mann gegen die Ukraine war Schröder. Wie bewerten Sie ihn derzeit?
Pesic: Nun, wir wissen ja alle: Dennis ist ein sehr, sehr guter Spieler. Und er wird noch weiterwachsen, nicht nur technisch, sondern auch mental und von der Erfahrung her. Seine größte Qualität ist, dass er ambitioniert ist und selbst will - er braucht keinen Trainer, der ihn anspornt, weil er selbst so motiviert ist. Er ist meiner Meinung nach als Spieler noch nicht da angekommen, wo er selbst sein will, aber das ist in seinem Alter auch völlig normal. Je erwachsener er wird, desto besser wird er auch werden.
SPOX: Während Schröder mit dem DBB noch viel vorhat, wird Chris Fleming sein Amt nach diesem Turnier niederlegen. Nachdem seine gesamte Amtszeit von so vielen kurzfristigen Absagen geprägt war und so wenig Kontinuität möglich war - kann man überhaupt bewerten, ob er einen guten Job gemacht hat?
Pesic: Heutzutage schaut jeder immer nur auf die Ergebnisse, nichts Anderes wird bewertet. Ich glaube, dass Chris ohne Frage einer der besten Coaches ist. Ich finde es schade, dass er nicht mehr in der BBL coacht, aber er hat seine Entscheidung getroffen und geht seinen Weg. Ich finde aber schon, dass man sagen kann: Diesen Job sollte man nicht in Halbzeit machen. Gerade in Deutschland sollte der Nationaltrainer ein Fulltime-Job sein, davon bin ich absolut überzeugt. Fleming hat viel versucht, ohne Frage, aber für mich fehlte da einfach eine gewisse Präsenz und einfach auch Anwesenheit in Deutschland.
SPOX: Ist das denn ein Deutschland-spezifisches Problem? In Serbien beispielsweise wird es mit Sasa Djordjevic ja ähnlich gemacht, auch wenn er in Europa coacht.
Pesic: Auch da ist es nicht gut. Vielleicht hilft es mal, wenn ein Trainer den Spieler sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft hat, bei einzelnen Turnieren, weil man nicht viel umstellen oder verändern muss. Aber auch in Serbien wird überlegt, ob man nicht eine Vollzeitlösung beschäftigen sollte. Gerade jetzt mit dem neuen Kalender wird es bei vielen anderen Ländern auch so sein, dass man darüber nachdenkt. Auch ich habe deswegen schon Angebote erhalten.
SPOX: Denken Sie, dass Deutschland mit Henrik Rödl als Vollzeitlösung gut fahren würde? Sie haben ihn ja auch trainiert und kennen ihn gut ...
Pesic: Er hat es mir noch nicht persönlich gesagt, dass er den Job übernimmt, aber sollte er es machen, wäre er eine sehr gute Lösung, wahrscheinlich die beste. Ich würde das sehr begrüßen, wenn die Entscheidung so getroffen wird. Ich kann da gar nicht groß vergleichen, was ihn taktisch von Fleming unterscheiden würde, er hat natürlich weniger Erfahrung. Gleichzeitig ist er aber deutlich enthusiastischer, er lebt Basketball und hat in Deutschland einen Namen, den die Leute kennen. Er würde sich in diese Aufgabe reinbeißen. Enthusiasmus ist beim Coach unglaublich wichtig, er muss diesen schließlich auch an die Spieler vermitteln. Da sehe ich in Deutschland momentan keinen besseren als Henrik.
SPOX: Ist der Enthusiasmus etwas, das den jüngeren deutschen Spielern im Hinblick auf die Nationalmannschaft noch ein wenig abgeht?
Pesic: Ich bin hundertprozentig überzeugt: Wenn das Team einen Vollzeit-Trainer gehabt hätte, wäre Paul Zipser bei diesem Turnier dabei. Mit einem hauptamtlichen Trainer zeigst du jedem, welchen Stellenwert die Nationalmannschaft hat, wie wichtig es ist. Ich glaube, dass das stärker vermittelt werden kann und muss.