Max Hartung ist nicht nur Europameister im Säbelfechten, er ist auch DOSB-Athletensprecher. SPOX-Chefreporter Florian Regelmann traf den 29-Jährigen in Köln zum Interview.
Herausgekommen ist ein offenes Gespräch über das Leben eines deutschen Spitzensportlers, der weit über den Tellerrand hinausblickt und mit dem Verein Athleten Deutschland ein wegweisendes Projekt angeschoben hat. Im Interview erzählt Hartung vom Besuch beim IOC in Lausanne und erklärt seine Forderung nach einer Beteiligung der Athleten an den Einnahmen der Olympische Spiele.
Außerdem spricht Hartung über den dramatischen Zustand der Olympischen Bewegung, eine Athleten-Erklärung zum Kopfschütteln und die Leistungssportreform. Ist Deutschland überhaupt eine große Sportnation, oder doch nur ein Fußballland?
SPOX: Max, wünschen Sie sich manchmal, in Korea geboren worden zu sein?
Max Hartung: (lacht) Nein, eigentlich nicht. Sie spielen sicher darauf an, dass ein Fechter in Korea einen ganz anderen Lebensstandard hat, als das bei uns der Fall ist. Das stimmt auch. Ein koreanischer Top-Fechter kann bis zu 300.000 Euro im Jahr verdienen, bei null Kosten, dafür ist er allerdings auch im Trainingszentrum einkaserniert. Ganz ehrlich: Ich würde nicht tauschen wollen, auch wenn sich die Summe natürlich erst einmal geil anhört. Aber klar, es wirkt schon unverhältnismäßig, wenn ein Fechter aus einer anderen Nation, der ähnliche Leistungen bringt wie du selbst, so viel mehr Geld verdienen kann. Aber in Sportarten wie Fechten, in denen wenig Sponsoring-Erlöse generiert werden, kommt es entscheidend auf die Sportförderung an - und da liegen Welten zwischen Deutschland auf der einen und Ländern wie Korea, Russland oder Italien auf der anderen Seite. Die Koreaner sind immer total verwundert darüber, wenn sie hören, wie wir uns durchschlagen müssen. Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir in vielen Bereichen überhaupt so gut mithalten können, wie wir das tun.
SPOX: Wie schlagen Sie sich persönlich denn durch?
Hartung: Ich habe in meiner Karriere auch Krisen durchgemacht und häufiger überlegt, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Zuletzt war das nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio der Fall, als ich ohne Medaille nach Hause gekommen bin. Es war ein Moment, in dem ich realisierte: Obwohl ich einer der besten Säbelfechter der Welt bin, ist mein Einkommen nicht so prall im Vergleich mit meinen Schulfreunden, die inzwischen einen Master gemacht haben und mitten im Berufsleben stehen. Ich wusste: Ich habe meinen Bachelor fertig, wenn ich mich irgendwo bewerbe, kann ich sofort das Doppelte verdienen, aber stattdessen stehe ich von morgens bis abends in der Trainingshalle. Warum eigentlich? Ich habe das Glück, dass ich einen Sponsor gefunden habe, sodass ich mich bis Tokio 2020 gut über Wasser halten kann, aber das ist eine totale Ausnahmesituation. Aber grundsätzlich bin ich wirklich total happy, weil ich immer noch das machen kann, was mir so viel Spaß macht. Das ist auch ein Privileg.
SPOX: Und in Ihrer Rolle als Athletensprecher können Sie von bemerkenswerten Erfolgen berichten, was die Sportförderung angeht.
Hartung: Ich bin selbst positiv überrascht, dass im Bundeshaushalt für 2018 so viel Geld eingestellt wurde und es 2019 noch einmal das Doppelte geben soll. Wir feiern diese Erfolge nicht so richtig, aber wir haben in den vergangenen zwei Jahren die Sportförderung in Deutschland verändert. Das ist schon krass. Als junger Mensch, der sich da engagiert hat, ist das ein tolles Gefühl. Gerade wenn man an die negative Stimmung und das vorherrschende Misstrauen in die politischen Systeme hierzulande denkt. Es stand viel auf dem Spiel, aber ich muss aus meiner Warte heraus jetzt sagen: Es lassen sich Sachen bewegen in diesem Land. Auch das Förderprogramm der Bundeswehr wird gerade komplett umgekrempelt, sodass sich für die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Bei vielen Themen, über die ich mich vor fünf Jahren noch selbst aufgeregt habe, tut sich jetzt was. Das ist schon irre.
SPOX: Einen noch viel größeren Punkt, den Sie angestoßen haben, ist die Beteiligung der Sportler an den Einnahmen der Olympischen Spiele. Warum sollten Sportler 25 Prozent der Erlöse bekommen?
Hartung: Der Hintergrund des Gedankens ist, dass sich der Sport in allen Bereichen immer stärker professionalisiert hat. Gleichzeitig haben sich Olympische Spiele aus einer Idee heraus, Menschen zusammenzubringen, zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden. Die Athleten investieren so viel Herzblut, Zeit und Energie, es wird auch extrem viel von ihnen erwartet in vielerlei Hinsicht, also ist es nur fair, wenn wir über eine gerechte Verteilung der Mittel sprechen. So wie es bei allen anderen Veranstaltungen auch der Fall ist. Bei unserem Treffen mit dem IOC in Lausanne hatten wir eine ganz gute erste Diskussion zu diesem Thema, aber wir sind wider Erwarten ohne Geldkoffer im Kofferraum wieder zurückgefahren. Die Milliarde wurde noch nicht überwiesen. (lacht)
SPOX: Sie haben das Treffen mit IOC-Präsident Dr. Thomas Bach angesprochen. In welcher Atmosphäre fand das Treffen statt?
Hartung: Es sind schon zwei Welten aufeinandergetroffen, als wir aus unserer Jugendherberge ins schicke IOC-Gebäude gefahren sind. (lacht) Aber zunächst mal muss man festhalten, dass sie uns eingeladen und sich viel Zeit für uns genommen haben. Es war hochprofessionell. Sie haben es auch handwerklich gut gemacht und uns das Solidarmodell erklärt, das sie aufgebaut haben. Später ist Dr. Bach wieder dazu gekommen und wir haben die entscheidende Frage diskutiert. Ich habe die Stimmung als sehr freundlich und angenehm empfunden. Ich bin nur etwas mit der IOC-Athletenvertreterin Kirsty Coventry aneinandergeraten, weil ich der Meinung bin, dass es ja im Prinzip auch ihr Thema sein müsste. Sie fühlte sich wohl etwas angegriffen von mir. Es war ein faires Gespräch, das uns aber auch vor Augen geführt hat, dass wir noch weit davon entfernt sind, so gut organisiert und vernetzt zu sein, dass wir auf Augenhöhe mit dem IOC sprechen können. Aber trotzdem glaube ich, dass das IOC merkt, dass der Widerstand eine neue Qualität entwickelt hat.
SPOX: Ein klares Zeichen dafür ist die Entstehung der "Athleten Deutschland", sogar gegen den Willen des DOSB. Warum war und ist der Aufbau einer unabhängigen Institution so wichtig?
Hartung: Wir haben bei verschiedenen Themen gespürt, dass wir als Athleten nicht ausreichend vorbereitet sind und gar nicht so mitreden können, wie wir wollen. Zum Beispiel beim Anti-Doping-Gesetz. Ich habe mir den Entwurf durchgelesen, aber wenn man nicht Jura studiert hat, ist es gar nicht so einfach, ein vernünftiges Feedback dazu abzugeben. Und den zweiten Punkt haben Sie in Ihrer Frage schon erwähnt: Unabhängigkeit. Es gibt Punkte, in denen die Position des Verbands nicht identisch ist mit der des Athleten. Wenn ich als Athlet aber jetzt eine juristische Beratung brauche, dann kann ich nicht den Juristen vom DOSB befragen, dann brauchen wir einen eigenen Experten. Also haben wir Nägel mit Köpfen gemacht und im Oktober 2017 die Athleten Deutschland gegründet. Wir fangen jetzt gerade erst damit an, richtig durchzustarten und mit Hilfe der finanziellen Mittel vom Bund eine Struktur aufzubauen, aber ich würde sagen, dass im vergangenen Jahr schon viel in den Köpfen passiert ist und ein Umdenken stattgefunden hat.
SPOX: Wenn wir uns den Themen widmen, die den größten Zündstoff bergen, steht die Wiederaufnahme des russischen Teams nach dem Doping-Skandal sicherlich weit vorne.
Hartung: Ich bin total enttäuscht von der ganzen Situation. Punkt Nummer eins ist, dass wir ein weltweit unabhängiges Anti-Dopingsystem bräuchten, sodass alle Entscheidungen auch komplett unabhängig getroffen werden können.
SPOX: Aber das IOC trägt 16 Millionen Dollar zum Jahresbudget der Wada von 33 Millionen Dollar bei. Wada-Präsident Craig Reedie ist Mitglied des IOC und ehemaliger Vizepräsident der Organisation.
Hartung: Genau. Leider sind wir von Unabhängigkeit weit entfernt. Und dann werden immer wieder Chancen verschlafen und Entscheidungen getroffen, die kein Mensch nachvollziehen kann. Dabei gibt es so viel Fachpersonal in allen Bereichen, ich verstehe das nicht. So verspielt der Sport immer und immer wieder Vertrauen. Wenn es der Sport nicht schafft, nachvollziehbare Prozesse zu etablieren, wird ihn irgendwann auch keiner mehr schauen. Dann schauen wir am Ende alle Wrestling. Wenn es kein Umdenken gibt, steht viel auf dem Spiel, das glaube ich wirklich.
SPOX: Ein weitere Punkt war die umstrittene Athleten-Erklärung, die das IOC verabschiedete. Was denken Sie als Athlet darüber?
Hartung: Es wurde zwar online eine Abfrage gemacht, aber dann ging es mehr oder weniger im Hoppla-Hopp-Stil weiter und plötzlich wird eine Charta veröffentlicht. Eine Charta beschließt man ja auch nicht jedes Jahr neu, die soll universell gültig sein. Und jetzt sind dabei Sachen herausgekommen, bei denen ich nur mit dem Kopf schütteln kann. Es soll ja um die Rechte und Pflichten der Athleten gehen, aber beim Durchlesen sind mir eigentlich nur die Pflichten hängengeblieben. Wir sollen das Solidarsystem der Olympischen Spiele respektieren. Wir sollen möglichst nicht politisch sein. Da waren einige Kracher dabei, die sich wie eine direkte Replik an uns gelesen haben. Kein Athlet hätte sich das ausgedacht. Aber die IOC-Athletenkomission trägt es natürlich mit. Das mag beruflich opportun sein, aber enttäuschend ist es dennoch.
SPOX: Es wird von Seiten des IOC oft behauptet, dass die Kritik ja nur aus Westeuropa kommen würde.
Hartung: Angenommen wir hätten ein weltweites Athleten-Parlament mit Athleten aus der ganzen Welt, also beispielsweise auch aus China, Afrika und Nordkorea, dann sind diese Athleten natürlich in einem ganz anderen Regime groß geworden und haben ein ganz anderes Verständnis von Abstimmungen. Aber gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass der Sport eine Vorreiterrolle einnimmt, wenn es um so etwas wie Menschenrechte geht. Warum sollen in einer Charta nicht die Menschenrechte verankert werden? Es ist doch ohnehin nicht rechtlich bindend. Oder, mal rein hypothetisch gedacht: Wenn es im Turnen bestimmte Trainingsmaßnahmen gibt, die zu Erfolgen führen, aber körperliche Langzeitschäden verursachen, dann muss es weltweit das Bestreben geben, Kinder und junge Leistungssportler davor zu schützen. Dann muss es Mindeststandards für den Schutz des Körpers geben. Dann zu sagen, wir formulieren es mal nicht so streng, weil wir es international gesehen für unrealistisch halten, kann doch nicht die Haltung sein.
Augusto BizziSPOX: Mittlerweile ist die Situation der Olympischen Spiele so dramatisch, dass Volksentscheide in der ganzen Welt reihenweise negativ ausfallen. Wie dramatisch sehen Sie die Lage?
Hartung: Sehr dramatisch. Die Olympische Bewegung steht auf dem Spiel. Ich hätte das noch vor fünf Jahren niemals für möglich gehalten, aber es kann sein, dass Olympische Spiele in 20 oder 30 Jahren nur noch eine triviale Veranstaltung sein werden. Wenn man keine Kurskorrektur vornimmt, ist das denkbar. Ich habe mein ganzes Leben lang dafür trainiert, bei Olympischen Spielen dabei zu sein. Als mein Traum 2012 in London Wirklichkeit wurde, war es für mich das Größte der Gefühle. Aber 2016 in Rio ist es komplett umgeschlagen.
SPOX: Warum?
Hartung: Wenn du zu Olympischen Spielen kommst und auf Menschen triffst, die dir sagen, "es ist ja toll, was du hier machst, aber mein Kind kann nicht mal zur Schule gehen", dann macht das etwas mit dir. Dazu die halbleeren Stadien, vor allem der Skandal um die russische Mannschaft - ich war tierisch enttäuscht und auch traurig. Olympia hat seitdem seinen Glanz für mich verloren.
SPOX: Glauben Sie, dass wir zu Ihren Lebzeiten noch einmal Olympische Spiele in Deutschland erleben werden?
Hartung: Man wird ja heutzutage schon alt. (lacht) Es ist schwer, Zukunftsprognosen dazu abzugeben, aber ich denke schon, dass es möglich ist. Wir können ja auch ohne Probleme eine Fußball-EM ausrichten.
SPOX: Ja, weil Deutschland ein Fußballland ist, aber kein Sportland in dem Sinne.
Hartung: Das will ich eigentlich nicht sagen. Natürlich schwebt der Fußball über allen anderen Sportarten, das war schon immer so, aber erst in den vergangenen zehn Jahren hat es aus meiner Sicht überhandgenommen. Dass ein Huster von Thomas Müllers Frau so zum Thema wird, zeigt doch alles.
SPOX: Weil aber auch viel mehr Leute die Meldung über Thomas Müllers Frau lesen als die Nachricht vom erneuten EM-Titel von Max Hartung.
Hartung: Ich weiß. Aber woher kommt es, dass die Aufmerksamkeit für andere Sportarten in anderen Ländern ganz anders ist. Wenn ich jetzt als Fechter nach Italien oder in die USA gehe, also in Länder, in denen auch der Fußball oder American Football die Nummer eins ist, dann kommen die Kinder angerannt und wollen Unterschriften oder Selfies mit mir machen. In Deutschland passiert mir das nicht. Das ist schon komisch. Deutschland scheint abgesehen vom Fußball dann doch insgesamt weniger sportbegeistert zu sein. Gleichzeitig sehen wir uns aber als große Sportnation. Wenn wir in Tokio im Medaillenspiegel nicht in den Top 6 landen sollten, wird das Geschrei groß sein.
SPOX: Wie viel Schuld tragen die Sportarten aber auch selbst daran, dass sie zum Beispiel von Darts überholt werden, weil es ja ganz offensichtlich mehr Menschen anspricht?
Hartung: Sicherlich tragen sie eine Teilschuld. Es ist aber nicht so, dass die Sportarten sich nicht öffnen wollen, die Strukturen sind nur nicht agil und flexibel genug. So bleibt eine Weiterentwicklung dann leider aus, obwohl die Sportler bereit dazu wären. Ich fechte von mir aus auch in einer Burg gegen drei, wenn sich das eine Million am Samstagabend anschauen will. Es ist schwer, den Mechanismus zu durchbrechen, aber Sportarten wie meine werden über kurz oder lang untergehen, wenn sich nichts ändert.
SPOX: Wir waren gerade schon kurz bei Erwartungshaltungen für Olympische Spiele. Seit einiger Zeit gibt es ja das neue Zauberwort PotAs als Herzstück der sogenannten Leistungssportreform. Wie lautet Ihr Zwischenfazit der Potenzialanalyse?
Hartung: Mein Eindruck ist, dass wir mit Prof. Dr. Urs Granacher, dem Vorsitzenden der PotAs-Kommission, einen kompetenten Wissenschaftler an der Spitze haben, der sehr viel Herzblut in die Sache reinsteckt. Das ist erst mal ein großes Glück für uns. Ich glaube auch, dass das Ziel das richtige ist. Nämlich die Verteilung von Mitteln zu objektivieren und an objektive Kriterien zu knüpfen. Damit man auch Verbänden Feedback darüber geben kann, wer gute Arbeit macht und wer nicht. Und dann zu belohnen oder zu bestrafen. Das geht in die Richtung Professionalisierung, die wir so dringend brauchen. Die Idee ist gut, aber die spannende Frage wird sein, inwieweit die Ergebnisse am Ende bindend sind. Wenn die Verteilung der Mittel dann doch wieder ein politischer Prozess bleibt, wäre es nicht konsequent. Ich hoffe aus Athleten-Sicht, dass wir zukünftig enger mit der PotAs-Kommission zusammenarbeiten können. Dass nicht immer nur die Verbände gefragt werden, sondern die Athleten selbst. Es ist ein gutes Projekt, das gerade noch nicht so genutzt wird, wie es genutzt werden könnte.
SPOX: Auch wenn mit dem PotAS-Bewertungssystem keine Medaillen prognostiziert werden sollen, ist das Ziel ja klar ein Medaillen-Maximum. Sind Sie ein Fan davon, Medaillenvorgaben auszugeben?
Hartung: Nein, ich halte es für fragwürdig, wie sinnvoll es ist, eine Medaillenvorgabe zu erheben. Wenn Sie mich fragen, ob ich in Tokio eine Medaille holen will, dann sage ich natürlich ja. Das können Sie jetzt jeden fragen und am Ende heißt es, dass 400 deutsche Athleten in Tokio Olympiasieger werden wollen. Am Ende werden es zehn, 390 haben es also nicht geschafft. Ich verstehe den Sinn nicht. Natürlich wollen wir alle erfolgreich sein, aber was nützt mir jetzt ein Medaillenkorridor. Das ist doch ein konstruiertes Ziel, was danach zu einer Debatte in der Presse führt, wenn es nicht erreicht wird. Klar kann man dann auf Basis dessen draufhauen, aber es hilft niemandem weiter.
SPOX: Was nervt Sie an Ihrem Sportlerleben eigentlich am meisten?
Hartung: Ich bin ja viel unterwegs, auch in meiner Rolle als Athletensprecher, und ich muss schon sagen, dass es ein scheiß Gefühl ist, wenn man immer angeben muss, wo man gerade ist. Wenn ich jetzt spontan nach München fahren würde, müsste ich es im System eintragen, so wie ich früher Mama Bescheid geben musste. Ich empfinde die Meldepflicht als krassen Einschnitt in die eigene Freiheit. Ich hasse es einfach. Ich verstehe zwar, dass es notwendig ist, um ein faires Spielfeld zu kreieren, aber wenn man dann mitbekommt, dass es im Ausland nicht so gehandhabt wird... Beim Skandal um Russland redet doch keiner von Meldepflichten. Da geht es doch nur darum, ob gerade noch die Nadel im Arm gesteckt ist oder nicht. Ansonsten mag ich es aber, Sportler zu sein. Klar ist es irgendwo nicht ideal, wenn ich in Dormagen ab 20 Uhr keine Halle mehr zum Dehnen haben, weil dann die Volleyballer kommen. Klar schaue ich auch mal neidisch auf die Trainingszentren in anderen Ländern, wenn ich mal wieder keinen eigenen Spind habe. (lacht) Aber das ändert nichts daran, dass ich jeden Tag gerne in die Halle fahre.
SPOX: Abschließend eine einfache Frage: Was macht Max Hartung in 20, 25 Jahren?
Hartung: (lacht) Wie soll das denn eine einfache Frage sein? Ich weiß noch nicht mal, was ich in zwei Jahren mache. Mich nimmt mein aktuelles Leben so stark ein, dass es mir schwer fällt, sehr langfristige Pläne zu hegen.
SPOX: Alleine durch den Weg, den Sie jetzt schon neben Ihrer aktiven Karriere gehen, scheint ein Weg in der Sportpolitik vorgezeichnet. Vielleicht gibt es ja in 20 Jahren ein Sportministerium.
Hartung: Ich werde auf jeden Fall mein Leben lang mit Sport zu tun haben. Ich bin auch jemand, der gerne gestaltet und etwas bewegt. Ob das jetzt bedeutet, dass ich irgendwie geeignet wäre, ein Ministeramt zu bekleiden? So weit würde ich mich jetzt gar nicht aus dem Fenster lehnen wollen. Ich will mich auch nicht überschätzen und jetzt schon eine Wahnsinnskarriere ankündigen. (lacht)
SPOX: Aber unabhängig von Ihrer Zukunft ist es doch offensichtlich, dass der Sport nicht Teil des Innenministeriums bleiben kann, oder?
Hartung: Ich habe das früher anders gesehen, aber inzwischen würde ich zustimmen. Ich habe mich früher von dem Argument überzeugen lassen, dass ein starkes großes Ministerium noch mehr bewegen kann für den Sport. Das ist auch ein Argument, das nach wie vor gilt. Gleichzeitig ist das Innenministerium jetzt noch größer geworden, hat turbulente Zeiten hinter sich und unheimlich große Aufgaben zu bewältigen. Da herrscht gewaltiger Druck, den man auch spürt. Wenn es beispielsweise um Fragen der Sicherheit und Migration geht, dann kann der Sport ja nicht die Nummer eins auf der Agenda sein. Insofern wäre eine eigene Organisation wünschenswert.