"Dirk lacht mich immer aus"

Haruka Gruber
05. September 201101:42
Chris Kaman und Dirk Nowitzki bilden den besten Frontcourt EuropasImago
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Er ist Deutschlands Hoffnungsträger, Dirk Nowitzkis Co-Star und der verrückteste Hund der EM. Vor dem Auftakt gegen Israel (Mi., 19.45 Uhr im LIVE-TICKER) spricht NBA-Star Chris Kaman (29) von den Los Angeles Clippers über seinen Lifestyle, seine Angstzustände und Gerüchte über einen Wechsel zu den Dallas Mavericks.

SPOX: Die Vorbereitungsphase war mit Terminen voll gepackt, unter anderem standen in zehn Tagen sechs Testspiele an. Nur am vergangenen Mittwoch bekam die Mannschaft komplett frei. Wie hat ein NBA-Star den Tag verbracht?

Chris Kaman: Mit Sightseeing. Ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle des FC Bayern war so freundlich und hat meine Ehefrau und mich abgeholt und uns zum Schloss Neuschwanstein gefahren. Unfassbar, wie schön es ist. Ich habe gefühlt tausende von Fotos geschossen und unserem Touristen-Guide sehr gut zugehört. Mich interessiert Geschichte sehr.

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SPOX: Ist Ihre Ehefrau auch in Litauen dabei?

Kaman: Nein, nur während der Vorbereitung in Deutschland. Sie war letztes Mal auch mit und ihr hat das Land sehr gut gefallen. Aber noch länger wollte sie nicht weg von der Heimat sein. Uns beiden fällt es sehr schwer, wenn wir über einen längeren Zeitraum nicht in der vertrauten Umgebung leben.

SPOX: Wie vertraut ist Ihnen bereits das DBB-Team? Hat sich etwas verändert seit 2008, als Sie zuletzt bei der Nationalmannschaft waren?

Kaman: Die Mannschaft hat ein neues Gesicht, deswegen brauchte ich eine kurze Eingewöhnungsphase, um die neuen Namen zu lernen und ein Feeling dafür zu entwickeln, wie das Team tickt.

SPOX: Und?

Kaman: Ich bin froh: Im Grunde hat sich nichts zu 2008 verändert. Ich liebe die Atmosphäre in der Kabine, dieses warme und familiäre. Wie ich damals schon sagte: Es erinnert mich an meine College-Zeit. Du hängst die ganze Zeit mit den Spielern und den Mitarbeitern des DBB zusammen und es entsteht ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das fehlt mir in der NBA.

SPOX: Auch sportlich haben Sie sich bestens eingefügt. Stimmt der Eindruck, dass Sie im Vergleich zu 2008 besser auf den FIBA-Basketball eingestellt sind?

Kaman: Ich profitiere davon, dass ich mich seit Jahren jeden Sommer sehr intensiv vorbereite und jede Verletzungspause genutzt habe, um soweit es ging an meinem Spiel zu feilen. Seit 2008 weiß ich, was im FIBA-Basketball gefordert wird: In der NBA geht es athletischer und schneller zu, international hingegen muss du das Feld öffnen können und wissen, wie man sich am Korb durchsetzt, weil weniger abgepfiffen wird. Deswegen habe ich gezielt meinen Sprungwurf und meine Fußarbeit verbessert.

SPOX: Auch körperlich scheinen Sie sich anders als Dirk Nowitzki der Bestform zu nähern.

Kaman: Das ist aber auch kein Wunder. Ich konnte im letzten NBA-Jahr nur 32 Spiele machen und hatte schon im April Urlaub. Dirks Saison ging hingegen über mehr als 100 Spiele, daher sollte man unsere Situation nicht vergleichen. Am Ende würde ich dennoch gerne mit ihm tauschen - wenn ich dafür seine Championship bekomme. (lacht)

SPOX: Nowitzki zeigte trotz konditioneller Defizite ordentliche bis gute Leistungen. Wie stark schätzen Sie das DBB-Team mit Ihnen und Nowitzki ein?

Kaman: Es wird ein schwieriger Weg, deswegen möchte ich kein konkretes Ziel nennen. Nur so viel: Wir haben eine gute Chance, in Litauen etwas zu reißen.

SPOX: Sie verstehen sich sehr gut mit Nowitzki - auf und abseits des Courts. Ist es mittlerweile eine enge Freundschaft?

Kaman: Während der NBA-Saison ist es schwierig, intensiven Kontakt zu haben, und in der Pause versucht man die wenige Zeit mit der Familie zu verbringen. Dennoch versuchen wir, so viel vom anderen mitzubekommen wie möglich. Zu telefonieren ist immer etwas schwierig, aber wir schreiben uns viele SMS. Dann fragt der eine einfach nur: "What's up?" Und der andere erzählt dann, wie es ihm geht oder wie es mit der Mannschaft läuft. Und wenn die Mavericks in L.A. spielen, kommt er rüber in mein Haus zum Abendessen und wir haben eine gute Zeit. Daher genieße ich es auch, in diesem Sommer endlich wieder mit ihm auf dem Court zu stehen.

SPOX: Wie sah der Entscheidungsprozess aus, an der EM teilzunehmen? Sie sagten sofort zu, nachdem Nowitzki grünes Licht gab. Entsprechend waren Sie früher informiert als alle anderen?

Kaman: Nein, nein. Da ging es mir genauso wie Euch deutschen Sportjournalisten. (lacht) Ich habe ebenfalls abgewartet, was er nach seinem Urlaub sagt. Als er sein Okay gab, war mir sofort klar, was ich zu machen habe. Nichtsdestotrotz fällt es mir nicht so leicht, mich für einen Sommer zu verpflichten. Ich vermisse meine Frau, mein Haus. Das alles ist sehr schwierig. Aber dass Dirk dabei ist, macht einen großen Unterschied.

SPOX: Sie sind ein komischer Kauz, das bestätigen alle Mitspieler. Nowitzki hingegen der normalste Sportstar, den man sich vorstellen kann. Wie funktioniert das?

Kaman: Ach, so unterschiedlich sind wir gar nicht. Ich bin einfach ein Typ, der ein bisschen anders tickt als viele andere, und das weiß Dirk zu schätzen.

SPOX: Kennt Nowitzki Ihre unfassbaren Videos, die im Internet geistern?

Kaman: Er kennt sie alle - und dann lacht er mich immer aus. Bei uns wird es nie langweilig. (lacht)

SPOX: Einer Ihrer spektakulären Clips ist vom Sommer letzten Jahres, als Sie in Ihrer Heimat in Michigan Feuerwerk in Wert von 10.000 Euro anzündeten. Es sah aus wie eine Mischung aus Jackass und dem Film "Armageddon". Stimmt es, dass das Feuerwerk nicht ganz legal erworben wurde?

Kaman: Das ist wahr, leider. Wegen der Feuerwerks-Sache kam ich in richtige juristische Schwierigkeiten drüben in den Staaten. Von daher muss ich aufpassen, was ich dazu sage, dass das Video aus "Youtube" rausgenommen wurde.

SPOX: War es der Spaß wert?

Kaman: Weil das Aufnahmegerät läuft: nein.

Hier geht's zu Teil II: Kaman über Angstzustände, den Lockout und einen Mavs-Trade

SPOX: Sie sind in einer ländlichen Gegend von Michigan aufgewachsen, in der Nähe von Grand Rapids. Sind Sie dort bekannt wie ein bunter Hund?

Kaman: Klar kennt man mich - aber bei uns kennt auch jeder jeden. Man grüßt sich, man quatscht kurz, das ist eine richtig nette Dorf-Atmosphäre. Vor allem, wenn ich direkt aus Los Angeles zurückkomme, fällt mir auf, wie traditionell und familiär es in Grand Rapids zugeht - und wie sehr ich das in der Metropole vermisse.

SPOX: Fällt es Ihnen schwer, in L.A. zu leben?

Kaman: Die Clippers sind mein Job, daher akzeptiere ich es. Aber ich werde es nie lieben, in einer Großstadt zu leben. Wenn es irgendwann einmal ein NBA-Team in eine kleine, beschauliche Stadt verschlagen würde, könnte ich mir vorstellen, für es zu spielen.

SPOX: Bei Ihnen wurde als Kind das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, kurz ADHS, festgestellt. Bis vor drei Jahren wurden Sie wegen einer Fehldiagnose mit den falschen Medikamenten behandelt. Wie sehr fühlen Sie sich auch heute noch beeinträchtigt?

Kaman: Bei mir wird es wohl immer so sein, dass ich Angstzustände bekomme, wenn ich große Menschenmengen sehe. Ich brauche immer meine Zeit, bis ich mich halbwegs daran gewöhnt habe. Deswegen versuche ich mich in solchen Fällen immer abzulenken. Auf Schloss Neuschwanstein zum Beispiel gab es massig Touristen. Amerikaner, Briten, Chinesen, Japaner, Franzosen, Italiener, Österreicher, alle waren da, und einige erkannten mich auch. So etwas ist sehr anstrengend, deswegen zog ich mich zurück und konzentrierte mich auf meine Frau und mich.

SPOX: Sie gehen in der Offseason Ihren eigenen Weg und bauten sich deswegen in der Heimat eine eigene Basketball-Halle, wo sie mit Ihrem Bruder und einigen Freunden trainieren. Der übliche NBA-Spieler hingegen nimmt an hochkarätig besetzten Workouts teil. Ist das kein Nachteil für Sie?

Kaman: Das ist überhaupt kein Problem, weil ich zuhause vor allem Wurfübungen und Konditionstraining durchziehe - und dafür habe ich in meiner Halle die perfekten Bedingungen. Das ist quasi mein neues Reich, mit richtig guten Korbanlagen, einem tollen Parkett und einem Kraftraum. Mein Bruder hat das alles designt. Ich bin stolz, so etwas gebaut zu haben.

SPOX: Sie sind bekannt dafür, in Ihrer Freizeit nicht nur Hallen zu bauen, sondern auch extravaganten Hobbys nachzugehen. Fliegen Sie immer noch leidenschaftlich gerne Modell-Helikopter?

Kaman: Das hatte 2008 angefangen, als ich mit der Nationalmannschaft unterwegs war. Mir war ein bisschen langweilig und ich kaufte mir einen Helikopter. Der war schon ziemlich groß und ich habe in Bamberg in der Nachbarschaft von Steffen Hamann, bei dem ich damals gewohnt habe, für Aufregung gesorgt, weil ich das Ding nicht so steuern konnte. Als ich zurück in den USA war, habe ich mir aber ein richtiges Gerät gekauft: Der Helikopter ist an sich drei Meter lang, mit ausgefahrenen Propellern hat er eine Spannbreite von vier oder fünf Metern.

SPOX: Ist so ein Helikopter nicht noch schwieriger zu steuern?

Kaman: Aber so was von. Die Steuerung ist sehr, sehr anspruchsvoll. Ich habe unglaublich viele Trainingsstunden gebraucht und musste mich vorher an den PC-Simulator setzen, um den Helikopter halbwegs zu beherrschen.

SPOX: Im Sommer 2008 haben Sie zum Zeitvertreib für sich und die Mitspieler auch mehrere Playstations gekauft. Was fiel Ihnen in diesem Sommer ein?

Kaman: Die Playstations waren nicht unbedingt für mich. Damals gab es ein Computer-Spiel, das die meisten im Team gerne gezockt haben, deswegen dachte ich mir, dass ich einfach genügend Playstations kaufe, damit jeder damit üben kann. Mittlerweile ist das Computer-Spiel aber offenbar nicht mehr so angesagt, deswegen habe ich die Mannschaft in Bamberg einfach nur einmal zum Essen eingeladen.

SPOX: Das alles passt zu jemandem, der nicht nur riesige Helikopter-Modelle fliegt und eine Sammelbestellung Playstations aufgibt, sondern sich gerne auch in Bogenschießen übt, Autos mit Maschinengewehren durchlöchert oder nebenbei eine LKW-Transportfirma aufkauft. Gefällt Ihnen Ihr Ruf des Sonderlings?

Kaman: Ich mache viele Dinge anders, weil ich mich einfach nicht davon einschränken lassen möchte, wie jeder glaubt, sich verhalten zu müssen. Die Menschen in der NBA sind einfach nicht daran gewöhnt, wenn einer ankommt und gewisse Regeln bricht. Aber mir ist das alles egal. Ich mache einfach das, was mir gefällt.

SPOX: Sie planen eine eigene Reality-Show mit dem Namen "Exploring Kaman". Wie ist der Stand?

Kaman: Ein paar Geschichten aus Litauen mit einzubringen, wäre bestimmt witzig geworden. Aber das eigentliche Filmen ist schon fertig. Wir waren Hochseefischen oder haben einen Trip nach Alaska unternommen. Alles sehr witzig und manchmal auch sehr gefährlich. Jetzt liegen die Bänder beim Schnitt, dann schauen wir nach der Bearbeitung, ob ein TV-Sender interessiert ist. Vielleicht hilft dieses Interview ja, in Deutschland einen Verantwortlichen neugierig zu machen. (lacht)

SPOX: Ein Wechsel in die BBL würde Ihren Marktwert steigern.

Kaman: Ich weiß wirklich nicht, wie es mit dem Lockout weitergeht. Ich bin am liebsten zuhause, aber wenn wirklich eine komplette Saison ausfällt, könnte es sehr gut sein, dass ich nach Übersee gehe. Und dann wäre Deutschland auf jeden Fall eine Option.

SPOX: Doch auch im Falle eines Lockout-Endes steht Ihre Zukunft in den Sternen. Angeblich denken die Clippers darüber nach, Sie zu traden. Letzte Saison waren auch die Mavs im Gespräch. Wie ist der Stand?

Kaman: Ich habe auch viele Gerüchte gehört und ich habe keine Ahnung, wer was durchsickern ließ. Es ist alles möglich. Ganz ehrlich: Stand jetzt weiß ich nicht, wie sich das alles entwickelt. Als ich das mit Dallas gehört habe, dachte ich mir schon, dass es klasse wäre, mit Dirk zu spielen. Andererseits haben sie jetzt die Championship gewonnen. Ob sie mich dann noch brauchen?

Der Spielplan zur EM 2011 in Litauen