Auch der dritte Sommer in Folge endete in Tränen. Anders als noch bei der WM 2010 und der EM 2009 gaben sich die meisten erst in der Kabine ihrem Kummer hin, doch bei Steffen Hamann und Philipp Schwethelm bahnte sich die Trauer ihren Weg. Mit verweinten Augen schritten sie durch die Mixed Zone, unfähig zu einem Kommentar.
Deutschland verspielte mit dem 75:84 gegen EM-Gastgeber Litauen nicht nur den Einzug ins Viertelfinale, sondern auch die mögliche Teilnahme an den nächsten Olympischen Spielen 2012.
Jenes Großereignis, das für Dirk Nowitzki eine geradezu magische Wirkung ausübt, weswegen er trotz der 94 NBA-Spiele währenden Saison die beschwerliche Reise ins Baltikum antrat. "Mir geht es vor allem darum, unseren jungen Spielern die Chance zu geben, Olympia kennenzulernen, so wie ich 2008", sagte er vor der EM.
Wie üblich verließ Nowitzki auch nach der Litauen-Niederlage einige Minuten später als seine Mitspieler den Arena-Innenraum. Als er bei den deutschen Journalisten stehen blieb, wirkte er weniger erschüttert denn zutiefst erschöpft.
Nowitzki: "Es lag alles an mir"
Es hätte gegen den Favoriten eines Erfolgs mit mindestens 11 Punkten Vorsprung bedurft, die höchste herausgespielte Führung betrug aber nur 2 Zähler (41:39).
Mitte des vierten Viertels ging das DBB-Team dank eines Korblegers des herausragenden Chris Kaman noch einmal in Front (64:63), mit einem 9:0-Lauf Litauens in den letzten 1:35 Minuten starb jedoch die letzte Hoffnung, sich zumindest in die fünfminütige Verlängerung zu retten und dort für die Wende zu sorgen.
Augenscheinlich die Mannstärke der Litauer, für die sich bereits in der ersten Halbzeit acht Spieler als Punktschützen eintrugen. Bei den Deutschen erzielten mit Kaman (25), Robin Benzing (18), Nowitzki (16) und Heiko Schaffartzik (13) vier Spieler 72 Zähler. Den restlichen acht Spielern gelang von einem späten Schwethelm-Dreier abgesehen kein einziger Korb.
Dennoch sagt Nowitzki: "Es lag alles an mir. Die Jungen waren super, Chris war super. Es tut mir sehr leid für diejenigen, die in Peking nicht dabei waren. Ich fühle mich schlecht, dass ich ihnen Olympia nicht ermöglicht habe."
Nowitzki kein Halb-Gott
Es sind Sätze wie diese, die Bundestrainer Dirk Bauermann bei der abschließenden Pressekonferenz zu einer Art Liebeserklärung veranlassten. "Im Basketball gibt es viele großartige Menschen. Aber es gibt niemanden, der so großartig und wundervoll ist wie Dirk Nowitzki. Ich gebe ihm unendlich viel Respekt dafür, dass er hierhergekommen ist. Er hat alles gegeben."
Doch auch Bauermann ist nicht entgangen, dass Nowitzki nicht der Gleiche war wie vor drei, vier Monaten in den NBA-Playoffs, als er sich jedem Verteidiger und jeder gegnerischen Strategie als überlegen erwies. Aus dem unbezwingbaren Basketball-Halb-Gott wurde über die Sommermonate wieder ein Mensch, körperlich und mental ermüdet von den ständigen Attacken der Kontrahenten. Gegen Litauen wurde er 11 Mal gefoult.
"Es ist unglaublich, wie Dirk bei der EM zwei Wochen lang verprügelt wurde und er dennoch nie aufgegeben hat. Nur die Körner reichten nicht aus", sagte Bauermann.
Nowitzkis Selbsteinschätzung fiel trotz 19,5 Punkten, einer Dreier-Quote von 42,1 Prozent sowie 6,6 Rebounds wesentlich drastischer aus: "Ich war einfach nicht in der Verfassung, ein großes internationales Turnier zu dominieren, wie ich es früher gemacht habe."
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Kein Knalleffekt, sondern ein leises Ausscheiden
Die Karriere des Dirk Werner Nowitzki ist gekennzeichnet durch eine stete Abfolge eines Knalls. Blamable Playoff-Niederlagen, sensationelle Erfolge mit der Nationalmannschaft, der unerwartete Gewinn der NBA-Meisterschaft: Immer ging es dramatisch zu.
Doch nach den Tagen in Litauen bleibt nur die offensichtliche wie undankbare Erkenntnis, dass das DBB-Team schlichtweg schlechter war als die Top-Nationen des Kontinents. Womöglich hätte ein Nowitzki in Bestform einen Unterschied machen können. Womöglich auch nicht.
Gegen Frankreich, Serbien, Spanien und Litauen hatte die Nationalmannschaft immer wieder Phasen, in denen sie die Partie ausgeglichen gestaltete. Nur: Es fehlte der Punch, die Nervenstärke - und die Qualität im Kader.
Galis-Rekord bleibt bestehen
Schon 4:53 Minuten vor dem Ende, als Nowitzki zu einem Sprungwurf hochging und vom 14 Jahre jüngeren Jonas Valanciunas böse geblockt wurde, woraufhin sich das grüne Meer an Litauen-Fans zu einer optischen und akustischen Welle auftürmte, beschlich einen das Gefühl, dass es nichts wird.
Nichts mit dem Weiterkommen, nichts mit einem Sieg mit 11 Punkten, nichts mit dem EM-Alltime-Scoring-Rekord des Griechen Nikos Galis, für deren Einstellung Nowitzki 37 Punkte gegen Litauen hätte machen müssen.
"Auf so etwas achte ich nicht, es geht um die Mannschaft. Aber es wäre eine schöne Nebensache gewesen", sagt Nowitzki, dessen Ära im deutschen Nationaltrikot ein vorläufiges Ende findet.
Nowitzki verschwindet in der Nische
Platz vier bei der EM 2001, Bronze bei der WM 2002, Silber bei der EM 2005, die Olympia-Teilnahme 2008: Nowitzki und das DBB-Team waren für zahlreiche denkwürdige Sport-Ereignisse des letzten Jahrzehnts verantwortlich. "Es war eine großartige Reise", sagt Nowitzki.
Einen endgültigen Rücktritt schloss er aus, doch auf die EM 2013 in Slowenien und die WM 2014 in Spanien wird er im Falle einer Qualifikation des DBB-Teams mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verzichten. Vielleicht kehrt er zur EM 2015 zurück, sollte Deutschland mit seiner Bewerbung als Mitausrichter erfolgreich sein.
Solange wird der größte Sport-Star Deutschlands wieder in der Nische verschwinden. Wer Nowitzki für die Dallas Mavericks spielen sehen will, muss mitten in der Nacht um 2 oder 3 Uhr aufstehen und je nach Rechtelage einen Pay-TV-Sender oder das Internet bemühen.
Entsprechend kam das Litauen-Spiel für viele einem Abschied von Nowitzki gleich. Er selbst wählte die Worte eines Mannes, der ein Kapitel seines Lebens beendet: "Ich möchte mich bei allen bedanken. Beim DBB, bei den Mitarbeitern, bei den Fans, bei den Journalisten. Ihr wart immer nett zu mir. Es war eine Riesenzeit."
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