SPOX: Nach dem Weiterkommen in die Zwischenrunde zieht das DBB-Team von Siauliai nach Vilnius um. Ein Ort, an dem Sie vor 14 Jahren schon einmal waren. Erinnern Sie sich daran?
Heiko Schaffartzik: Als ich gehört habe, dass die Zwischenrunde in Vilnius stattfindet, musste ich kurz nachdenken, ob ich die Stadt kenne. Mein erster Gedanke: nö. Mein zweiter Gedanke: ach doch!
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SPOX: Sie waren damals als 13-Jähriger an Leukämie erkrankt und reisten dennoch mit Ihrem Jugendteam nach Litauen, um an einem Turnier teilzunehmen.
Schaffartzik: Damals hatte ich die harte Phase der Chemotherapie hinter mir. Die Blutwerte waren im Arsch und ich war körperlich komplett kaputt. Es wird ja Gift in den Körper gepumpt, um die Zellen zu zerstören. Zur Erholung wurde die Behandlung für zwei Wochen abgesetzt und ich musste nur Pillen nehmen. Dass ich einen Katheter in der Brust hatte für die Blutabnahme und die Infusionen, war mir egal. Ich konnte mitfahren und mit meinen Jungs spielen. Als ich dann auf dem Parkett stand, habe ich mich auch wie sonst üblich fürchterlich geärgert, wenn ein Wurf vorbeiging.
SPOX: Aber Sie hatten doch Leukämie.
Schaffartzik: Für meine Teamkollegen und für meinen Trainer war es bestimmt ein seltsames Gefühl, doch ich habe mich nie als krank empfunden. Eher, als ob ich eine normale Verletzung erlitten hätte und ein paar Monate nicht trainieren konnte.
SPOX: Mit 16 ging es unheilvoll weiter: Bei Ihnen wurde Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert. Wegen Ihres geschmissenen Abiturs wäre es ohnehin nicht möglich, aber hatten Sie mit Ihrer Krankengeschichte jemals die Ambition, wie Ihr Vater Arzt zu werden? Ex-Bundesliga-Spieler Walter Schaffartzik leitet das Berliner Unfallkrankenhaus.
Schaffartzik: Mein Opa war Arzt, mein Vater und Onkel sind Ärzte und meine beiden Cousinen aus der Ecke wurden ebenfalls Ärztinnen. Ich selbst spürte aber wie mein Bruder und meine Schwester nie den Drang dazu. Es hat wohl mit der Erziehung meiner Eltern zu tun, die uns nie zu etwas gedrängt haben.
SPOX: Bereuen Sie es dennoch, in der Oberstufe abgebrochen zu haben?
Schaffartzik: Ich weiß gar nicht, was ich studieren wollen würde. Zumal ich es derzeit nicht mit dem Profi-Basketball vereinbaren könnte. Daher bereue ich mein fehlendes Abitur nicht unmittelbar. Es ist eher schade, dass ich eine Option weniger habe in meinem Leben. Vielleicht wäre ein Studium in Richtung Film - Drehbücher schreiben, Regie führen -, für mich etwas gewesen.
Schaffartzik im SPOX-Interview 2009: "Ich kiffe nie wieder"
SPOX: Sind Filme Ihre Leidenschaft und eine mögliche Abwechslung an einem langen EM-Nachmittag?
Schaffartzik: Ja, aber nicht mehr so viel wie früher. Ich lese auch ganz gerne und bilde mich weiter, weil ich gemerkt habe, dass es mir besser geht, wenn ich im Hotel nicht nur rumsitze und die Glotze auf mich einrieseln lasse. So eine Art von Leerlauf ist kontraproduktiv für meine Leistung.
SPOX: Suchen Sie nur die Zerstreuung oder beschäftigen Sie sich mit dem anstehenden Gegenspieler?
Schaffartzik: Das ist eine weitere Lehre der letzten Jahre: Bei der WM 2010 dachte ich im Hotelzimmer viel zu viel über Fragen nach wie: Was habe ich beim Spiel davor gut oder falsch gemacht? Welchen Guard stellt der Gegner auf und warum? Welche Systeme laufen sie? Das alles lasse ich jetzt weg und verlasse mich auf den Scouting Report des Coaches. Ich weiß nun, dass ich mich nicht künstlich aufzuputschen brauche, weil ich mit dem Tipoff ohnehin schon so extrem motiviert bin, wie es nur geht. Das Grübeln davor raubt einem nur die Energie.
SPOX: Das ist Ihnen in den letzten Jahren passiert?
Schaffartzik: Bei der EM 2009 sagte ich mir nach jedem guten Spiel: "Oha, das restliche Turnier wird bestimmt weiter so super laufen." Nach einer schwachen Leistung hingegen dachte ich fast, dass die Welt untergeht. Jetzt ist mir bewusst, dass das natürlich Schwachsinn ist. Jedes Spiel fängt bei Null an. So banal es klingt, aber dieses Wissen musste ich erst verinnerlichen.
SPOX: Sie sagten bereits vor zwei Jahren im SPOX-Interview, dass Sie reifer geworden sind. Sind Sie nun noch erwachsener?
Schaffartzik: Diese Aussage von damals möchte ich widerrufen. Im Grunde habe ich gar keine Ahnung, was Reife bedeutet und ob ich mir das überhaupt als Ziel vornehmen soll. Der Mensch an sich ist so veranlagt, dass er die gesamte Kindheit und Jugend damit verbringt, so schnell wie möglich erwachsen werden zu wollen. Und dann sind sie erwachsen - und wünschen sich die nächsten 50 Jahre die Kindheit zurück. Ist es also gut, sich alt zu fühlen? Oder kindisch? Ich finde es nicht erstrebenswert, reif zu sein.
SPOX: Dennoch hat sich bei Ihnen etwas verändert.
Schaffartzik: Ich sehe die Dinge nüchterner. Der Begriff trifft es besser. Ein Beispiel: Früher haben mich Niederlagen die Nacht gekostet. Mittlerweile kann ich immer noch nicht gut schlafen, aber es geht wenigstens.
SPOX: Diese neu entdeckte Nüchternheit zeigt sich auch in Ihrem Spielstil. Sie scheinen eine innere Mitte gefunden zu haben.
Schaffartzik: Ich ahnte es früher nicht, doch ich bin ein Typ Basketballer, der eine klare Struktur braucht. Ich finde es angenehm, wenn wir eine feste Rotation spielen und mit Dirk Nowitzki und Chris Kaman die ersten beiden Optionen ausgemacht sind. Ich ticke generell als Mensch offenbar so, dass ich gewisse Routinen und Vorgaben benötige.
SPOX: Wie erklären Sie sich im Nachhinein Ihre im Vergleich zur EM 2009 durchwachsene Vorstellung bei der WM 2010?
Schaffartzik: Am selbst auferlegten Druck, alles noch besser machen zu wollen. Es haben jedoch auch andere Faktoren eine Rolle gespielt, auf die ich nicht eingehen möchte.
SPOX: Wie sehr hat Sie das Ausscheiden bei der WM und EM geprägt? Beide Male flossen in der Kabine bittere Tränen.
Schaffartzik: Beide Ereignisse haben krass an mir genagt. Aber die Jahre haben sich grundlegend unterschieden. Bei der EM 2009 sind wir haarscharf am Viertelfinale und damit an der Sensation vorbeigeschrammt, weil wir gegen Kroatien nur mit 2 Punkten verloren hatten. Und das im ersten Jahr ohne Dirk Nowitzki. Es hatte immer einen positiven Beigeschmack. Die WM 2010 mit dem Vorrunden-Aus war mir hingegen peinlich.
SPOX: Warum peinlich?
Schaffartzik: Wir haben damals die Serben geschlagen und die Argentinier an den Rand einer Niederlage gebracht. Dass wir es dann nicht auf die Kette bekamen, die vorhandenen Fähigkeiten abzurufen und bei allem Respekt einfach mal Angola wegzuhauen, bringt mich noch heute dazu, mich peinlich berührt zu fühlen.
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