Es kommt selten vor, dass es den US-Sportkommentatoren die Sprache verschlägt. Im August 2004 war so ein Tag. Da spielte ihre US-Auswahl bei den Olympischen Spielen in Athen und war fest entschlossen, die peinliche Niederlage gegen Puerto Rico wieder wettzumachen. Und tatsächlich: Allen Iverson, LeBron James und Co. lieferten gegen Litauen ihre bisher beste Partie des Turniers.
Die hartnäckigen Balten, die das US-Team schon bei der WM 1998 bezwungen hatten, ließen aber nicht locker und trugen ihren Teil dazu bei, dass die Partie bis weit in das vierte Viertel spannend blieb.
Dann kam Sarunas Jasikevicius. Drei Minuten vor Schluss täuscht der Point Guard gegen Lamar Odom einen Wurf an. Odom springt in Jasikevicius hinein, der verwandelt den Dreier und wirft auch noch den Bonusfreiwurf ins Netz.
Die USA verpasst die Chance zur erneuten Führung, Jasikevicius antwortet trocken mit einem weiteren Dreier. Im nächsten Angriff wieder das gleiche Spiel: Wieder Jasikevicus, wieder von Downtown, wieder nothing but net. Timeout USA!
Der beste Point Guard der Welt?
Am Ende gewinnt Litauen mit 94:90 und ist damit nach der Sowjetunion die einzige europäische Nation, die die USA bei Olympischen Spielen bezwingen kann. Jasikevicius spielt sich mit 28 Punkten erstmals auf den Notizblock zahlreicher NBA-Scouts, die den 28-Jährigen bis dahin verschmäht hatten.
"Kann es sein, dass der beste Point Guard der Welt gar nicht in der NBA spielt?", titelte "nba.com" am Tag nach der zweiten Niederlage in Athen. Der Hype um den Spielmacher mit der Nummer 13 hatte über Nacht auch die Menschen jenseits des Atlantik gepackt. Jetzt, zehn Jahre später, ist davon nicht mehr viel übrig. Das Erbe von "El Mago" ist aber omnipräsent.
Vor wenigen Tagen kündigte Jasikevicius sein Karriereende an. Mit ihm geht einer der besten europäische Point Guards aller Zeiten vom Parkett. Der mittlerweile 38-Jährige ebnete mit seiner Leistung von Athen im Rückblick den Weg in die NBA für viele europäische Profis. Viele Franchises schickten trotz des großen Euro-Booms noch mehr Scouts in die Hallen und suchten gezielt nach Verstärkungen aus Europa.
Bird zu Gast in Tel Aviv
Besonders in der Spielzeit nach seinem glorreichen Auftritt in Athen, der dem litauischen Team am Ende den vierten Platz bescherte, stieg das Interesse aus der NBA rapide an. Larry Bird höchstpersönlich verschlug es im Auftrag der Indiana Pacers in die Halle von Maccabi Tel Aviv. Die Celtics-Legende durfte dabei einen Jasikevicius auf dem Höhepunkt seines Schaffens bestaunen.
Nach dem Triple aus Pokal, Meisterschaft und Euroleague sowohl 2003 mit dem FC Barcelona als auch 2004 mit Tel Aviv mutierte "Saras" endgültig zur fleischgewordenen Inkarnation des europäischen Basketballs.
Der Litauer traf gefühlt von der Mittellinie und verfügte über eine herausragende Spielübersicht. Hinzu kam noch das Spezielle, das Magische, das Jasikevicius auszeichnete. Dann spielte er wie aus dem Nichts den perfekten Pass in Lücken, die es gar nicht gab und in Räume, die seine Gegner vermeintlich hermetisch abgeriegelt hatten.
Der Sprung in die NBA
Dementsprechend heiß war die NBA auch auf den Litauer, der nach drei Euroleague-Titeln in Folge, dem EM-Titel 2003, der Auszeichnung zum MVP des Turniers und zahlreichen weiteren Meisterschaften und Pokalsiegen den Sprung in die beste Liga der Welt wagte. Neben den Pacers machten die Trail Blazers, Cavaliers und die Jazz Jasikevicius ein Angebot.
Am Ende zog Indiana das große Los und holte ihn für drei Jahre und zwölf Millionen Dollar. Spieler aus Europa, die nicht über die Draft in die NBA kamen, waren damals noch absolute Ausnahmefälle.
Mittlerweile ist Europa vom Abstellgleis für Draft-Picks zu einem lukrativen Markt für NBA-Franchises geworden. Der überbordende Euro-Boom der frühen 2000er ist mittlerweile abgeklungen. Die Scouts analysieren potentielle Talente viel genauer und sorgfältiger, so dass Busts à la Darko Milicic zur Ausnahme geworden sind.
Luis Scola, Tiago Splitter und Jonas Valanciunas sind nur drei weitere Beispiele, die zeigen, dass ein paar starke Jahre in Europa die Chancen, sich in der NBA durchzusetzen, deutlich erhöhen können. Diese Entwicklung gipfelte im Sommer in der Verpflichtung von Nikola Mirotic durch die Chicago Bulls. 16,6 Millionen wird der Spanier in den drei Jahren verdienen - Rekord für einen NBA-Rookie!
"Nicht bereit für die NBA"
Jasikevicius selbst schrieb jenseits des Atlantik allerdings das wohl schwärzeste Kapitel seiner Karriere. 7,3 Punkte und drei Assists im Schnitt lautete die magere Ausbeute bei den Pacers, bevor er nach eineinhalb Jahren zu den Golden State Warriors getradet wurde.
'"Ich hätte wissen müssen, dass ich für die NBA nicht bereit bin. Ich hätte wissen müssen, dass in der NBA keine Zeit ist zum Training und zur Selbstreflexion. Erst als ich nach den zwei Jahren nach Europa zurückkam, konnte ich wieder zu mir selbst finden und mich verbessern. So waren zwei Jahre in meiner Entwicklung für den Müll", erklärte Jasikevicius im SPOX-Interview.
Jasikevicius' Spielweise war einfach nicht für das athletische, schnelle Spiel in der NBA gemacht. Der Litauer brachte den Ball lieber kontrolliert nach vorne, anstatt schnell zu spielen und permanent zum Korb zu ziehen. Seine schwache Defense war ebenfalls kein Vorteil.
Dennoch gibt der Litauer auch seinem Coach Rick Carlisle die Schuld: "Den Spielstil, den er mir versprochen hat, habe ich nie auf dem Parkett gesehen. Die Chancen, die er mir versprochen hatte, habe ich nicht gesehen. Spieler, die eigentlich schon längst nicht mehr da sein sollten, waren immer noch im Team", beschwerte sich Jasikevicius am Rande der Olympischen Spiele in Peking 2008.
Europa als Alternative
Doch auch sein Misserfolg in der NBA hat den europäischen Basketball nachhaltig geprägt. Spieler wie Milos Teodosic oder Sergio Llull wagten den Sprung über den großen Teich erst gar nicht und brillieren lieber auf europäischer Ebene.
Auch Jasikevicius konnte zurück in heimischen Gefilden an seine alten Erfolge anknüpfen. Mit Panathinaikos Athen feierte er 2009 noch einmal den Triumph in der Europa League und ist damit der einzige Spieler, der mit drei verschiedenen Klubs den bedeutendsten europäischen Vereinstitel gewann.
Im selben Jahr erlebte er zudem einen für ihn persönlich enorm wichtigen Höhepunkt. Mit Zalgiris Kaunas, wo er demnächst als Assistenztrainer fungieren wird, holte er seine erste Meisterschaft in seiner Heimat Litauen. Zuvor war er mit Lietuvos Rytas stets gescheitert.
Der Türoffner
Mit seinem Rücktritt endet eine der beeindruckendsten Laufbahnen im europäischen Basketball. Auf dem alten Kontinent räumte er nahezu jeden möglichen Titel ab. Neben Dirk Nowitzki, Pau Gasol und Tony Parker hat seit der Jahrtausendwende wohl kein Spieler die Beziehung zwischen der NBA und Europa so nachhaltig geprägt wie "El Mago".
Seine Leistungen in Athen ließen den Respekt der Amerikaner gegenüber europäischen Spielern wachsen, vor dem Spiel um die Bronzemedaille, in dem die Vereinigten Staaten erneut auf Litauen trafen, warnten die US-Medien Coach Larry Brown sogar eindringlich vor dem litauischen Spielmacher. Jasikevicius fungierte als Türöffner für viele Euroleague-Stars. Mirotic, Bogdan Bogdanovic und Mirza Teletovic sind aktuelle Beispiele dafür.
Auch Spieler wie Ricky Rubio und Andrea Bargnani wären wohl nie mit so viel Hype in die NBA gekommen, hätten die Amerikaner den europäischen Basketball weiterhin als zweitklassig angesehen.
Schlagabtausch in Spanien
Das Vermächtnis des 38-Jährigen ist enorm. Die NBA hat sich im vergangenen Jahrzehnt immer mehr geöffnet, europäische Spieler sind längst keine Exoten mehr. Viele Franchises suchen in Europa sogar gezielt nach Verstärkungen und versuchen Stars zu ihrem Team zu locken.
Zum nächsten Vergleich auf internationaler Ebene kommt es bei der WM. Nach 17 Jahren in der Nationalmannschaft wird Jasikevicius erstmals wieder auf der Tribüne Platz nehmen müssen. Sein Einfluss wird aber weiterhin vorhanden sein. Auch wenn er die Fans nicht mehr mit Dreiern und Zauberpässen am laufenden Band verzückt.