Beim ungeschlagenen Tabellenführer Alba Berlin ist Akeem Vargas der Mann für die Defensive. Vor zwei Jahren spielte er noch in der Pro A bei der BG Göttingen, jetzt soll er in der Euroleague Milos Teodosic und Co. stoppen. Im SPOX-Interview erzählt Vargas, wie er diese Aufgaben meistert, was sein Coach dazu beiträgt und was er mit Michael Jordan gemeinsam hat. Außerdem: Erfahrungen an einem kleinen US-College.
SPOX: Herr Vargas, vor zwei Jahren haben Sie noch in der Pro A für Göttingen gespielt - jetzt geht es in der Euroleague gegen die besten Teams Europas. Wie schwierig war es, sich an das neue Niveau anzupassen?
Akeem Vargas: Wenn mir jemand vor zwei Jahren erzählt hätte, dass ich heute in der Euroleague spiele, hätte ich denjenigen wahrscheinlich für verrückt erklärt. Ich bin Alba sehr dankbar, dass sie dieses Risiko mit mir eingegangen sind. Andere Teams wollten keinen Spieler aus der Pro A verpflichten. Alba hat es getan, weil sie die deutsche Schiene fahren wollten und haben mir damit eine Riesenchance ermöglicht und mich zum Nationalspieler gemacht. Jetzt spiele ich in der Euroleague - und auch wenn es schneller ist und die Spieler einen höheren Basketball-IQ haben - es ist immer noch Basketball. Ich glaube, dass in unserem Team jeder weiß, was er kann und was er tun muss, damit wir als Sieger vom Platz gehen.
SPOX: Vor Ihrem Jahr in Göttingen spielten Sie in Tübingen in der BBL. Was hat Ihnen dieser vermeintliche Rückschritt in die Pro A für Ihre Entwicklung gebracht?
Vargas: Mir hat die Pro A eine Bühne gegeben. Ich konnte zeigen, dass ich auch offensiv einiges draufhabe. Bis dahin wurde ich als reiner Defensivspezialist wahrgenommen. Deshalb war es schön, dass ich in Göttingen grünes Licht bekommen habe. Das war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass ich "Youngster des Jahres" geworden bin. Für mich war es genau der richtige Schritt, um mich zeigen zu können und dann zu einem Top-Klub zu wechseln.
SPOX: Bei diesem Top-Klub sind Sie allerdings wieder als Defensivspezialist gefragt.
Vargas: Es ist auch angenehm, eine feste Rolle zu haben. Das funktioniert bei einem Klub wie Alba, bei dem wir eine große Rotation haben, natürlich besser. In Tübingen vor meiner Station in Göttingen war die Situation eine andere. Wenn der Coach höchstens ein bis zwei Deutschen regelmäßig Minuten gibt, fällt es schwer, eine eindeutig zugewiesene Rolle zu spielen. Bei Alba weiß ich, was der Coach von mir will und ich kann mit Einsatzzeit rechnen.
SPOX: Hätten Sie in Tübingen bereits eine größere Rolle spielen können, wenn Ihnen der Coach das Vertrauen gegeben hätte oder kam die BBL damals noch zu früh für Sie?
Vargas: Im Profisport ist es immer so, dass andere Leute die Entscheidungen treffen. Coach Perovic war damals der Meinung, dass die BBL für mich zu früh kam, das akzeptiere ich natürlich. Ich habe im Training damals genauso hart gearbeitet wie ich es jetzt in Berlin tue und vorher in Göttingen auch getan habe. Von daher glaube ich schon, dass ich aus meiner persönlichen Sicht durchaus bereit war, zu spielen. Ich würde Tübingen nicht als Fehler in meinem Karriereweg bezeichnen, sondern eher als einen der Steine, die man dem Sprichwort nach aus dem Weg räumen muss. Jetzt bin ich glücklich darüber, dass ich es zu einem Topteam geschafft habe.
SPOX: ...und das als 3-and-D-Spezialist. Wie kamen Sie zu dieser "Nische"?
Vargas: Ich passe mich eigentlich immer an. Allerdings war ich immer schon defensiv stärker und habe mich schon früh über Defense definiert. Aber man hat ja in Göttingen gesehen, dass auch das Offensiv-Spiel für mich kein Problem ist. Es ist immer die Frage, was mein Team braucht und das versuche ich zu geben. Wenn man Spiele gewinnen will, muss man gut verteidigen. Mein ehemaliger Trainer, Felix Czerny, sagte immer zu mir: "Wenn du gut verteidigst, hast du auch einen Grund, auf dem Feld zu stehen." Das ist natürlich hängen geblieben.
SPOX: Hängen geblieben ist sicher auch die Niederlage im Finale gegen die Bayern. In dieser Saison sind Sie in der BBL noch ungeschlagen. Ist so eine Finalpleite noch mal eine zusätzliche Motivation?
Vargas: Es ist immer schwierig, wenn man im Finale ist, kurz vor dem Titel steht und am Ende doch nicht gewinnt. Es war für uns alle hart, das Finale zuhause zu verlieren. Als wir in der Kabine saßen, haben wir uns geschworen, dass wir uns wieder die Chance geben wollen, um die Meisterschaft mitzuspielen.
SPOX: Um das zu erreichen zählen Sie größtenteils noch auf das gleiche Team wie in der vergangenen Saison. Ist das ein zusätzlicher Vorteil?
Vargas: Ich glaube gar nicht, dass das eine so große Rolle spielt. Vergangenes Jahr waren wir ja neu zusammengewürfelt. Man hat aber gesehen, dass wir uns auch da sehr gut gefunden haben. Jetzt funktioniert das mit unseren neuen Puzzleteilen erneut sehr gut. Die Frage ist eher, wie gut der Coach ist. Der ist für die Mannschaftszusammenstellung verantwortlich und dafür, dass alle richtig auf den Gegner eingestellt sind.
SPOX: Was macht Sasa Obradovic in diesen Bereichen richtig?
Vargas: Unser Coach fährt gerne mal die laute Schiene. Was man bei ihm aber nicht vergessen darf, ist, dass er unglaublich viel über Basketball weiß und sich die Zeit nimmt, den jungen Spielern Dinge zu erklären. Gerade diese kleinen Tipps sind der große Schlüssel zum Erfolg und für unsere Teamchemie.
SPOX: Gibt es manchmal auch Schwierigkeiten mit dieser "lauten Schiene"?
Vargas: Nein, eigentlich nicht. Es ist seine Art und auf die muss man sich einstellen. Jeder Spieler, der nach Berlin kommt, weiß, dass Sasa ein sehr temperamentvoller Coach ist. Nur manchmal ist es schwierig, ihn zu verstehen, wenn er vom Serbischen ins Englische wechselt. Was der Zuschauer nur als wildes Gestikulieren empfindet, versteht der Spieler am Ende aber schon.
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SPOX: Wie löst Obradovic und das Team die Problematik der Doppelbelastung mit der Euroleague? Die ist für Sie und einige andere Spieler schließlich neu. Was verändert sich dadurch?
Vargas: Wir spielen eine sehr große Rotation. Darum ist das kein großes Problem für uns. Die Vorbereitung auf die Euroleague läuft so wie sie im vergangenen Jahr auch war. Dank der Videosessions und unserer Assistant Coaches sind wir immer sehr gut eingestellt. Es ist sehr wichtig, dass jeder Spieler topinformiert ist über den Gegner. Vielleicht lassen sich da die zwei oder drei Prozent herausschöpfen, die am Ende den Unterschied machen.
SPOX: Fällt es in der Euroleague schwerer, Ihren Spielstil, der immer viel Druck auf den Gegner aufbaut, durchzuziehen?
Vargas: Natürlich. Diese Teams muss man noch härter angehen, weil sie so starke Einzelkönner haben. Zum Beispiel Moskau mit Milos Teodosic. Man wird es nicht schaffen, ihn komplett aus dem Spiel zu nehmen. Dafür ist er als einer der besten Point Guards in Europa einfach zu gut. Man muss versuchen, den Druck über 40 Minuten hochzuhalten. Das ist uns in den ersten Spielen nicht so gut gelungen, darum waren wir in diesen auch nicht erfolgreich.
SPOX: Wie verändert sich für Sie selbst die Vorbereitung?
Vargas: Ich bereite mich immer gleich auf meine Gegner vor - egal ob BBL oder Euroleague. Ich schaue mir den Gegner in den Videosessions mit der Mannschaft an und bereite mich zudem individuell auf meinen direkten Gegenspieler vor. Dafür versuche ich im Vorfeld immer, zwei ganze Spiele des Gegners anzusehen, um zu sehen: Wann braucht er eine Pause? Wie reagiert er, wenn es mal nicht so gut läuft? Ich bereite mich also immer sehr intensiv vor.
SPOX: Nun zu Ihren Anfängen: Sie sind erst mit 15 zum Basketball gekommen - was hat so lange gedauert?
Vargas: Ich habe wie ungefähr jeder sportbegeisterte Junge in Deutschland mit Fußball angefangen. Das war meine erste große Liebe. Basketball hatte ich zunächst gar nicht auf dem Schirm, das kam erst später.
SPOX: Als es dann endlich gefunkt hatte, haben Sie sich auch in den USA versucht, allerdings an einem kleinen College, da Sie bereits professionell Basketball in der Pro B gespielt hatten. Darum durften Sie nicht in der NCAA spielen. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?
Vargas: Zunächst war es natürlich sehr ärgerlich, dass ich keine Spielberechtigung erhalten habe. Der Schritt war dennoch richtig. Das Jahr bei in Iowa Lakes hat mich menschlich weitergebracht. Alles läuft dort familiärer ab, jeder Professor kennt die Namen der Studenten. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Basketball dort. Die Leute erkennen einen auf der Straße. Das Team war auch klasse, ich habe mich sehr wohlgefühlt - obwohl ich dort nur von Kornfeldern umgeben war. Außerdem bin ich mental stärker geworden. Im direkten Duell mit den Amerikanern habe ich gemerkt, dass sie anders an die Sache herangehen, dass es für sie nicht nur ein Spiel ist. Das hat mir gerade auch in der schwierigen Zeit in Tübingen einen Schub gegeben.
SPOX: Dann sind Sie aber doch nach Deutschland zurückgekehrt, obwohl sie nach einem Jahr für die NCAA spielberechtigt gewesen wären. Weshalb?
Vargas: Es gab Angebote von Colleges, aber ich habe gemerkt, dass mit der Spielstil dort eigentlich nicht so sehr liegt. Es ist doch sehr auf das Eins-gegen-Eins ausgerichtet. Daher habe ich gemeinsam mit meiner Familie beschlossen, dass es für meine Entwicklung besser wäre, wieder in Europa zu spielen, um mich besser an das europäische Spiel zu gewöhnen und anzupassen.
SPOX: Ein Teil Ihres Spiels, der Trash Talk, passt allerdings auch in die USA. Seit wann machen Sie das schon?
Vargas: Wenn man ein guter Verteidiger ist, ist man automatisch im Kopf seines Gegenspielers. Der Hauptgrund für die Trash-Talk-Welle in der vergangenen Saison ist, dass einige Spieler nicht mit einem aggressiven Verteidiger umgehen konnten, der keinen Schritt zurückweicht. Ich versuche immer, so gut zu verteidigen wie möglich. Wenn ich rede, gehe ich nie unter die Gürtellinie. Ich beleidige niemanden und auch die Familienmitglieder bleiben außen vor.
SPOX: Was sagen Sie stattdessen?
Vargas: Ich sage meinem Gegenspieler, dass er jetzt schon zweimal daneben geworfen hat und es besser nicht noch ein drittes Mal tun sollte. Es geht schließlich um das Spiel und nicht um Beleidigungen. Wenn ein Gegner frustriert ist und austeilt, bin ja eigentlich eher ich das Opfer.
SPOX: Sie haben als "Trash-Talk-Vorbilder" einmal Michael Jordan und Reggie Miller genannt. Die haben ihre Gespräche auf dem Platz nicht nur beim Basketball gehalten...
Vargas: Ich war ja damals leider nicht dabei. Ich weiß nur, was jeder NBA-Begeisterte weiß, der Biographien gelesen und Videoclips gesehen hat. Daher weiß ich nur, was sie über sich selbst erzählen. Von Jordan weiß ich zum Beispiel, dass er zu John Starks von den Knicks sagte, dass er endlich mal einen Wurf treffen solle. Das ist meiner Herangehensweise ja irgendwie ähnlich.