"Das Pensum wäre tödlich gewesen"

Haruka Gruber
30. Dezember 201421:33
Rolf Beyer (r.) stieg in Bamberg überraschend zum Baskets-Boss aufimago
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Die wohl bemerkenswerteste Story des deutschen Basketballs im Jahr 2014: Rolf Beyer wurde vom BBL-Nobody zum Boss eines Spitzenklubs. Im Interview spricht der Geschäftsführer der Brose Baskets Bamberg über den kuriosen Verlauf der letzten Monate mit drei Jobs gleichzeitig, die Ernennung des neuen Sportdirektors mit NBA-Erfahrung und seine Überlegungen mit Nowitzki-Mentor Holger Geschwindner.

SPOX: Herr Beyer, Ihr Name ist selbst unter Experten kaum bekannt, dabei schrieben Sie 2014 eine der bemerkenswertesten Geschichten des deutschen Basketballs: vom kaufmännischen Leiter einer Fabrik für Fahrzeugteile hin zum Boss eines BBL-Topvereins. Wie fing das alles an?

Rolf Beyer: Es begann im Juni 2013 mit dem Umbau der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse der bestehenden Gesellschaft und den neuen Besitzstrukturen bei den Brose Baskets. In der Folge konzipierte ich einen Restrukturierungsplan, woraufhin Michael Stoschek, Vorsitzender der Brose-Gesellschafter, zu mir kam und mir sagte, dass ich scheinbar ein strukturierter Mensch sei und er mich gerne an seiner Seite im neuen Aufsichtsrat sehen würde. So fing ich an, mich richtig intensiv mit den Brose Baskets zu beschäftigen.

SPOX: Es wurde schnell turbulenter.

Beyer: Im Januar 2014 stellten wir Marko Beens als zweiten Geschäftsführer neben Wolfgang Heyder ein, damit auf der operativen Ebene Ruhe einkehrt. Aber dann kamen wir sportlich ins Straucheln, Wolfgang ging schrittweise raus - und im Juni war plötzlich auch Marko auf einen Schlag weg. Ich weiß noch, wie ich zu der Zeit am Gardasee im Urlaub war und den Anruf erhielt, ob ich nicht sofort die Geschäftsführung übernehmen könnte, weil ich nach dem Ausscheiden von Marko und Wolfgang am dichtesten dran wäre. Angedacht waren ursprünglich sechs bis zwölf Monate. Ich sagte also zu - merkte jedoch schnell, dass es mit drei Jobs gleichzeitig nicht funktioniert.

SPOX: Drei Jobs?

Beyer: Am 1. Juli hatte ich drei Aufgaben: Den alten Job als kaufmännischer Leiter der Brose-Produktionsstätte in Hallstadt, zudem hatte mich der Finanzvorstand gefragt, ob ich das Controlling der Brose-Gruppe weltweit übernehme - und eben die Geschäftsführung der Brose Baskets. Die Arbeitswoche ging über die kompletten sieben Tage. Montag fuhr ich zum Controlling nach Coburg, am Freitag nach Hallstadt und die restlichen Tage inklusive der Wochenenden gehörten dem Basketball. Ich machte es zweieinhalb Monate mit, doch vor dem BBL-Start musste ich mich entscheiden, sonst wäre das Pensum tödlich gewesen. Und weil ich bei den Brose Baskets so viel mitverändert hatte und es keinen Sinn gemacht hätte, plötzlich wieder rauszugehen, habe ich mich für den Basketball entschieden.

SPOX: Wie kommen Sie mit der teils irrationalen Hektik im Profisport klar? Der Alltag als Controller ist wohl deutlich ruhiger.

Beyer: Im Industriebetrieb kommen ebenfalls immer wieder Überraschungen auf einen zu, wobei das in einem anderen Rhythmus der Fall ist. Im Sport muss man sich viel schneller auf neue Themen einstellen und darauf, dass im Positiven wie im Negativen plötzlich Dinge auf einen einstürzen, auf die du zum Teil wegen der öffentlichen Wirkung sofort reagieren musst. Daher war es nötig, dass ich mich neu sortiere, was das Zeitmanagement und die Medienarbeit anbelangt. Dennoch bleibt es eine tolle Herausforderung und der Vertrauensvorschuss des Aufsichtsrats ist sehr positiv. Ich kann viele Dinge in Ruhe abarbeiten.

SPOX: Wie reagierte das Basketball-Establishment auf Sie - immerhin haftet an Ihnen keinerlei Stallgeruch? Gab es Skepsis?

Beyer: Nein, gar nicht. Berlins Marco Baldi dachte vor dem ersten Treffen am Rande der BBL-Tagung im September, dass da ein junger Hüpfer ankommt, der total grün hinter den Ohren ist. Jetzt weiß er, dass ich für andere Werte stehe. Auch sonst waren die Reaktionen sehr positiv. Ich glaube, dass ich mich mit meiner etwas anderen beruflichen Vergangenheit in Strukturdiskussionen der Liga gut einbringen und neue Perspektiven anbieten kann. Ich telefonierte unter anderem mit Edward Scott, dem COO der Euroleague, und er sagte, dass er froh ist um jeden, der für Organisation und Solidität steht. Es würde in Europa sicherlich der eine oder andere Ex-Profispieler oder Trainer bei Ihren Klubs für Strukturen zuständig sein, dem jedoch die Ausbildung fehle und der deshalb eher hemdsärmelig rangehen würde. Daher glaube ich, dass Leute wie ich im Basketball-Geschäft eine sinnvolle Ergänzung sind.

SPOX: Trotzdem: Haben Sie keine Zweifel, dass Sie zwei krisensichere Jobs bei einem Milliardenunternehmen wie Brose aufgaben, um in das von Hire-and-Fire geprägte Basketball-Geschäft zu wechseln?

Beyer: Die Brose-Führung versicherte mir, dass in der Firma immer ein Platz für mich ist. Unabhängig von dieser schönen Zusage mache ich mir da keine Gedanken. Meine Leistung muss passen, dann wird es da wie dort funktionieren. Zumal ich über eine optimistische Grundeinstellung verfüge und nicht davon ausgehe, bei den Brose Baskets gleich zu scheitern.

SPOX: Ein Rätsel bleibt in der Retrospektive weiter der plötzliche Abschied von Beens. Man dachte, dass er den Machtkampf gegen den damaligen Mit-Geschäftsführer Heyder gewonnen hätte und von Stoschek unterstützt wird.

Beyer: Ich bedauere es persönlich, dass er gegangen ist. Im Nachhinein wissen wir, dass die Arbeitsweisen von Marko und Wolfgang, also sehr nüchtern und strukturiert versus kreativ und impulsiv, zu unterschiedlich waren. Erschwerend kam hinzu, dass in der extrem hektischen Phase der Aufsichtsrat sehr intensiv Einfluss nahm. Dass das Arbeiten unter dieser Drucksituation nicht einfach war und er irgendwann eine Entscheidung treffen musste, kann ich verstehen.

SPOX: Kein Beens, kein Heyder: All die Aufgaben inklusive des sportlichen Bereichs gingen auf Sie über. Wie wohl fühlen Sie sich im Haifischbecken Basketball?

Beyer: Ich kann mit meiner Erfahrung viele Dinge richtig einschätzen, wenn beispielsweise ein Agent anruft und seine Interessen verfolgen will. Wobei es vermessen wäre zu glauben, die sportlichen Geschicke auf Dauer zu führen. Deswegen haben wir mit Daniele Baiesi die Position des Sportdirektors neu besetzt. Das Programm mit der Profimannschaft und dem gesamten Jugend-Unterbau hat Dimensionen erreicht, die sehr zeitintensiv sind.

SPOX: Wie viele Bewerbungen kamen wegen des Sportdirektor-Postens bei Ihnen an? 50?

Beyer: So viele sind es gar nicht. Ich weiß nicht exakt, wie groß der Markt im deutschen Basketball für Sportdirektoren ist. Der Kreis an qualifizierten Kandidaten dürfte jedoch überschaubar sein.

SPOX: Was war mit Pascal Roller? Sein Rat wird im Aufsichtsrat, besonders von Carl Steiner, sehr geschätzt.

Beyer: Der Name ist irgendwann gefallen, aber ich glaube nicht, dass er sich engagieren wollte. Er verfolgt sein eigenes Projekt in Hamburg.

SPOX: Stattdessen bekam der Italiener Baiesi den Zuschlag. Er war zwar für das internationale Scouting der Detroit Pistons zuständig, seine letzte Station als Manager liegt aber fast fünf Jahre zurück. SPOX

Beyer: Daniele hat viel Erfahrung in der NBA sammeln können, aber den europäischen Basketball in seiner Funktion genauestens verfolgt. Wir haben in den letzten zwei Monaten einige Gespräche geführt und gemerkt, dass die Chemie passt und dass Daniele viel an internationalem Know-how einbringt. Wir brauchen einen sportlichen Leiter, der vom Profi- bis zum U12-Leistungsbereich ein komplettes Programm konzipiert und führt. Ich bin überzeugt, dass Daniele das umsetzen kann.

SPOX: Wäre Brendan Rooney nicht eine logische Alternative gewesen? Als Scout entdeckte er zahlreiche Juwelen wie P.J. Tucker, Brian Roberts oder Kyle Hines und ist weiter für Bamberg tätig, obwohl er zu den Vertrauten von Ex-Trainer Chris Fleming zählte.

Beyer: Brendan ist weiterhin eine sehr wertvolle Stütze. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass er sich so exponieren möchte. Er ist Scout mit Leib und Seele.

SPOX: Sie sagen, dass Baiesi passen würde, weil er von der Persönlichkeit ein "Konterpart" zu Headcoach und Landsmann Trinchieri darstellt. Was meinen Sie damit?

Beyer: Vielleicht klingt Konterpart zu stark nach Konfrontation, nennen wir es ausgleichendes Moment. Ich habe Daniele als sehr rationalen und überlegt handelnden, ruhigen Menschen kennengelernt, der Andrea gut kennt und einschätzen kann. Deshalb ist er die ideale Ergänzung zu einem im Hier und Jetzt und emotional handelnden Headcoach. Das ist jedoch nicht negativ gemeint, das ist sein Job.

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SPOX: Bevor der neue Sportdirektor gefunden wurde, arbeiten Sie bereits an einer Umstrukturierung der Nachwuchsabteilung. Stimmt es, dass Sie erwägen, mit Nowitzki-Entdecker und -Mentor Holger Geschwindner zu kooperieren?

Beyer: Aus welchem Grund auch immer hat es zwischen Herrn Geschwindner und dem alten Trainerstab nicht gepasst. Seine Methoden und Ansätze waren im Vergleich zur damaligen Philosophie des Klubs zu ungewöhnlich. Ich traf ihn in den letzten Wochen ein paar Mal und er wird mit seinem Querdenken nie in eine Organisation und Struktur reinzupressen sein. Er blickt aus einem interessanten digitalen Standpunkt heraus auf unsere Prozesse, nur ich werde nie mit der Axt reingehen und alles niederhacken. In einigen Dingen sind wir unterschiedlicher Meinung. Trotzdem kann man mit ihm diskutieren und sich extrem gut reiben. Ich kann auch viel von ihm lernen und sauge dieses Wissen gierig auf. Daher ist für uns eine Zusammenarbeit im Bereich der Spielerentwicklung, im Jugendbereich wie im Profiteam, sehr spannend. Er kann uns extrem helfen und Türen öffnen. Was klar ist: Er wird vom Wunsch getrieben, den Basketball in Deutschland und speziell in Franken zu fördern. Das passt.

SPOX: Was sagt Coach Trinchieri? Kennen sich beide?

Beyer: Andrea kennt ihn zumindest aus den Medien. Wir haben vereinbart, dass wir uns im neuen Jahr zu dritt zusammensetzen, um zu besprechen, was man im Individualbereich machen kann.

SPOX: Nicht nur Geschwindner ist ein Original, Trinchieri macht ebenfalls seinem Ruf alle Ehre und ist mit seiner extrovertierten Art ein Farbtupfer der BBL. Aber wie kommt ein solch meinungsstarker Coach mit dem gleichfalls meinungsstarken Milliardär und Aufsichtsratsboss Stoschek zu Recht?

Beyer: Bisher stellte sich die Frage nicht. Wie angekündigt, hält sich der Aufsichtsrat seit fünf Monaten komplett zurück, damit Andrea und ich die Zeit bekommen, um etwas zu entwickeln. Wir haben als Verein mit der Unterstützung des Aufsichtsrats gesagt, dass keine Wunderdinge zu erwarten sind und es eine Saison des Übergangs ist. Daran halten sich alle. Aber die beiden kommen bisher sehr gut miteinander zurecht.

SPOX: Bambergs Saisonstart verdient nach einigem Auf und Ab die Note "gut" bis "sehr gut". Doch Alba Berlin dominiert trotz der deutlichen Niederlage bei Ihnen die BBL und steht in den Top 16 der Euroleague, obwohl das Budget deutlich kleiner ist. Könnte Bamberg nicht gleich erfolgreich sein?

Beyer: Wenn sie Herrn Stoschek fragen, lautet die Antwort bestimmt: ja, ein Muss. (lacht) Was uns Alba voraushat: Der Kader ist im Kern seit zwei, drei Jahren gleichgeblieben. Das Problem für Berlin: Nach dieser Saison laufen viele Verträge aus und die Frage wird sein, ob McLean, Redding, Hammonds oder Radosevic mit den gleichen Bordmitteln zu halten sein werden. Wenn das nicht möglich ist und sie gehen, stehen Sie nächsten Sommer vor der gleichen Situation wie wir in diesem. Das soll allerdings nicht die Leistung von Sasa Obradovic, Marco Baldi und Mithat Demirel schmälern. Sie erledigen einen super Job und verpflichteten Spieler, die blind harmonieren und als Gemeinschaft eine stabile Basis teilen. Dahin wollen wir auch kommen.

SPOX: Lob für Berlin - gibt es zumindest Richtung FC Bayern eine Kampfansage?

Beyer: Nein, wir verzichten bewusst auf Spitzen, weil wir erst einmal genug mit uns zu tun haben.

SPOX: Was im Vergleich zu den Bayern erstaunt: Während in München der Zuschauerschnitt leicht rückläufig ist, beträgt die Hallenauslastung in Bamberg weiter 100 Prozent. Und das nach der schwachen Vorsaison. Ermutigt die Fan-Resonanz, womöglich ein größeres Arena-Projekt anzugehen, um auf Dauer konkurrenzfähig zu bleiben?

Beyer: Dass nach den Irrungen des Sommers immer noch 6800 zahlende Fans zu uns kommen, ist ein absolutes Positivsignal. Dennoch lautet die Antwort ganz kategorisch: Nein, wir denken nicht über eine neue Arena nach. Es ist eine mathematische Frage. In der Bamberger Region leben 150.000 Menschen, die sich theoretisch mit Basketball beschäftigen können. Nicht mehr, denn dann stößt man schnell auf Erlangen, wo gerade ein tolles Handball-Projekt entsteht. In Würzburg gibt es wiederum Basketball und jetzt Fußball, in Nürnberg Fußball und Eishockey.

SPOX: Wie sieht die Perspektive für Bamberg konkret aus? Trinchieri unterschrieb sicherlich nicht bis 2017 in Bamberg, um jedes Jahr Eurocup zu spielen. Bemühen Sie sich beispielsweise um eine Euroleague-Wild-Card für 2015/16?

Beyer: Lassen Sie uns abwarten, wie wir im letzten Drittel der Saison dastehen, danach wissen wir selbst mehr, in welche Richtung es geht. Für dieses Jahr ist der Eurocup genau richtig, in der Euroleague hätten wir uns definitiv verhoben. Aber wenn man Alba sieht, ist es ein Ansporn, wieder in die Königsklasse zu kommen. Dennoch wollen wir nicht um jeden Preis in die Euroleague. Unser Ziel lautet: Wir wollen nachhaltig nach oben und uns in den nächsten fünf Jahren in den Top 20 Europas etablieren.

SPOX: Sie sprechen die Nachhaltigkeit an. Doch wie nachhaltig kann ein Klub wirtschaften, der von einem Milliardär und Mäzen unterstützt wird? Provokant gefragt: Entspricht Bamberg mit der Abhängigkeit von Michael Stoschek den Regularien des Financial Fair Play, welches die Euroleague einzuführen gedenkt?

Beyer: Eine provokante und zugegebenermaßen schwierige Frage. In der BBL gibt es eine Spreizung der Etats von 1,8 Millionen Euro bis 14-15 Millionen Euro. Letzteres ist übrigens nicht unser Etat. Daher kann man sich immer streiten, wo die Grenzen von Mäzentum und Sponsoring sein sollen. Was wir definitiv umsetzen: Wir legen alle Unterlagen komplett transparent vor und wir erfüllen die Lizensierungsbedingungen der BBL zu 100 Prozent. Und da die BBL-Statuten die Basis für das Financial Fair Play sein sollen, bin ich mir sicher, dass wir die Regelungen erfüllen. Zumal der Anteil von Brose als Hauptsponsor in der Zukunft absolut stabil bleiben soll. Wenn wir also wachsen, dann nur durch andere potente Sponsoren. Bei uns gibt es anders als in Russland keine Geldkoffer mit einer Million Dollar in bar, die der Trainer bekommt, um Spieler seiner Wahl zu verpflichten.

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