Ex-Bundestrainer Henrik Dettmann im Interview: "Basketball war Dirk immer wichtiger als er selbst"

Henrik Dettmann betreute Dirk Nowitzki für viele Jahre bei der DBB-Auswahl.
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Henrik Dettmann ist seit 2004 wieder der Head Coach der finnischen Nationalmannschaft. Zuvor coachte der Finne zwischen 1997 und 2003 die deutsche Auswahl und war somit mitverantwortlich für den vierten Platz bei der EuroBasket 2001 und die Bronzemedaille bei der WM 2002 in den USA. Im Interview mit SPOX spricht Dettmann über seine Jahre beim DBB, das legendäre Halbfinale 2001 gegen die Türkei und auch über den Zusammenhalt des Teams in den frühen Jahren mit Dirk Nowitzki.

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Außerdem erklärt Dettmann, warum Deutschland bei der anstehenden WM in China Mitfavorit ist und erörtert das Potenzial von Finnlands WM-Star Lauri Markkanen.

Herr Dettmann, vor knapp 22 Jahren wurden Sie Bundestrainer beim DBB. 1993 wurde das Team noch Europameister, bei der EuroBasket 1997 enttäuschte das Team mit einer Bilanz von 1-7. Erzählen Sie uns doch einmal, wie es um den deutschen Basketball damals bestellt war. Was hat sich in Ihrer Amtszeit, mal abgesehen vom Aufstieg von Dirk Nowitzki, verändert?

Henrik Dettmann: Es ging vor allem darum, dass die besten Spieler auch für die Nationalmannschaft spielen. Auf diesem hohen Niveau ist das extrem wichtig, anders kann man keine guten Ergebnisse erzielen. Am Anfang musste ich die Spieler überzeugen, die nicht mehr für den DBB spielen wollten, aus welchen Gründen auch immer. Die Rückkehr von einigen Spielern war wichtig, um wieder wettbewerbsfähig zu sein. Und dann war da natürlich noch die neue Generation um Nowitzki, die über die Jahre all diese Erfolge gefeiert hat.

Wie war damals das Standing der Nationalmannschaft, als Sie begannen? Der EM-Titel war schließlich auch schon ein paar Jahre her ...

Dettmann: Ja, die Leute vergessen schnell. Ich erinnere mich an unser erstes offizielles Spiel, das haben wir in Duisburg gespielt. Ich weiß nicht, wer auf diese Idee kam, weil Duisburg wenig mit Basketball zu tun hatte - zumindest damals. Es kamen, wenn überhaupt, 1.000 Leute, um uns zu sehen. Fünf Jahre später haben wir dann vor der WM 2002 ein Vorbereitungsspiel in der Arena von Köln ausgetragen und es kamen 18.000 Zuschauer. Die deutschen Fans haben wir also recht schnell für uns gewonnen.

Henrik Dettmann gibt Anweisungen in einer Auszeit beim Supercup im Jahr 2000.
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Henrik Dettmann gibt Anweisungen in einer Auszeit beim Supercup im Jahr 2000.

Wie erklären Sie sich das? Das kann eigentlich nicht nur der Nowitzki-Effekt gewesen sein ...

Dettmann: Unser Team war besonders, weil wir die Ersten in Deutschland waren, die eine echte Multi-Kulti-Truppe stellten. Das mag heute selbstverständlich klingen, aber damals war das eine große Sache und unsere große Stärke. Wir waren ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft, die zwar so bereits existierte, aber noch nicht als solche wahrgenommen wurde. Wir waren das Gesicht dieser Gesellschaft, zumindest bis 2006, als auch die Fußballer mit dem Sommermärchen eine ähnliche Geschichte schrieben. Wir als Basketballer waren in Deutschland aber der Zeit voraus, auch wenn es nicht immer so gesehen wurde. Fußball überstrahlt in diesem Land eben doch alles.

Da haben Sie Recht, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich immer mehr Leute für Basketball zu interessieren begannen. Ein Schlüssel-Turnier war sicherlich die EuroBasket 2001. Sie erwarteten damals nicht viel, schlossen sogar vor dem Turnier das Überstehen der Zwischenrunde aus, am Ende stand dann das Halbfinale und später Platz vier.

Dettmann: Ja, das war so nicht abzusehen, aber die neue, junge Generation hatte einen Sprung gemacht und Dirk war inzwischen auch in der NBA schon ein Star. Wir waren jung, hungrig und haben mit viel Herz gespielt. Die Fans haben das gesehen und so konnte ein kleiner Hype entstehen. Die Spieler waren so natürlich, volksnah, stets bescheiden und haben auf dem Feld immer alles gegeben. Hier spielte auch wieder der Migrationsfaktor mit hinein. Die einzelnen Spieler waren interessant für die Medien und hatten alle eine eigene Geschichte zu erzählen.

Beinahe hätte es auch für den ganz großen Wurf gereicht. Im Halbfinale gegen die Türkei, den Gastgeber, standen Sie kurz vor dem Finaleinzug, am Ende verlor das Team nach Verlängerung. Was haben Sie von den letzten Minuten im vierten Viertel noch in Erinnerung?

Dettmann: Ich habe es damals schon direkt nach dem Spiel gesagt: Für mich war das eines der besten Basketball-Spiele, die ich je gesehen habe. Am Ende musste leider einer gewinnen und einer verlieren. Die meisten Leute werden sich sicher an den Dreier von Hedo Türkoglu erinnern, der das Spiel in die Verlängerung brachte, aber uns brach etwas anderes das Genick. Holger Geschwindner sagte immer, dass man seine Freiwürfe verwandeln muss und das haben wir nicht geschafft.

Sie werden sich aber sicher noch erinnern, wer die Freiwürfe vergeben hat, oder?

Dettmann: Es ist nicht mehr notwendig darüber zu reden, wer die Freiwürfe vergeben hat. Wer das wissen will, der kann die Stats noch immer finden. Viel wichtiger ist aber, dass einer dieser Spieler, der Freiwürfe in diesem Halbfinale liegen gelassen hat, im folgenden Jahr bei der WM wahrscheinlich fast 100 Freiwürfe getroffen und vielleicht zwei vergeben hat. Die Rede ist natürlich von Dirk. Das zeigt mir, dass die Spieler von diesem Spiel gelernt haben - und zwar, dass man seine Freiwürfe verwandeln muss.

Wollten Sie eigentlich ein Foul im letzten türkischen Angriff, bevor Türkoglu diesen Dreier über Ademola Okulaja traf? Deutschland führte schließlich immer noch mit 3 Punkten, obwohl Nowitzki einen Freiwurf vergeben hatte.

Dettmann: Natürlich war das eine Situation, in der wir Türkoglu hätten foulen müssen. Dennoch ist es müßig darüber zu diskutieren. Die Spieler folgen ihren Instinkten, da kann man noch so viel über Basketball wissen, das gilt vor allem für Journalisten. Es ist ein Unterschied, alles zu wissen und in Reihe 13 zu sitzen oder auf dem Feld zu stehen und Basketball zu spielen. Der Spieler versteht das Spiel, der in Reihe 13 weiß, wie er über das Spiel redet.

Alles klar, ich bin disqualifiziert. Wie sieht es mit Ihnen aus?

Dettmann: Okulaja ist seinen Instinkten gefolgt. Auf dem College bei North Carolina hat er gelernt, dass er da nicht foulen soll. Diese Denkweise ist auch heute noch auf dem College weit verbreitet. Im europäischen Basketball wird dagegen zumeist gefoult. Ich habe solche Situationen in verschiedenen Spielen oft gesehen und da haben auch Teams verloren, wenn sie das Foul-Spiel gespielt haben. Am Ende weiß man es immer besser.