BBL-Restart - Crailsheim-Boss Martin Romig im Interview: "Wir haben die Brauerei leer getrunken"

Florian Regelmann
12. Dezember 202013:13
HAKRO Merlins Crailsheim wurden 1986 aus einer Schul-AG gegründet, jetzt mischen sie die BBL auf!HAKRO Merlins Crailsheim
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Die HAKRO Merlins Crailsheim waren das Sensationsteam der BBL - dann kam die Coronakrise. Jetzt wagt nach dem Fußball auch der Basketball den Restart und kehrt ab Samstag mit einem Finalturnier in München zurück. Crailsheim-Boss Martin Romig erklärt im Interview mit SPOX, warum das Event eine einmalige Chance ist und wie die Merlins ums Überleben kämpfen.

Dieser Artikel wurde im Juni 2020 veröffentlicht.

Außerdem erzählt der 52-jährige Romig die völlig verrückte Cinderella-Geschichte der Merlins. 1986 aus einer Schul-AG gegründet, 2020 auf Rang drei der BBL. Und zwischendurch vor allem: Party, Party, Party!

Pure Magic: Die 4-teilige Video-Dokumentation der HAKRO Merlins Crailsheim

Bevor wir zur Entstehungsgeschichte der HAKRO Merlins Crailsheim kommen: Wie sind Sie persönlich zum Basketball gekommen?

Martin Romig: Erstmal gar nicht. (lacht) Ich bin zwar in Boston geboren, nachdem meine Eltern nach dem Krieg erst nach Kanada ausgewandert und dann weiter in die USA gezogen sind, aber meine ersten Sportarten waren Eishockey und Baseball. Als meine Mutter Heimweh bekam und wir zufällig in Crailsheim landeten, weil mein Vater dort ein Jobangebot annahm, konnte ich mit meinen Sportarten aber nichts mehr anfangen in Deutschland. Da war nichts. Also musste ich mich im örtlichen Fußballverein anmelden, ich hatte keine andere Wahl. Ab und zu sind wir mit der Clique aber trotzdem nach Heilbronn gefahren, um dort abends um 22 Uhr in der Halle ein bisschen Eishockey zu zocken. Wir waren generell offen für alles. Wir haben auch Tennis, Squash oder Faustball ausprobiert. Basketball kam dann erst durch die Schule.

Eine Schüler-AG ebnete den Weg für die Merlins.

Romig: Richtig. Das musste sich aber erst entwickeln. Am Anfang war es so, dass laut DIN-Norm in einer Schul-Turnhalle plötzlich Körbe hängen mussten. Aber niemand wusste, wie dieser Basketball funktioniert. Auch die Lehrer hatten keinen Schimmer. Das hat uns irgendwie heiß gemacht. Wir haben angefangen, uns über Theoriebücher ein wenig Wissen anzueignen. Als es möglich wurde, Videokassetten von NBA-Spielen aus den USA zu bestellen, haben wir das gemacht. Wir hatten nur ein Problem: Niemand hatte einen Videorecorder, den gab es nur in der Schule.

Was dann?

Romig: Wir mussten den Physiklehrer darum bitten, in einer freien Stunde den Physikraum nutzen zu dürfen. Dort haben wir uns die Anfänge von Michael Jordan reingezogen und alles aufgesaugt. Wir haben versucht, uns autodidaktisch alles beizubringen und wollten es auf dem Freiplatz oder in der Turnhalle, in die wir uns immer wieder reingeschmuggelt haben, kopieren. Strukturierter wurde es erst, als ein ehemaliger Austauschschüler als Lehrer nach Crailsheim zurückkam. Er hatte sich durch seinen USA-Aufenthalt Know-how angeeignet. Wir hatten endlich jemanden, der uns wirklich Basketball lehren konnte. Wir mussten noch warten, bis wir volljährig waren, aber am 31. Januar 1986 war es dann soweit. Wir gründeten im TSV Crailsheim eine Basketball-Abteilung und feierten noch im gleichen Jahr unser Debüt in der Kreisliga B. Das erste Spiel haben wir sogar gleich gewonnen.

Geschäftsführer Martin Romig (2. v.r.) ist seit der Gründung der Merlins an Bord.HAKRO Merlins Crailsheim

Martin Romig: "Der Basketball war unsere Opposition zum Mainstream"

Wie ist dann der Name Merlins entstanden?

Romig: Dazu gibt es eine witzige Anekdote. Wir Basketballer waren die 18. Abteilung im Verein und niemand hat uns für voll genommen. Als wir den damaligen Vorstand in der Stadt trafen, meinte er zu uns: "Na, wie geht's euch Volleyballern?" Und es war nicht das erste Mal, dass so etwas vorkam. Damit war die rote Linie überschritten. Wir brauchten dringend ein Alleinstellungsmerkmal. Am Lagerfeuer haben wir mögliche Namen diskutiert. Namen aus der Tierwelt waren damals ja schon angesagt für Teams in den USA, über Marlins sind wir dann irgendwie auf Merlins gekommen. Wir wollten nicht noch einen Tiernamen, wir wollten etwas Einzigartiges, etwas ganz Neues. Magie, Kraft, Zauber - das sind doch Attribute, die gut zum Basketball passen. Und der Name war von keinem anderen Klub belegt. Da wir auf die Befindlichkeiten im Großverein Rücksicht nehmen mussten, haben wir unseren Beschluss erstmal geheim gehalten und den Namen ganz langsam und schleichend eingeführt. Wir haben die Merlins in den Berichten hier und da einfließen lassen und irgendwann war der TSV ganz verschwunden, ohne dass es jemand richtig wahrgenommen hätte.

Gerade in der Anfangszeit erarbeiteten sich die Merlins den Ruf eines Party-Vereins. Wodurch hat sich dieser Party-Verein ausgezeichnet?

Romig: Zunächst mal durch eine riesige Portion Leidenschaft für den Basketball. Wir haben für unseren Sport gelebt. Für uns war Basketball Lifestyle, lange bevor die großen Marken in den 90ern ihre große Marketing-Maschinerie anschmissen und der Streetball-Lifestyle groß wurde. Das haben wir bei uns schon vorher gelebt, mit Haut und Haaren. Der Basketball war auch unsere Opposition zum Mainstream. Der Hausmeister musste uns aus der Halle rausprügeln, bis er es irgendwann aufgegeben hat. Unsere Spiele in der Kreisliga sind zum Treff- und Startpunkt fürs Feiern geworden. Man hat sich beim Spiel getroffen und ist danach in die Disco weitergezogen. Wir haben sogar aus der Mannschaft jeder einen Zehner in die Kasse gelegt für Freibier für unsere Kumpels, damit sie uns richtig anfeuern konnten. Es war alles sehr puristisch, aber auch sehr stimmungsvoll. Bei unseren Aufstiegsspielen im ersten Jahr hatten wir in der Kreisliga 200 Zuschauer in der Halle. Das war sensationell. Da war am Anfang natürlich auch kein Geld im Spiel. Der Antrieb war immer nur der Spaß. Und er ist es heute immer noch. Manchmal denke ich an diese Anfänge zurück, um mich daran zu erinnern, warum wir den ganzen Scheiß eigentlich angefangen haben. Wir dürfen nie vergessen, wo wir herkommen.

Was war in der Folge der erste große Meilenstein auf dem Weg nach oben?

Romig: Ein erster großer Meilenstein war das Crailsheimer Volksfest 1994.

Martin Romig: "Wir haben permanent elektrische Schläge bekommen"

Ein Volksfest als Meilenstein eines Basketballvereins?

Romig: Ja, durch das Volksfest und die dortige Bewirtung der Turnhalle hatten wir zum ersten Mal etwas Geld in der Hand. Unser Budget im ersten Jahr betrug 1000 Mark. Wir mussten das Benzin noch selbst bezahlen, wir mussten unsere Eltern anpumpen, um überhaupt zu den Auswärtsspielen zu kommen. Aber für uns war das normal. Das Volksfest hat dann alles geändert. Bei uns auf dem Land war es üblich, dass die Leute nach dem offiziellen Ende des Volkfests in den Bierzelten am Abend um 22.30 Uhr noch für einen Absacker in die Turnhalle kamen. Das gehörte zum guten Ton. Erst dann ist man im Rausch nach Hause gekrabbelt. Und nachmittags gab es Kaffee und Kuchen. 40 Leute von uns mussten dafür ihre eigene Kaffeemaschine mitbringen und unser Elektriker war die ganze Zeit damit beschäftigt, die Sicherung rein- und rauszuschrauben. Wir haben permanent elektrische Schläge bekommen. Das war alles wild. Aber irgendwie haben wir es gewuppt.

Aber es gab ja nicht nur Kaffee und Kuchen.

Romig: Nein. Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir das ganze Konzept heimlich, still und leise per Guerilla-Taktik über den Haufen geworfen haben. Eigentlich sollte die Turnhalle die "Oase nach der Party" sein, wir haben daraus aber die Party-Höhle gemacht. Bei uns ging die Post ab. "Aber bitte mit Sahne" von Udo Jürgens war unsere Hymne, sie lief rauf und runter. Die Polizei stand vor der Halle, war aber machtlos und kam gar nicht rein, so voll war es. Wir mussten uns hinter der Theke fast selbst retten, weil wir von den Massen so an die Wand geschoben wurden. Das Volksfest ging vier Tage - und am letzten Tag haben wir die Brauerei leer getrunken. (lacht) Nicht umsonst war unser erstes Sponsoring dann auch ein Bier-Sponsoring. 3000 Mark für drei Jahre. Mit den Einnahmen aus der Bewirtung hatten wir außerdem die Möglichkeit, die ehemalige US-Kasernen-Halle anzumieten. Die war durch den zweiten Irak-Krieg frei geworden. Das Gelände lag brach, es gab nur ein Asylantenwohnheim und uns, alles andere stand leer, das hat sich wie in einem Science-Fiction-Film angefühlt. Die Halle ist quasi zu unserem neuen Jugendzentrum geworden.

In dem die Partys munter weitergingen?

Romig: Absolut. Wir haben die Partys als Einnahmequelle genutzt. Wir haben pro Jahr vier bis fünf Partys mit bis zu 4000 Besuchern veranstaltet. Wir haben da richtig Alarm gemacht und sind sicher auch mal übers Ziel hinausgeschossen. Wir waren schon etwas aufsässig. Die Stadtverwaltung hat uns gehasst, für die waren wir die Bad Boys. Aber die Leute haben uns geliebt. Wir haben mit den Partys den Basketball finanziert. Wir haben die ganzen Einnahmen in den Klub gesteckt. Wir konnten zum ersten Mal einen Trainer von außerhalb holen und bezahlen. Mit der eigenen Halle hatten wir natürlich auch ganz andere Trainingsmöglichkeiten. Wir mussten nur schauen, sie sauber zu halten. Aber in gewisser Weise war das auch gut, weil es uns Eigenverantwortung gelehrt hat. Innerhalb von fünf Jahren sind wir viermal aufgestiegen. Wir haben eine richtige Welle der Begeisterung entfacht. Wir hatten in der Landesliga 1000 Zuschauer. Wir sind schon in der Bezirksliga mit 500 Mann nach Neckarsulm gefahren. Normalerweise dauert die Fahrt 40 Minuten. Wir haben zweieinhalb Stunden gebraucht, weil wir an jedem Parkplatz eine Pinkelpause eingelegt haben. Es war eine besondere Zeit.

2001 folgte der Aufstieg in die 2. Liga. Was hat sich dadurch alles verändert?

Romig: Wir sind als Bezirksligist in die Kaserne rein und kamen als Zweitligist raus. Nicht, weil wir es am Reißbrett geplant hätten, sondern weil wir aus unseren Möglichkeiten immer das Beste gemacht und unseren Studenten-Traum gelebt haben. Ohne Rücksicht auf Verluste. Als wir in der 2. Liga angekommen sind, mussten wir uns aber eingestehen, dass es nur mit Partys nicht weitergehen konnte. Das war zu dünn, um auf dem Niveau mithalten zu können. Also haben wir eine Transformation zu mehr Professionalität durchgemacht. Wir hatten die ersten - billigen - Profis.

Was waren das für Jungs?

Romig: Wir hatten zum Beispiel einen Flüchtling aus Bosnien, der für den Mindestlohn von 500 Mark gespielt und beim Trainer im Zimmer gewohnt hat. Auf diesem Niveau haben wir uns bewegt. Es war schwer für uns, weil wir zwar bei den Gleichaltrigen beliebt waren, aber nicht bei denjenigen, bei denen das Geld saß. Die haben uns eher als störend empfunden. Was auch verständlich war, weil wir wie angerissen manchmal einfach unverschämt waren. Wir hatten auch eine gewisse Arroganz. Wenn es hieß, die Polizei kommt gleich, haben wir gesagt: Dann soll die Polizei doch kommen, dann zahlen wir eben die Ordnungsstrafe, uns doch scheißegal. Wir mussten bildlich gesprochen die Friedenspfeife rauchen und den Leuten klarmachen, dass wir nicht mehr nur für Partys, sondern für strukturierten Leistungssport stehen wollen.

Es dauerte bis 2014, ehe der Aufstieg in die BBL gelang. Wann war der Moment, als das Ziel BBL zum ersten Mal realistisch erschien?

Romig: Das war erst in der Saison 2011/2012. Uns war zwar früh bewusst, dass einiges möglich wäre, wenn ein Sponsor erkennt, welche Chance er mit unserem Projekt hat und auf den Zug aufspringt. So günstig bekommst du zumindest regional nicht so viel Aufmerksamkeit. Aber es war jahrelang erstmal brutal hart für uns. Budgettechnisch konnten wir in der 2. Liga nicht mitstinken mit den größeren Vereinen, gleichzeitig endete irgendwann aber unser Welpenschutz und die Erwartungshaltung im Umfeld wuchs. Wir machten unsere ersten Erfahrungen mit dem Geschäft Basketball - mit Agenten oder Spielern, die nicht auf einer Linie waren mit den Werten unseres Klubs. Der Spaß ging zwischenzeitlich verloren, es wurde alles sehr mühselig und es ging nur noch darum, den Verein am Leben zu halten. Es gab die echte Gefahr, dass wir kollabieren. Die Strukturreform der Ligen hat uns dann geholfen, dass wir uns aus dem Sumpf ziehen konnten.

Coach Tuomas Iisalo machte die Merlins in dieser Saison zur Mannschaft der Stunde.imago images

Martin Romig: "Wir mussten Spieler holen, die alle anderen BBL-Klubs nicht mal mit der Arschbacke angeschaut haben"

Inwiefern?

Romig: Es gab zwei entscheidende Momente. Einmal die Neustrukturierung in eine eingleisige ProA und ProB als Unterbau zur BBL. Und dann die kleine Palastrevolution, in der wir kleine Vereine uns gegen Bayern und Würzburg durchsetzen konnten und Playoffs eingeführt wurden. Das war elementar. Vorher hatten wir immer das Problem, dass es für viele Mannschaften zu früh in der Saison nur noch um die goldene Ananas ging, weil das Mittelfeld so breit war. Etwas Schlimmeres gibt es nicht, da ist ja ein Abstiegskampf interessanter. Auch wenn wir erstmal an der Quali für die ProA vorbeischrammten, war es besser für uns, weil wir so wenigstens wieder ein wirkliches Ziel aufstellen konnten. Den Aufstieg. Die ProB hatte die gleichen Standards wie die ProA. Wir hatten die Gefahr gebannt, in die Regionalliga zurück zu müssen. Das wäre verheerend gewesen, weil dort Wild Wild West vorherrschte. Da spielten Amerikaner ohne Aufenthaltserlaubnis und wurden schwarz bezahlt, dorthin wollten wir auf keinen Fall zurück.

Sie stiegen in die Pro A auf und standen in der angesprochenen Saison 2011/12 im Halbfinale, das gegen den MBC verloren ging.

Romig: Es ging zwar verloren, aber damals hat sich die Situation für uns als Verein gewendet. Zum ersten Mal war das Glas für uns halbvoll und nicht mehr halbleer. Wir waren damals als Verein noch nicht bereit für die BBL, aber wir spürten, dass der Weg nicht mehr so weit ist. Wir nahmen zum ersten Mal am Lizenzierungsverfahren für die BBL teil, um zu sehen, woran es noch mangelt. Und wir sind offensiv an unsere Partner herangetreten, indem wir ihnen einen Fragebogen schickten mit Multiple-Choice-Optionen, zu was sie bereit wären, wenn wir aufsteigen würden. Das hatten wir dann als Info in der Schublade liegen. Ironischerweise lief es in der folgenden Saison überhaupt nicht, aber wir haben trotzdem am damaligen Trainer Willie Young festgehalten. Ein Jahr später sind wir in die BBL aufgestiegen.

Und damit wieder in eine völlig neue Welt eingetaucht.

Romig: Um zu verdeutlichen, was wir für ein kleiner Fisch waren in der ersten Saison: Der Mindestetat in der BBL betrug eine Million Euro. Das war unser Etat. Der zweitgeringste Etat eines Vereins betrug 2,5 Millionen Euro. Und selbst unsere eine Million Euro waren eigentlich verfälscht, weil wir so viel Geld in die BBL-Standards investieren mussten. Unsere Geschäftsstelle bestand zuvor aus anderthalb Mann. Aus einer Auszubildenden und mir. Jetzt mussten wir fünf hauptamtliche Angestellte nachweisen. Bevor wir auch nur einen Euro in die Mannschaft stecken konnten, waren ganz andere Dinge gefragt. Die Kosten für die Spieler waren deshalb nicht viel höher als in Liga zwei.

Wen konnten Sie denn überhaupt verpflichten?

Romig: Wir mussten B-Ware nehmen. Wir mussten Spieler holen, die alle anderen BBL-Klubs nicht mal mit der Arschbacke angeschaut haben. Aber anstatt zu sagen, dass wir eh keine Chance haben, sind wir ins Haifischbecken gesprungen und haben den Wettbewerb gesucht. Das war immer unsere Mentalität. Wir haben uns zwei Jahre lang blutige Nasen geholt, wir hatten plötzlich eine 3000-Mann-Halle, die uns die Haare vom Kopf gefressen hat. Aber wir haben auch Spiele gewonnen. Gegen Teams, die uns eigentlich Tag und Nacht an die Wand knallen müssten. Das war sensationell. Wir haben uns Jahr für Jahr als Verein weiterentwickelt.

BBL-Finalturnier: Die Gruppen

Gruppe AGruppe B
Bayern MünchenLudwigsburg
CrailsheimBerlin
OldenburgVechta
GöttingenBamberg
UlmFrankfurt

Es folgte der Abstieg in die ProA, der Wiederaufstieg in die BBL, ein unglaublicher Last-Minute-Klassenerhalt in der vergangenen Saison - und in der laufenden Spielzeit stand Crailsheim vor der Coronakrise mit einer 15-6-Bilanz auf Rang drei. Wie ist dieses Märchen möglich?

Romig: Die entscheidenden Wörter sind Kontinuität und Nachhaltigkeit. Wir hatten noch nie viel Geld, aber wir haben es geschafft, die guten Leute und ihr Know-how im Verein zu halten. Wir haben eine ganz große Konstanz auf den entscheidenden Positionen im Verein. Geschäftsleitung, sportlicher Leiter, Trainer. Das ist umso wichtiger, weil wir alle wissen, wie groß die Fluktuation bei den Spielern ist. Dass ein Sebastian Herrera seit drei Jahren bei uns ist, oder dass ein Konrad Wysocki vier Jahre lang da war, das sind außergewöhnliche Fälle. Unsere Amerikaner kommen und gehen. Deshalb brauchst du Menschen, die das Gesicht des Vereins sind. Ingo Enskat kam zum Beispiel mal als Jugendtrainer und ist inzwischen über 14 Jahre bei uns. Als er in seiner Rolle als Trainer mit seinem Latein am Ende war, hat es eben nicht das Ende für ihn bedeutet. Stattdessen ist er jetzt unser sportlicher Leiter. Tuomas Iisalo ist jetzt schon seit 2016 unser Head Coach. Wenn du so eine Nachhaltigkeit im Verein hast, gibst du dir die Chance, dass ein Team über sich hinauswachsen kann und auf einer Welle reitet. Das ist der Schlüssel und unser Überlebensprinzip.

Jetzt steht in München das dreiwöchige "Corona-Turnier" auf dem Programm. Mit welcher Einstellung geht Crailsheim in dieses besondere Event? Mit Quincy Ford ist ein Leistungsträger nicht mehr dabei.

Romig: Mein Motto lautet: aufgeben gilt nicht. Ich appelliere an unsere Mannschaft, mit dieser Einstellung an das Turnier heranzugehen und ich bin mir auch sicher, dass die Jungs das so annehmen werden. Ob die Leistungen dann jenen entsprechen, die wir zuvor in dieser Saison gezeigt haben? Ich weiß es nicht. Aber wir wollen auch hier wieder das Maximale herausholen. Das wollten wir ganz am Anfang unserer Geschichte in der Kreisliga und das wollen wir auch jetzt. Für mich ist die Hauptsache, dass wir überhaupt wieder spielen können. Dass der Basketball eine Plattform hat und auf die Bildfläche zurückkehrt. Nichts wäre schlimmer gewesen, als die Saison einfach abzubrechen und sich seinem Schicksal zu ergeben.

Die HAKRO Merlins Crailsheim wollen beim Turnier in München wieder für Furore sorgen.imago images

Martin Romig: "Wir versuchen, unseren Kopf über Wasser zu halten und nicht zu ertrinken"

Aber es gibt auch Kritiker, die den sportlichen Wettbewerb bei diesem Turnier infrage stellen und die gesundheitlichen Risiken als zu hoch einstufen.

Romig: Aber was wäre die Alternative? Einfach abwarten und nichts zu tun? Ich sehe dieses Turnier auch als Projekt. Das Turnier bietet uns eine einmalige Chance, für alle Hallensportarten Erfahrungen zu sammeln. Wir wissen alle nicht, wie sich die Lage entwickelt. Ob eine zweite Welle kommt. Wir haben keine Ahnung, wie eine neue Saison im Herbst aussehen und was auf uns zukommen könnte. Jetzt haben wir die Möglichkeit, für die Zukunft zu lernen. Und ich sage Ihnen noch was: Wenn ich die Wahl habe, Geld zu verbrennen und nichts zu tun, oder genauso viel Geld zu verbrennen und etwas zu tun - dann tue ich lieber was. Wir versuchen, unseren Kopf über Wasser zu halten und nicht zu ertrinken. Wir versuchen, progressiv zu sein. Deshalb spielen wir dieses Turnier.

Sie müssen sich aber natürlich Gedanken machen, wie es weitergeht. Was passiert mit den Merlins, wenn in der neuen Saison immer noch - zumindest teilweise - ohne Fans gespielt werden müsste?

Romig: Die Coronakrise hat uns alle durchgeschüttelt. Wir mussten in Crailsheim Entscheidungen treffen, zum Beispiel hinsichtlich der Kurzarbeit, die wir nicht treffen wollten. Aber wir mussten sie so treffen. Im Hintergrund wird extrem geackert, um unsere Zukunft zu sichern. Wir müssen in erster Linie schauen, wie es unseren Partnern geht. Nur wenn unsere Partner, die alle Familienunternehmen sind, überleben, haben wir eine Chance, zu überleben.

Was ist mit den Fans?

Romig: Unsere Fans müssen den Weg mitgehen und machen das in überragender Manier. 95 Prozent haben auf eine Rückerstattung der Ticketpreise verzichtet, das ist das beste Ergebnis in der BBL. Es spielt sicher mit rein, dass wir so eine tolle Saison gespielt haben, aber wir haben uns das auch erarbeitet. Wir müssen uns rüsten und absichern, falls auch in der neuen Saison Einschläge kommen. Wenn ein Partner abschmiert, nützt mir eine Unterschrift gar nichts. Wenn er nicht zahlen kann, kann ich auch nicht zahlen. Wir müssen den Zusammenschluss suchen und dürfen uns nicht ins Schneckenhaus zurückziehen. Deshalb haben wir auch nicht wie andere sofort die Verträge aufgelöst und die Amerikaner so in Panik versetzt, dass sie sofort das Land verlassen haben. Das war nicht unser Prinzip.

Sondern?

Romig: Wir haben erstmal die Füße stillgehalten und die Situation beobachtet. Die Lage hat sich ja wochenlang teilweise stündlich verändert. Jetzt kommen wir langsam in eine Phase, in der das Fahrwasser wieder etwas ruhiger wird und wir am Horizont einen Silberstreifen erkennen. Trotzdem wissen wir, dass der Sturm jeder Zeit wieder aufziehen kann. Für uns ist es wichtig, unsere Mitarbeiter zusammenzuhalten. Sie sind unsere große Stärke. Wenn die Wirtschaft wieder hochfährt, benötige ich ihr Know-how. Wenn ich sie alle hochkant rausschmeiße, kriege ich so schnell nie wieder diese Qualität in mein Unternehmen. Frühere Krisen haben uns das doch gelehrt. Auch hier ist Nachhaltigkeit so unglaublich wichtig.

BBL-Finalturnier: Der erste Spieltag der Gruppenphase

DatumUhrzeitGruppeTeam 1Team 2
6.6.202016.30 UhrAGöttingenCrailsheim
6.6.202020.30 UhrABayern MünchenUlm
7.6.202015.00 UhrBFrankfurtBerlin
7.6.202019.00 UhrBVechtaLudwigsburg