Jan Jagla absolvierte selbst 141 Spiele für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft und blickt heute mit Sorgen auf das DBB-Team. SPOX sprach mit dem 40-Jährigen über die mögliche Olympia-Qualifikation, die Situation ohne Dennis Schröder und den Umgang mit der Causa Joshiko Saibou.
Das DBB-Team befindet sich derzeit mitten in der Olympia-Qualifikation und kann am Samstagnachmittag (16 Uhr) den nächsten Schritt machen, wenn gegen Kroatien gewonnen wird. Dabei stand zuletzt das Geschehen abseits des Courts stärker im Vordergrund, da die Nominierung von Saibou kontrovers diskutiert wurde.
Der 31-Jährige hatte im vergangenen Jahr an Anti-Corona-Demos teilgenommen und krude Thesen verbreitet, weshalb seine Nominierung auch Mitspieler wie Johannes Voigtmann überraschte. Saibou entschuldigte sich in einem Video und sagte, er glaube nicht an Verschwörungstheorien, hat bis dato jedoch an keiner Pressekonferenz teilgenommen oder spezifiziert, wofür er sich entschuldigt.
Jagla übte im Gespräch Kritik an der Nominierung und auch an der Kommunikation seitens des DBB-Teams. Zudem blickte er auf die sportlichen Chancen gegen Kroatien und darüber hinaus - und erklärte, warum die Mannschaft ohne Dennis Schröder nicht unbedingt weniger gefährlich einzuschätzen ist.
Herr Jagla, nach zwei Siegen über Mexiko und Russland steht das DBB-Team nun vor dem Halbfinale gegen Kroatien, zwei weitere Erfolge fehlen bis Olympia. Wie ist bisher Ihr Eindruck vom Team?
Jan Jagla: Sie haben das Nötigste getan. Es war in Ordnung, aber ich denke, dass in der Mannschaft noch wesentlich mehr steckt. Gerade defensiv wurde über weite Strecken noch zu viel erlaubt. Der Fluss ist noch nicht so drin, das sah beim Supercup in Hamburg eigentlich besser aus. Damals gab es eher die Sorge, wie alles durcheinander gebracht wird, wenn Dennis [Schröder] spät dazustößt. Das konnten sie bisher so nicht beibehalten, aber trotzdem läuft es ordentlich. Sie kommen über den Team-Basketball, was bei der heutigen Konstellation nicht selbstverständlich ist.
Wer hat Ihnen bisher am besten gefallen?
Jagla: Da gab es einige Kandidaten. Johannes Voigtmann sehe ich unheimlich gerne beim Spielen zu, weil er das Spiel so gut liest. Er kann scoren, er macht seine Mitspieler besser als Big Man. Robin Benzing übernimmt Verantwortung, Moe Wagner führt sich bei seinem ersten richtigen Sommer mit dem DBB-Team gut ein. Die große Stärke ist aber meines Erachtens, dass es nicht von einer Figur abhängt, sondern vom Kollektiv.
Jan Jagla über DBB-Traum von Olympia: "Deutschland ist nicht Favorit"
Wie bewerten Sie die Chancen gegen Kroatien vor deren Heimfans? Bisher haben die Kroaten nicht überzeugt, nominell ist das jedoch ein sehr gutes Team.
Jagla: Die Qualität ist auf jeden Fall da. Sie haben nur auch die Schwierigkeit, dass es ein paar NBA-Spieler gibt, die sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Man muss daneben erst seine Rolle finden. Die Stars und das restliche Team müssen das Zusammenspiel lernen, das ist nicht so leicht bei einer extrem kurzen Vorbereitung. Damit tun sie sich schwer und das ist für die deutsche Mannschaft eine Chance. Normalerweise ist Kroatien kein Team, gegen das man gewinnen muss, Deutschland geht nicht als Favorit ins Spiel. Aber mit dem richtigen Fokus von Beginn an kann es klappen.
Es wird kein klassischer Hexenkessel werden mit 4.000 Fans, trotzdem ist es eine besondere Situation nach so vielen Geisterspielen.
Jagla: Einige Jungs haben es in den BBL-Finals immerhin mal wieder erlebt, vor Fans zu spielen. Ich habe mit einigen gesprochen, die sagten, dass das total merkwürdig war und sie eigentlich erst wieder eine Eingewöhnungsphase brauchen. Es kann in beide Richtungen gehen. Für die Kroaten ist es eine noch größere Erwartungshaltung. Wenn es nicht gut läuft und die Halle leise wird, müssen sie damit zurechtkommen. Ich wollte immer Stimmung in der Halle haben, aber es ist jetzt eine besondere Situation. Man muss sich schnell anpassen. Aber 4.000 Fans sind ja noch im Rahmen.
DBB in der Olympia-Quali: Die Ergebnisse
Datum | Gegner | Ergebnis | Topscorer |
29. Juni | Mexiko | 82:76 | Joshiko Saibou (17) |
1. Juli | Russland | 69:67 | Johannes Voigtmann (13) |
Dennis Schröder ist nun nicht dabei - der Spieler, der sonst gerade in so einem Spiel sicherlich sehr gefragt wäre. Hat es Sie überrascht, dass sein Ausfall mit dem Versicherungsthema erst so kurzfristig bekannt wurde? Hätte das nicht schon viel länger absehbar sein müssen?
Jagla: Es ist komplizierter, einen Free Agent zu versichern als einen Spieler unter Vertrag. Dass Dennis als Free Agent in den Sommer gehen würde, war nicht von Anfang an klar, es gab mehrere Angebote und wenn er eins angenommen hätte, wäre die Situation eine andere. Wie lange der DBB an dem Thema dran ist, weiß ich aber nicht. Wenn vor zwei Wochen angefangen wurde, wäre das schlecht. Wenn es hingegen einfach so lange gedauert hat, jede Möglichkeit abzuklopfen, ist das in Ordnung - aber es sieht unglücklich aus. Am Ende fehlt Dennis und die Mannschaft muss es auffangen.
Kann es die Mannschaft auch mal beflügeln, wenn diese eine Leitfigur ausfällt und sich dadurch jeder einzelne noch mehr in der Verantwortung sieht?
Jagla: Ohne Frage, diesen Effekt kann es geben. Und es fehlt nicht an Spielern, die Verantwortung übernehmen wollen. Robin Benzing hat noch nie einen Wurf gesehen, den er nicht gut fand. (lacht) Ohne das bewerten zu wollen, es gibt mehrere Spieler, die sich den letzten Wurf zutrauen. Wenn jeder weiß, eigentlich darf das nur einer, dann ist es auf der anderen Seite leichter zu verteidigen, was es wiederum für Dennis schwerer macht. Auch bei Dirk [Nowitzki] hat man das früher manchmal gesehen, dass diese Last sehr groß war. Manchmal wollte Dirk diese Last gar nicht. Aber wenn so ein großes Ungleichgewicht besteht, ist das für beide Seiten schwierig. Das gibt es jetzt nicht und deswegen kann jeder, der einen guten Tag hat, sich die Würfe nehmen: Es ist egalitär. Mental ist es manchmal sogar leichter, damit umzugehen.
Jagla über Saibou: "Es sind noch viele Fragen offen"
Sie haben eben bereits das Wort "unglücklich" benutzt, das ist ein gutes Stichwort: Sportlich stimmten die Resultate zuletzt, ansonsten steht der DBB jedoch teilweise in starker Kritik, vor allem wegen der Personalie Joshiko Saibou. War es ein Fehler, ihn mitzunehmen?
Jagla: In der Form war es auf jeden Fall ein Fehler. Ich bin ein großer Freund von zweiten Chancen, aber es gehört dazu, dass man seine Fehler eingesteht. Viele hätten Joshiko sicherlich eine Chance gegeben, aber es hätte im Vorfeld oder spätestens jetzt eine ganz andere Kommunikation stattfinden müssen. Es sind immer noch viele Fragen offen. Er spielt derzeit sehr gut, aber das steht trauriger- und richtigerweise nicht im Fokus. Ich habe deswegen lange mit mir gerungen und nun entschieden, dass ich die Mannschaft unterstütze, weil ich viele von den Jungs kenne und schätze, weil ich mich für sie freuen würde. Aber der Grundtenor ist nicht gut und vieles muss noch aufgearbeitet werden.
Nach außen gab es zunächst nur ein kurzes Video über den eigenen Kanal, keine Möglichkeiten für kritische Fragen, kaum Transparenz, was viele Basketball-Fans sehr verärgert hat. Bleibt das so nicht auch bei einer erfolgreichen Quali ein Riesenproblem?
Jagla: Es ist ein Thema, das sich nicht durch Pauschalaussagen wegdiskutieren lässt. "Entschuldigung" reicht nicht, sondern ich möchte auch wissen: Was ist der Fehler? Dann kann man über alles reden und dann wird er auch in der Basketball-Community hier wieder anders akzeptiert werden. Das ist alles möglich. Es ist leider nicht passiert und deshalb hätte er eigentlich nicht dabei sein dürfen.
gettyIst es jetzt schon zu spät dafür? Nehmen wir an, es klappt mit der Qualifikation: Dann gäbe es noch jede Menge Pressekonferenzen.
Jagla: Seine Mitspieler haben mehrfach gesagt, dass er sie in langen Gesprächen überzeugt hat, von sich und von dem, wo er heute steht. Dann kann er doch auch uns andere überzeugen, die nicht mit ihm in der Kabine sitzen. Unmöglich ist es nicht, es müsste nur mal einen ehrlichen Versuch geben.
Sie waren 2008 bei Olympia dabei und wissen, wie einzigartig das ist. Gefühlt wird jetzt aktuell fast nur über solche Nebenschauplätze gesprochen. Ist das unfair?
Jagla: Es ist ein hausgemachtes Problem. Es ist schade, weil es so eine besondere Möglichkeit ist. Olympia ist ein Erlebnis, das mich bis heute prägt, eins der ersten Themen, über die ich mit Leuten spreche. Es sticht heraus in meiner sportlichen Karriere, aber vor allem das Zwischenmenschliche und die Nähe zu anderen Sportarten ist so außergewöhnlich. Man kann zu Weltmeisterschaften fahren, wird dort aber nie beim Mittagessen neben Roger Federer sitzen. Das macht es so besonders, wobei ich dazu sagen muss: Nicht nur beim Basketball habe ich die Sorge, dass das diesmal nicht der Fall sein wird. Corona macht solche Bedingungen wie bei uns damals ja unmöglich. Man ist auf verschiedene Arten getrennt, während wir früher gemeinsam mit den besten Athleten der Welt beim selben McDonald's anstanden. Das geht jetzt leider verloren. Aber zur ursprünglichen Frage: Es sollte ums Sportliche gehen, aber so einfach ist es nicht. Sport ist leider auch Politik.
Hat der DBB im Endeffekt Glück, dass Basketball in Deutschland ein Nischendasein fristet, da das Thema sonst noch viel größer wäre?
Jagla: Ja, klar. Wenn wir diese Situation bei der Fußball-EM gehabt hätten, wäre der Aufschrei wesentlich größer. Ich weiß nicht, ob die Bild-Zeitung schon darüber berichtet hat, aber sicherlich nicht in dem möglichen Ausmaß. Die Nische ist hier ein Glücksfall, für den gesamten deutschen Basketball. Denn so etwas schadet im Endeffekt der gesamten Sportart.