Es gab ein Wort, das besonders hängen blieb nach der Halbfinalniederlage (91:96) der deutschen Mannschaft gegen Spanien: "Jein." Gesprochen wurde es von Johannes Thiemann, als Antwort auf die Frage, ob an diesem Tag die andere Mannschaft einfach einen Ticken besser gewesen sei. Also: Irgendwie ja, irgendwie aber auch nicht.
Das ist eine nachvollziehbare Ansicht. Spanien steht verdient im Finale. Die Gäste waren nicht un-, aber sehr schwer schlagbar. Sie spielten das DBB-Team nicht an die Wand. Zu zwei verschiedenen Punkten im Spiel kassierten die Spanier 0:14-Läufe, noch im Schlussviertel lagen sie mit 7 Punkten hinten. Sie hätten das Spiel ohne jeden Zweifel auch verlieren können.
Vergleicht man die beiden Teams, hat Spanien unterm Strich eher weniger individuelles Talent, vor allem in der Spitze. Doch in diesem Spiel demonstrierte der Weltmeister, dass es um mehr geht. Dass es nicht nur an Stars wie den Gasol-Brüdern liegt, dass Spanien unter anderem sechs EM-Medaillen geholt hat, seitdem Deutschland zuletzt eine davon für sich beanspruchen konnte.
Spanien ruft sein ganzes Repertoire ab
Letzten Endes war dieses Spiel eine Lektion: Um da hinzukommen, wo Spanien oft und gerne steht, bedarf es Geschlossenheit, Flexibilität, Fokus - und das am besten auch über 40 Minuten. Die besten Teams schlagen sich nicht selbst, sie bringen andere dazu, sich selbst zu schlagen ... auf welchem Weg auch immer. "You come at the king, you best not miss", beschrieb es Omar Little in "The Wire".
Als Anschauungsbeispiel dient das vierte Viertel, in dem das Spiel mit einem 18:3-Lauf zugunsten der Spanier kippte. In diesem Zeitraum bekamen sie offensiv alles, was sie wollten (insgesamt 31 Punkte im Viertel), drehen konnten sie das Spiel allerdings, weil sie Deutschland auf der Gegenseite komplett durcheinander brachten. Zuvor hatte ja auch das DBB-Team sehr gut gescort, dann vergingen zwischen Scores auf einmal vier Minuten.
Das Team von Sergio Scariolo zeigte defensiv sein ganzes Repertoire. Es gab mal Ganzfeldpresse, es gab Zonenverteidigung, es gab Mann-gegen-Mann - am Ende gab es auch die Box-and-1-Defense zu sehen, die Deutschland phasenweise den Zahn zog.
Spanien zieht DBB-Team im vierten Viertel den Zahn
Alberto Diaz spielte herausragende Defense am Mann gegen den zuvor so starken Dennis Schröder. Zwei Faktoren halfen ihm dabei. Zum einen wirkte Schröder zunehmend müde, nachdem er sein Team in Halbzeit eins komplett tragen musste und in Halbzeit zwei beinahe durchspielte. Zum anderen hatte Diaz in Person von Usman Garuba als Roamer elitäre Absicherung hinter sich, die ihm erlaubte, umso mehr Druck auszuüben.
Deutschland hatte mit diesen defensiven Tricks wohl gerechnet, fand in dem Moment aber trotzdem keine Lösungen. Spanien schaffte es, den Ball weg von den Spielern zu forcieren, die sie hätten schlagen können - Schröder und Franz Wagner - und hin zu den Spielern, die eigentlich mehr für ihre Defense auf dem Court waren, wie Nick Weiler-Babb oder der unglücklich auftretende Daniel Theis.
Gordon Herbert verzichtete sechs Minuten auf eine Auszeit und nahm seine letzte, als es schon zu spät war. Rückblickend wäre eine frühere Timeout vielleicht nötig gewesen, vielleicht hätte Maódo Lô eher zurückkehren und Schröder mal entlasten (oder ersetzen) können, vielleicht war die Entscheidung für Small-Ball im letzten Viertel die falsche.
Spanien und die letzte Konsequenz
Vielleicht aber auch nicht - es ist von außen nicht zu beurteilen, was besprochen war oder was zu bestimmten Entscheidungen geführt hat. Im Nachhinein ist man ohnehin schlauer. In jedem Fall verlor Deutschland seinen Rhythmus, kam nicht mehr in die Zone und wurde auf der Gegenseite am Korb und auch bei den Rebounds dominiert. Und Spanien nutzte jede Lücke mit gnadenloser Effizienz aus.
Das ist noch so ein Punkt, der die Iberer auszeichnete: Ihre Konsequenz. Sie trafen all ihre 14 Freiwürfe im Spiel. Sie begingen nach der Pause nur noch vier Ballverluste. Sie waren in der zweiten Halbzeit überlegen beim Rebound. Sie trafen 70 Prozent (!) ihrer Zweier. Wie gesagt: Die besten Teams schlagen sich nicht selbst, vermeiden Fehler und wittern ihre Chancen. Und sie geben sich nicht geschlagen.
DBB-Team: Die Medaille ist noch immer in Reichweite
Die Deutschen schafften es als Kontrast dazu nicht, bei ihrem Stiefel zu bleiben. Zehn ihrer zwölf Ballverluste kamen nach der Pause, ihre Offense wurde gefühlt immer langsamer und statischer, sie ließ sich einlullen. Die Spanier hatten auch ihre problematischen Phasen, aber sie fanden einmal häufiger wieder hinaus. Im Prinzip war das der Unterschied.
Für Deutschland endet das Turnier damit gegen Polen (Sonntag, 17.15 Uhr) mit der Chance auf eine Bronzemedaille - eine Situation, die vor Turnierstart jeder mit Kusshand genommen hätte. Es ist die (sehr große) Chance, erstmals seit 2005 wieder Edelmetall bei einem großen Turnier mitzunehmen. Damals bei Spanien übrigens schon im Kader: Rudy Fernandez!
Und doch bleibt nach diesem knappen, hochklassigen Halbfinale die Frage offen, ob bei diesem Turnier nicht sogar noch mehr drin gewesen wäre. Die Antwort darauf ist eindeutig ...
Jein.
DBB-Team: Die Spiele bei der EuroBasket 2022
Datum | Gegner | Ergebnis | Spiel |
1. September | Frankreich | 76:63 | Vorrunde |
3. September | Bosnien | 92:82 | Vorrunde |
4. September | Litauen | 109:107 2OT | Vorrunde |
6. September | Slowenien | 80:88 | Vorrunde |
7. September | Ungarn | 106:71 | Vorrunde |
10. September | Montenegro | 85:79 | Achtelfinale |
13. September | Griechenland | 107:96 | Viertelfinale |
16. September | Spanien | 91:96 | Halbfinale |