John Patrick ist einer der angesehensten Persönlichkeiten der easyCredit-BBL. Mit SPOX sprach er über seine spezielle Spielweise, die auch etwas mit Gary Payton zu tun hat, über die Ganzfeldpresse und über sein Scouting-Rezept. Am Dienstag spielen seine MHP Riesen Ludwigsburg im Champions-League-Viertelfinale gegen medi bayreuth (20 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE auf SPOX). Das Rückspiel sowie alle weiteren Spiele der deutschen Mannschaften gibt es live und exklusiv auf DAZN.
SPOX: Mr. Patrick, nachdem Sie im Achtelfinale Oldenburg besiegt haben, wartet im Viertelfinale der Champions League mit Bayreuth erneut ein deutscher Gegner. Verwechseln sie manchmal die Wettbewerbe?
John Patrick: Es ist schon etwas seltsam und zudem auf der einen Seite schade, weil es gut für die Liga wäre, zwei Teams ins Final Four schicken zu können. Denn wir haben uns bis hierhin sehr stark präsentiert. Auf der anderen Seite zieht solch ein Duell natürlich auch Aufmerksamkeit auf sich, weil es eben nicht alltäglich ist.
SPOX: Sie sind mit den Riesen zum zweiten Mal in Folge in der Champions League dabei - die auch erst zum zweiten Mal stattfindet. Welche Eindrücke haben Sie von dem nicht unumstrittenen Wettbewerb?
Patrick: Ich muss zugeben, wirklich beeindruckt von dem Niveau der Champions League zu sein. Ich sehe sie auf Augenhöhe mit dem EuroCup. Und es nehmen Mannschaften teil, sei es aus Spanien, Italien oder der Türkei, die in ihren nationalen Ligen Euroleague-Teilnehmer besiegt haben - und zwar deutlich. Aus diesem Grund bin ich stolz, dass es mit uns und Bayreuth zwei Teams unter die letzten Acht geschafft haben. Schöner wäre es natürlich gewesen, wenn die Konstellation es zulassen würde, zwei deutsche Mannschaften ins Final Four zu schicken. Aber es ist, wie es ist.
SPOX: Dass man überhaupt darüber diskutiert, spricht ja für eine gute Entwicklung der Bundesliga. Sie sind - mit einer kurzen Unterbrechung - schon seit 2003 als Coach in Deutschland aktiv. Was hat sich seitdem getan?
Patrick: Da kann ich sogar noch weiter zurückschauen: Erstmals war ich 1990 in Deutschland unterwegs, damals als Auswahlspieler der Pac-10 Conference aus der NCAA. Wir haben unter anderem Spiele gegen Bayer Leverkusen gehabt, das damals von Dirk Bauermann trainiert wurde. Und auch in den Jahren darauf war ich oft in Deutschland, zum Beispiel für Nike-Projekte und um meine Frau zu besuchen, ehe ich dann in den 2000er-Jahren Coach wurde.
SPOX: Haben die Strukturen und das Niveau noch irgendwelche Ähnlichkeiten mit der Zeit von damals?
Patrick: Kaum. Es hat sich alles enorm schnell entwickelt. Wir waren bei dem Spiel damals 1990 als Gegner sehr überrascht, wie locker alles zuging, auch wenn Leverkusen damals die beste Mannschaft im Land war. Als ich dann ein paar Jahre später wiederkam, gab es schon einige Deutsch-Amerikaner und US-Amerikaner, die die Liga dominiert und auch das Niveau angehoben haben - auch wenn es meist nur zwei pro Mannschaft waren. In den vergangenen zehn Jahren gab es dann den nächsten großen Sprung: Die Liga ist schneller geworden, athletischer. Und natürlich ist sie vollkommen professionalisiert worden. Wir sind insgesamt auf einem sehr guten Weg - das sieht man unter anderem daran, dass Teams aus dem Mittelfeld in den internationalen Ligen gut mithalten können, teilweise besser als die Mittelfeldteams aus Italien oder Frankreich.
SPOX: Und wie gefällt Ihnen persönlich der Trend hin zum schnellen Basketball, sei es Pace-and-Space oder Small Ball, der derzeit auch viele NBA-Teams prägt?
Patrick: Ich bin ein sehr großer Fan davon! Schon in der Highschool habe ich für Mannschaften gespielt, die damit erfolgreich waren. Nicht als ausgedachtes System, sondern weil die Teamzusammenstellung eben so war. Wir haben unseren Fokus aber meist auf die Defense gelegt, während in der NBA bei solchen Aufstellungen die Offensive und teilweise auch das Entertainment im Mittelpunkt stehen. Grundsätzlich ist es mittlerweile offenbar angesagt, die Aufstellung und die Taktik auf Schnelligkeit und Dreier auszulegen, während früher oft nach Größe aufgestellt worden ist. Auch die Vielseitigkeit eines Spielers ist entscheidend.
SPOX: Sie haben Ihre aktive Zeit als College-Spieler schon angesprochen: Sie waren Ende der 80er und Anfang der 90er-Jahre Point Guard der Stanford University. Über die Zeit dort haben Sie mal gesagt, dass ihr Spielstil "wie Kunst" gewesen sei. Wie meinten Sie das?
Patrick: Wir waren mit Stanford damals eine sehr halbfeldorientierte Mannschaft, die allerdings in einer sehr athletischen und schnellen Conference gespielt hat [Pac-10, heute Pac-12 - Anm. d. Red.]. Ich selbst war zum Beispiel der einzige Starting Point Guard aus der Conference, der es nicht in die NBA geschafft hat. Ich war zwar kurz davor...
SPOX: ... unter anderem soll es ein Tryout bei den Warriors gegeben haben, stimmt das?
Patrick: Ja, ich hatte einige Free-Agent-Tryouts, aber es hat aus unterschiedlichen Gründen nicht gereicht. Ich war einfach nicht gut genug. Aber aus meiner vierjährigen Zeit am College bei Stanford haben es vier Spieler meiner Mannschaft in die NBA geschafft, von UCLA oder Arizona waren es um die 15. Aber wir haben diese Mannschaften besiegt, mit einem sehr klaren Stil im Halbfeld, wo wir uns Lösungen überlegen mussten. Wir hatten einen klaren Plan und ein Konzept, das zu unseren Spielern gepasst hat.
SPOX: Das hatte also nicht viel mit dem schnelleren Stil von heute zu tun.
Patrick: Nein, gar nicht. Aber es war sehr erfolgreich, auch wenn ich zugeben muss, dass es mir als Point Guard nicht viel Spaß gemacht hat. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Nach meiner College-Zeit habe ich dann beispielsweise in Japan unter Coaches gespielt, die ein schnelleres und kleineres Spiel mit Ganzfeldverteidigung praktiziert haben. Das hat mir persönlich mehr zugesagt, weil es von den Spielern mehr Kreativität verlangt und ihnen auch mehr Freiheiten gibt. Unser Spiel heute ist auch kein Run and Gun.
SPOX: Mit 30 wurden sie bereits Coach in Japan. Welchen Stil haben Sie zunächst übernommen?
Patrick: Wir haben an das schnelle Spiel angeknüpft. Wir waren ein kleines Team mit kleinem Etat und meiner Meinung nach ist dies dann die beste Möglichkeit, um erfolgreich zu sein. Und das waren wir drei Jahre lang, obwohl wir nur ein kleiner Fisch in der Liga waren. Und auch später in Deutschland, erstmals bei Göttingen in der zweiten Liga, hat es funktioniert, obwohl wir teilweise mit ehrenamtlichen Spielern gespielt haben. Wir sind ohne US-Amerikaner in der oberen Tabellenhälfte gelandet, das wäre heute undenkbar.
SPOX:Auch bei Ludwigsburg ist diese Philosophie noch zu erkennen, die Sie mal als "40 Minutes of Hell" bezeichnet haben. Können Sie das genauer erklären?
Patrick: Ein Spiel dauert 40 Minuten und in dieser Zeit will man das andere Team unter Druck setzen und das ganze Feld dafür nutzen. Ein Beispiel aus dem College: Wir hatten ein Spiel gegen Oregon State und ich war der einzige Point Guard in unserem Team - und sie hatten Gary Payton.
SPOX: Unangenehm...
Patrick: Ganz genau. Er hat uns mit seiner Mannschaft das Leben zur Hölle gemacht. Ich konnte als Point Guard nichts machen. Meistens habe ich den Ball gar nicht bekommen und wenn doch, wurde ich sofort in einer Ganzfeldpresse gedoppelt. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Irgendwie haben wir es zwar geschafft, uns trotz der Niederlage gut zu präsentieren, aber mir hat es überhaupt keinen Spaß gemacht. Sie haben es geschafft, dass wir uns nicht organisieren konnten, was eigentlich unsere Stärke war. Darum geht es: Den Gegner ohne etwas Illegales zu tun, aus seiner Rolle drängen.
SPOX: Und an dieses Konzept Ihres damaligen Gegners haben Sie später als Coach angeknüpft?
Patrick: Teilweise, ja. In meiner Coaching-Zeit bei Göttingen hatten wir Lineups mit vier Guards auf dem Feld! Heute nennt man es wohl Small Ball, damals wurde es auch Guard-Terror genannt. Wir haben dem Gegner das Leben zu Hölle gemacht. In der Regular Season 2009 sind wir damit Dritter in der BBL geworden, haben am Saisonende aber leider einige komplizierte Verletzungen gehabt, sodass wir in den Playoffs in der ersten Runde ausgeschieden sind.
SPOX: Auch heuer bei Ludwigsburg nutzen Sie die Ganzfeldpresse häufiger als jedes andere Team. Eigentlich ist es aber doch so, dass es einfache Konzepte dagegen gibt, mit denen man zu vielen freien Korblegern kommen sollte. Zumindest in den Amateur- und Jugendligen ist es immer so gewesen: Wenn man sich auf eine Presse einstellt, hat man mit ein paar Pässen leichtes Spiel. Wundert es Sie nicht, dass Profi-Teams so große Probleme damit haben?
Patrick: So einfach ist das nicht. Wenn man gegen ein Team presst, das gut strukturiert ist und passen kann, dann stellt man sich durch Scouting darauf ein. Was ist ihre erste Passoption? Was die zweite? Und diese Optionen muss man ihnen nehmen. Das führt dazu, dass der Gegner eine Lösung außerhalb des Systems finden muss. Und genau das wollen wir herbeiführen. Wir wollen keine Ballgewinne erzwingen, in den Passwegen spekulieren oder wild doppeln. Wir wollen den Gegner zerstören, indem wir ihm die Optionen nehmen. Dann macht er von alleine Fehler.
SPOX: In Deutschland waren Sie der erste Coach, der dieses System auf sehr hohem Niveau praktiziert hat.
Patrick: Genau, und ich denke, dass sich dieses System erst noch in der Entwicklung befindet. In Europa machen es inzwischen mehrere Mannschaften, am College sind auch einige Teams sehr gut darin. Man versteht mittlerweile, dass es für den Gegner sehr unangenehm ist und er sich dadurch nicht mehr wohl fühlt. Andererseits braucht man selbst eine sehr gute Fitness und eine hohe Disziplin, um das durchziehen zu können.
SPOX: Den MHP Riesen tut Ihr Konzept offenbar gut. 2013 war der Verein sportlich abgestiegen, blieb dank einer Wildcard aber in der BBL - und hat seitdem mit Ihnen immer die Playoffs erreicht. Wie haben Sie das angestellt?
Patrick: Wir haben die Team-Kultur um 180 Grad gedreht. Wir scouten anders, wir trainieren anders, wir haben klare Regeln innerhalb der Mannschaft. Und wir haben riesigen Spaß, obwohl wir eine Low-Budget-Mannschaft sind. Wir legen bei unseren Spielern sehr viel Wert auf ihren Charakter und ihren Ehrgeiz. Wir funktionieren in unserem System nur, wenn unsere Spieler hungrig sind und sich im Laufe einer Saison entwickeln können, wenn es am Anfang mal nicht so läuft, da wir noch nicht eingespielt sind.
SPOX: Dabei müssen Sie Sommer für Sommer große Teile der Mannschaft neu zusammenstellen, weil die Fluktuation so hoch ist.
Patrick: Und das ist nicht einfach. Wir haben nur sehr wenige Spieler aus der letzten Saison behalten können und mussten praktisch neu anfangen. Dann hat man zwei Optionen: Entweder man sieht es als große Möglichkeit an - oder als Ausrede. Und als Ausrede wollen wir es keinesfalls benutzen.
SPOX: Wenn sie bei Transfers besonderen Wert auf den Charakter legen - wie läuft das mit dem Scouting ab? Es gibt ja keinerlei Statistiken oder derlei Dinge für so etwas.
Patrick: Ich wage zu behaupten, dass es keinen Coach in der Liga gibt, der so viel wie wir in die zweite Liga schaut, in die Jugendnationalmannschaften oder in die NBBL und JBBL. Dann schaue ich auf unsere eigenen Jugendmannschaften, trainiere mit ihnen, sie machen Workouts gemeinsam mit den Profis. Dadurch werden wir früher als andere auf Talente aufmerksam. Darüber hinaus stehe ich in Kontakt mit meinen Teammates von früher, von denen viele auch Coaches sind, beispielsweise in der NCAA. Man muss sehr viel networken. Das kostet einerseits viel Zeit - Head Coach ist kein Acht-Stunden-Job - andererseits macht genau das aber auch Spaß.
SPOX: Welche Rolle spielen Agenten?
Patrick: Natürlich telefoniere ich auch sehr viel mit Agenten und mit Scouts. Man nutzt aber nie nur eine Quelle, sondern hört mehrere Meinungen. Denn selbstverständlich sagt kein Agent: ‚Mein Spieler verteidigt nicht so gut.' Aussagekräftig sind auch die Aussagen von ehemaligen Teammates, ehemaligen Coaches, aktuellen Co-Trainern - übrigens auch von ehemaligen Gegnern.
SPOX: Ich sehe, dass ein großer Teil Ihrer Arbeit gar nicht auf dem Court stattfindet. Was würden sie jungen Coaches mit auf den Weg geben, die es eines Tages zu den Profis schaffen wollen?
Patrick: Man muss in erster Linie die Sportart lieben! Und man braucht den Hunger, immer weiter zu lernen. Man muss Spaß in der Sporthalle haben. Und viele Leute fallen irgendwann raus, weil sie andere Prioritäten haben. Aber man muss immer zu 100 Prozent dabei sein. Und dann kann ich sagen: Es macht richtig Spaß, auch wenn es manchmal zu viel zu werden scheint. Und: Es ist das beste Gefühl, zu gewinnen, aber es ist die Hölle, zu verlieren. Dafür ist nicht jeder gemacht, das muss man sich ins Bewusstsein rufen.
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