"Wäre fast in Quakenbrück gelandet"

Haruka Gruber
24. September 201302:51
Auf Augenhöhe: Pooh Jeter für die Ukraine gegen Frankreichs Tony Parkergetty
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Mit Ukraine ist Pooh Jeter die Sensation der Basketball-EM. In Slowenien erlebt der 29-Jährige US-Ukrainer den Höhepunkt einer denkwürdigen Reise mit der NBA, Europa und einem denkwürdigen Battle gegen Stephon Marbury als Zwischenstationen. Das Interview mit dem Globetrotter.

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SPOX: Ihr Vorname sorgt während der EM für Verwirrung: Sie hießen in Ihre Karriere immer "Pooh" , in Slowenien allerdings werden Sie überall mit "Eugene" angesprochen. Was steckt dahinter?

Pooh Jeter: Das ist echt ungewohnt für mich! In den letzten Wochen habe ich häufig nicht einmal reagiert, wenn ich den Namen "Eugene" hörte, so seltsam ist es für mich. Ich heiße eigentlich seit der Geburt "Pooh". So hat mich meine Oma mütterlicherseits umgetauft, als sie mich als Säugling in den Arm nahm und sagte, dass ich aussehen würde wie Winnie-the-Pooh, der Bär. Ich wurde in der Jugend nur "Eugene" genannt, wenn ich Ärger hatte. Oder wenn eine Highschool-Freundin sich besonders wichtig nahm von wegen: "Jeder spricht dich mit 'Pooh' an, aber ich bin dein Schatz, daher sage ich immer 'Eugene', damit du weißt, wie wichtig du mir bist." Das war nervig. (lacht) Doch bevor es falsch verstanden wird: Ich trage den Vornamen "Eugene" mit Stolz: Ich bin nicht umsonst Eugene Jeter, der Dritte. Mein Großvater und mein Vater tragen den selben Vornamen.

SPOX: Vom Namen abgesehen: Als wie seltsam empfinden Sie Ihr derzeitiges Leben? Sie sind ein amerikanischer Basketballer, der über Israel, die NBA und Spanien nach China kam, dort zum großen Star wurde und jetzt mit Ukraine an einer EM in Slowenien teilnimmt, um dort mit einem deutschen Journalisten ein Interview zu führen.

Jeter: (lacht laut) Wenn man es so formuliert, ist mein Leben echt verrückt. Das ist eben Basketball. Ich fühle mich wie ein Musiker auf Welt-Tournee. Ich verdiene Geld mit dem, was ich über alles liebe, und lerne dabei großartige Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen kennen. Manchmal bin ich sprachlos, wenn ich darüber nachdenke, wo ich schon auf der Welt war: Ich habe alle Ecken der USA, in Europa und in China kennengerlernt. Das ist ein Geschenk!

SPOX: Bei der diesjährigen EM setzt sich der Trend fort, wonach viele europäische Länder auf amerikanische Point Guards setzen, die eingebürgert wurden: Bosnien mit dem zukünftigen Bamberger Zack Wright, Georgien mit Ricky Hickman, Italien mit Travis Diener, Kroatien mit Dontaye Draper, Mazedonien mit Bo McCalebb, Montenegro mit Ex-Bayern-Profi Tyrese Rice und die Ukraine mit Ihnen. Wie ist der Kontakt untereinander?

Jeter: Im Grunde kenne ich alle persönlich. Nur mit Ricky hatte ich noch nie etwas zu tun, wobei ich weiß, dass er ein großartiger Spielmacher ist. Ich bin sehr gut befreundet mit Dontaye Draper, mit Zack Wright verstehe ich mich ebenfalls sehr gut. Bei Travis ist es etwas anderes, weil er über seine italienische Ehefrau die Staatsbürgerschaft bekam. Trotzdem sind wir uns alle einig, dass es eine große Ehre ist, von den Ländern gefragt zu werden.

SPOX: Wie lief die Einbürgerung bei Ihnen genau ab?

Jeter: Mein Agent Andrew Buck bekam im Sommer einen Anruf vom ukrainischen Verband. Ich war sofort aufgeregt, als ich davon hörte, weil ich zur Ukraine seit meiner Zeit bei BC Kiew eine besondere Beziehung habe. Ich wusste, dass ich in der Nationalmannschaft ehemalige Mitspieler wie Viacheslav Kravtsov wiedersehen werde. Deswegen fühlte sich mein Einstand so an, als ob ich nie weggewesen wäre. Ich bereue die Entscheidung keine Sekunde.

SPOX: Wie wichtig war es zu wissen, dass mit Mike Fratello eine NBA-Legende als Nationaltrainer weiterverpflichtet wurde?

Jeter: Coach Fratello heißt nicht umsonst "Zar". Ich sehe mich noch immer als Lehrling des Basketballs an und ich war mir sicher, dass ich von ihm extrem viel lernen kann. Er hat nicht zufällig die Karrieren von großartigen Point Guards wie Mark Price, Doc Rivers und Terrell Brandon entscheidend geprägt.

SPOX: Worauf legt Fratello seinen Fokus?

Jeter: Ganz klar auf die Defense. Wir kamen nur so weit, weil wir uns über die Verteidigung ins Turnier brachten. Im Nachhinein wichtig war auch die Niederlage gegen Lettland zum Auftakt der Zwischenrunde. Wir als Mannschaft müssen zugeben, den Gegner unterschätzt zu haben, obwohl Coach Fratello uns vorher eindringlich gewarnt hatte: "Nehmt die Letten ernst! Sie kommen aus der Kabine und verprügeln euch!" Und das taten sie.

SPOX: Und dann? Was hat Fratello nach Spielende gesagt?

Jeter: Die Frage ist eher: Was hat er nicht gesagt? Er hat es uns verbal richtig gegeben - und das völlig zu Recht. Wir wurden gedemütigt und wir schämten uns. Es war der Weckruf zur rechten Zeit.

SPOX: Dennoch: Wie erstaunt sind Sie über das Abschneiden?

Jeter: Vor dem Turnier wurden wir in allen Power Rankings von 24 Teams an die 24. Stelle gesetzt. Das hat uns gekränkt und daraus schöpften wir Kraft. Jetzt gehören wir zu den Top-6-Teams n Europa und erreichten die WM-Qualifikation. Es waren magische drei Wochen.

Hier geht's zu Teil II: "Ich biete mich der NBA nicht mehr an"

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SPOX: Wie sieht Ihre Rolle im Gefüge der Ukraine aus? Was etwas erstaunt: Von außen betrachtet wirkt es, als ob Sie komplett integriert seien.

Jeter: Da kommt mir mein Naturell zugute. Coach Fratello sagte zu mir vor der EM nur, dass ich so sein soll, wie ich bin. Ich war noch nie ein Point Guard, der 30 Würfe pro Spiel nehmen wollte, vielmehr möchte ich die Mitspieler einbeziehen und jeden glücklich machen. Bei unserer Nationalmannschaft ist es vor allem wichtig, die Big Men zu involvieren. Wenn sie zufrieden sind uns ins Spiel finden, wird es für jeden einfacher.

SPOX: Wie sieht es mit der Sprache aus?

Jeter: Ich kann leider kein Ukrainisch. Aber die Mitspieler brachten mir die wichtigsten Vokabeln bei, vor allem die schmutzigen. Das ist überall das Gleiche: Als erstes lernt man die Schimpfwörter. (lacht)

SPOX: Sie qualifizierten sich mit der Ukraine für die WM 2014 in Spanien, wo es zum Aufeinandertreffen mit Team USA kommen könnte. Eine komische Vorstellung?

Jeter: Eigentlich nicht, ich freue mich vielmehr darauf. Viele zuhause fragen sich: "Warum zum Teufel ist Pooh plötzlich Ukrainer?" Bei der WM kann ich ihnen die Antwort geben und mich dabei mit meinen alten Kumpels aus Los Angeles messen. Ich kenne James Harden, Russell Westbrook und Tyson Chandler seit Jahren. Kevin Durant und LeBron James kommen im Sommer häufig für Pickup-Games vorbei. Auf sie bei einer WM zu treffen, wäre großartig.

SPOX: Vor allem, weil Sie sich erneut für die NBA anbieten könnten? In der Saison 2010/11 kamen Sie für die Sacramento Kings immerhin zu 62 Einsätzen.

Jeter: Das muss die Zukunft zeigen. Ich frage meinen Agenten bewusst nicht nach Angeboten, die während der EM reingekommen sein könnten. Ich habe mich vor der EM bewusst dazu entschieden, für zwei Jahre bei den Shangdong Lions zu verlängern.

SPOX: Sie führten Shangdong nach einer denkwürdigen Playoff-Halbfinal-Serie gegen Stephon Marbury in die chinesischen Finals. Marbury erzielte für die Beijing Ducks 28,0 Punkte im Schnitt, Sie 25,3 Punkte.

Jeter: Was für eine großartige Serie! Wir konnten Marbury und die Ducks in 3 Spielen sweepen, allerdings kassierten wir im Finale dann einen 0-4-Sweep gegen die Guangdong Southern Tigers, die von Litauens Nationalcoach Jonas Kazlauslas trainiert werden. Ich habe Kazlauskas während der EM bereits angekündigt, dass wir den Spieß in der kommenden Saison umdrehen werden.

SPOX: In China gibt es lukrative Gagen - Europa hingegen ist sportlich reizvoller.

Jeter: Europa bleibt immer eine Option. Vor allem in Spanien liebte ich das Leben: Die Sonne, das Essen, die Frauen. (lacht) Ich stand letztes Jahr sogar kurz davor, in die BBL zu kommen. Ich wäre fast in Quakenbrück gelandet, nachdem Demond Mallet sich so verletzt hatte. Die Verhandlungen mit den Artland Dragons waren sehr weit, aber dann unterschrieb ich in China.

SPOX: Sich selbst in der NBA anzubieten, ist keine Option? Geht es Ihnen ähnlich wie Bo McCalebb, der sich nicht respektiert fühlt und nie wieder in der Summer League spielen will, wie er im SPOX-Interview erzählte?

Jeter: Das ist vergleichbar, ich kann mich sehr gut in Bo hineinversetzen. Ich nahm fünf Sommer in Serie an der Summer League teil und hörte die immer gleichen Versprechungen, nur um am Ende aus dem Kader gestrichen zu werden. Solange ich einen garantierten Vertrag besitze, egal wo, biete ich mich nicht mehr an.

SPOX: Ihre Schwester Carmelita Jeter gehört zu den besten Sprinterinnen der Welt und stellte mit 10,64 Sekunden über 100 Meter die zweitschnellste Zeit jemals auf. Doch auch Sie musste einige Tiefen überwinden wie der verpassten Olympia-Qualifikation 2008. Gibt es Parallelen?

Jeter: Die gibt es definitiv. Wir ticken gleich und wir beide wissen, dass man nur mit harter Arbeit weiterkommt. Wir redeten schon früher häufig darüber, da wir nicht nur Geschwister sind, sondern die besten Freunde. Weil wir früher nicht genug Zimmer hatten, teilten wir sogar für drei, vier Jahre ein Zimmer.

SPOX: Wer würde in einem Kombinations-Wettbewerb aus Basketball und 100-Meter-Sprint gewinnen?

Jeter: Schwer zu sagen. Ich zeigte meiner Schwerster, wie man Basketball spielt, und sie kann es richtig gut. Andererseits glaubt es zwar keiner, dennoch bin ich überzeugt, dass ich sie über 100 Meter besiege. Ich bin noch nie mit richtigen Spikes oder einem Sprintanzug gelaufen, aber meine Werte, wenn ich auf dem Court von Grundlinie zu Grundlinie sprinte, machen mir Hoffnung. Ich bräuchte nur etwas Vorbereitungszeit und einen richtigen Leichtathletik-Coach.

SPOX: Stimmt es, dass Carmelita jedes EM-Spiel von Ihnen sah?

Jeter: Ja, das stimmt. Zur Not steht sie um 5 Uhr früh auf, um im Internet den Stream anzumachen. Das gilt umgekehrt genauso: Egal, wie viel Uhr es ist, ich verfolge jeden Wettkampf von ihr. So sind wir erzogen worden, dieser Zusammenhalt ist die Identität der Jeter-Familie. Und zu ihr zählen beste Freunde wie Bobby Brown, der früher bei Alba Berlin war und jetzt von Italien nach Cina wechselt. Mit ihm ist es wie mit Baron Davis, Travis Ariza oder Tyson Chandler: Ich habe praktisch jeden Tag Kontakt mit der alten Crew und spüre ihren Support.

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