Eine nötige Lehrstunde

Ein "Mann unter Kindern": Jonas Valanciunas von Litauen
© getty

Die deutsche Mannschaft hat gegen Titelkandidat Litauen eine deutliche Niederlage kassiert, trotzdem darf die Gruppenphase als Erfolg gewertet werden. Nun steht mit Frankreich eine weitere große Herausforderung an - die aber nicht unmöglich ist, wenn man vom Jüngsten lernt.

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Ob das Spiel gegen Litauen gezeigt hatte, dass zu den ganz großen Nationen dann doch nochmal ein Stück fehlt, wurde Robin Benzing in der Mixed Zone gefragt - nicht ganz unberechtigt, angesichts des Endergebnisses und des doch relativ einseitigen Spielverlaufs. Der Kapitän des DBB-Teams wollte davon allerdings nichts wissen.

"Wir hatten heute ein schlechtes Spiel", sagte Benzing stattdessen. "Wir waren heute einfach nicht bereit, Litauen war in allen Belangen besser." Dass man aber auch die ganz Großen schlagen kann, hätte man doch am Vortag gegen Italien bewiesen.

An dieser Antwort war per se natürlich nichts auszusetzen, wenngleich Litauen ohne Zweifel ein anderes Kaliber war als Italien. Es wäre auch schlichtweg das falsche Zeichen, wenn ein Führungsspieler eingestehen würde, dass das gegnerische Team qualitativ und auch von der Erfahrung her mindestens eine Ebene höher anzusiedeln ist als man selbst. Dass dies zutraf, ist eigentlich aber natürlich auch unbestritten.

Niederlage gegen "absoluten Titelkandidaten"

Litauen gewann am Ende mit 16 Punkten Unterschied und man hatte nicht das Gefühl, dass der Vize-Europameister dafür am Limit spielen musste. Jonas Valanciunas etwa, der 27 Punkte und "gefühlt 50 Rebounds" (Benzing; es waren 15) holte, war nach dem Spiel kaum anzusehen, dass er irgendeine Anstrengung aufgebracht hatte.

Dabei hatte er die deutschen Big Men zeitweise rumgeschubst wie ein Zwölfjähriger, der in die erste Klasse strafversetzt wurde. Die Litauer hatten physisch deutliche Vorteile, sie spielten aber auch cleverer als die deutsche Mannschaft. "Wir wissen, dass wir hier gegen einen absoluten Titelkandidaten verloren haben", sagte DBB-Präsident Ingo Weiß daher korrekterweise.

In diesen Kreis gehört das deutsche Team noch nicht - aber das ist keine Schande. Man hat schon jetzt sein bestes großes Turnier seit vielen Jahren gespielt, das Soll ist mit dem souveränen Achtelfinaleinzug als Gruppenzweiter erfüllt.

"Natürlich ist es ärgerlich, dass wir den ersten Platz verpasst haben. Aber es ist schon mal ein guter Erfolg, dass wir als Zweiter nach Istanbul fahren", sagte daher auch Dennis Schröder, der mit 26 Punkten erneut Topscorer war.

Probleme mit echten Kanten

Dort wartet mit Frankreich ein Team, gegen das Deutschland erst vor rund zwei Wochen zuletzt gespielt hatte. In Berlin ging die Partie mit 79:85 verloren, für das Wiedersehen am Samstag hat dies jedoch keine Aussagekraft. "Wir sind seitdem deutlich gewachsen als Team. Die Herausforderung ist sicherlich groß, aber wir brauchen keine Angst haben und können da selbstbewusst antreten", sagte Fleming.

Es ist dabei relativ klar, worauf die deutsche Mannschaft aufbauen kann und was zwingend besser werden muss. Die Defense ist über weite Strecken der Vorrunde sehr gut gewesen, auch wenn man es den Litauern zu einfach machte. Dennoch habe seine Mannschaft "das Selbstvertrauen, dass wir auch gute Gegner stoppen können", sagte Fleming. Gegen die Franzosen, die keine Lowpost-Kante wie Valanciunas haben, dürfte Deutschland wieder mit mehr Fokus und Biss antreten.

Das dürfte auch bei einem der größten Probleme aus dem Litauen-Spiel helfen: Den Rebounds. Johannes Voigtmann gestand ein, dass man sich hatte "überpowern" lassen, das Team habe schlichtweg nicht hart genug gespielt. Trotz der Größennachteile ist das ein Feld, in dem man mit Einsatz sehr viel wettmachen kann, wie Isaiah Hartenstein, Johannes Thiemann oder auch Karsten Tadda (8 Rebounds, 3 davon offensiv) bewiesen.

Voigtmann: "Kann nicht sagen, woran es liegt"

Ein anderes grundsätzliches Problem hat derweil weniger mit Einsatz denn mit Selbstbewusstsein zu tun. Das Team hat "ein bisschen Probleme, einen gescheiten Offensiv-Rhythmus zu entwickeln", wie es Benzing ausdrückte. Insbesondere von draußen läuft es weiterhin überhaupt nicht, gegen die Litauer fielen gerade einmal acht von 33 Dreiern durch die Reuse.

"Ich kann es nicht sagen, woran es liegt", sagte Voigtmann zu dem Thema, der Center hatte selbst einen von vier versenkt. "Eigentlich waren es überwiegend gute, offene Würfe. Da muss jetzt einfach irgendwann der Knoten platzen. Vielleicht ja im Achtelfinale." Es wäre wohl bitter nötig. Denn bei aller Brillanz Schröders, der auch von den Litauern nicht zu kontrollieren war - es braucht gegen die Top-Teams einfach noch wenigstens eine weitere Go-to-Option.

Isaiah Hartenstein dreht auf

Gegen Litauen wurde dies zwischenzeitlich das "Küken": Isaiah Hartenstein spielte vor allem im dritten Viertel bärenstark. Eigentlich wurde er gebracht, um Valanciunas mal einen anderen Look zu geben, aber er drehte fortan auch offensiv auf. 8 Punkte machte er im Viertel, 10 insgesamt. Dazu holte er 4 Rebounds sowie jeweils einen Steal und Block.

Hartensteins Rolle im DBB-Team ist eine interessante. Der 19-Jährige ist einerseits ein Versprechen für die Zukunft, gleichzeitig bringt er auch jetzt schon etwas, was den älteren (abgesehen von Schröder) häufig abgeht: Er spielt völlig unbekümmert, er "scheißt sich nix". Er wiegt gefühlt 80 Kilo weniger als Valanciunas, trotzdem hatte er keinerlei Hemmungen, den NBA-Star direkt zu attackieren. Er spielt mit einer Energie, fast schon einer Euphorie, die ansteckend wirkt.

So oder so: Die beste deutsche EM seit langem

Hartenstein spielt befreit, weil er nichts zu verlieren hat. Vielleicht ist das genau die Einstellung, die Deutschland ins Achtelfinale mitnehmen sollte. Denn auch das Team hat nichts mehr zu verlieren. Die Franzosen sind favorisiert, aber sicher nicht unschlagbar. Für sie wäre ein Ausscheiden fast schon katastrophal, auch wenn ihnen einige Stars fehlen, die Deutschen dagegen könnten ihr erstes Viertelfinale seit 2007 erreichen. Wenn sie verlieren, war es trotzdem die beste EM seit langem.

Das Team habe es verdient, am Abend noch einmal gemeinsam Tel Aviv zu genießen, bevor es am Donnerstagmorgen direkt nach Istanbul weitergeht, sagte Schröder. Man konnte ihm nur beipflichten.

Dieses Team macht Laune - und wenn die Entwicklung dieses Turniers über die nächsten Jahre fortgesetzt wird, sprechen wir eines Tages wirklich wieder von einem Team, das mit den Litauens dieser Welt auf Augenhöhe steht.

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