Titan mit Hindernissen

Jan Höfling
15. September 201516:49
Gustavo Ayon will mit Real Madrid Titel sammelngetty
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Gustavo Ayon genießt in seiner Heimat Mexiko spätestens seit der Weltmeisterschaft im Sommer Heldenstatus, doch der NBA-erfahrene Titan aus Zapoteca kennt ebenso die andere Seite. Der Wechsel zu Real Madrid soll für den Power Forward deshalb ein Neuanfang sein. Erwartungen und Ansprüche sind dabei enorm.

Noch ein flüchtiger Blick nach links, dann lässt es Gustavo Ayon zwei Schritte später aus vollem Lauf ordentlich krachen. Neben Kyrie Irving können auch Anthony Davis und Kenneth Faried nur zusehen, wie Mexikos Nummer acht das Leder mit beiden Händen und ordentlich Wucht durch den Ring hämmert. Kaum zurück am Boden, kann sich der 29-Jährige ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen.

Wirklich viel zu bejubeln gab es im Achtelfinale der Weltmeisterschaft für Mexiko allerdings nicht, zu übermächtig präsentierte sich der Gegner aus den Vereinigten Staaten. Nicht nur gegen Ayon und Co. zeigten die US-Boys dabei ihre Klasse, sondern über das gesamte Turnier hinweg. Am Ende stand nach einer weiteren Demonstration im WM-Finale gegen überforderte Serben der Titel, für Mexiko war nach der Niederlage hingegen Schluss.

Titel? Nebensache!

Für die Fans der Südamerikaner war das Aus jedoch nur ein kleiner Wermutstropfen. Zu groß war der Stolz über das, was ihr Team erreicht hatte. Allein die Teilnahme, die erst durch einen Überraschungstriumph bei den Amerika-Meisterschaften in Venezuela ein Jahr zuvor gesichert wurde und die erste seit 40 Jahren war, entsprach einer kleinen Sensation. Der Einzug in die Playoffs stellte dann die vorzeitige Krönung dar.

Bereits im Vorfeld der Endrunde ruhten die Hoffnungen dabei auf einem Mann, der als das fehlende Puzzleteil des mexikanischen Teams gesehen wurde und der sein Land als MVP der Qualifikation nach Spanien führte. Die Rede ist von Ayon, der gegen die USA auf 25 Punkte und acht Rebounds kam und anschließend von seinen Teamkollegen und der heimischen Presse mit Lob geradezu überschüttet wurde.

Auch sein Turnier-Schnitt von 17,6 Punkten und 7,6 Rebounds sowie eine starke Quote von 61 Prozent aus dem Feld sorgten für Anerkennung. Und das, obwohl Mexiko nur zwei seiner sechs Spiele für sich entscheiden konnte.

Mehr als nur ein Sport

Die Weltmeisterschaft war somit der vorläufige Höhepunkt einer Karriere, mit der der ruhige Mexikaner, der den Spitznamen Titan trägt, auf diese Weise wohl selbst nicht gerechnet hätte. Vor allem, da die Prioritäten in seiner Jugend zunächst gänzlich andere waren. In der beschaulichen Kleinstadt Zapoteca im Westen Mexikos, in der Ayon aufwuchs, genießt die Landwirtschaft eine immense Bedeutung. Auch er lernte deshalb früh, mit anzupacken.

Die Bedeutung von Arbeit, Bodenständigkeit und Zusammenhalt dienten als Fundament seiner Erziehung, weshalb Ayon bereits als Kind jene Werte verinnerlichte, die ihn auch heute noch auszeichnen. "Meine Familie hat mich immer unterstützt und meine Heimatstadt war ein großartiger Ort, um aufzuwachsen", blickte der 29-Jährige unlängst zurück und fügte an: "Die Menschen dort sind sehr nett und haben mich stets vorangetrieben. Ich komme immer gerne zurück nach Hause."

In den Abendstunden verlagerte sich das Geschehen dann regelmäßig auf den kleinen Sportplatz im Herzen des knapp tausend Einwohner fassenden Städtchens. Während sich am Rand über den Tag unterhalten oder Karten gespielt wurde, ging es auf dem Platz selbst ordentlich zur Sache. Egal ob jung oder alt, der Basketball vereint bis heute die verschiedenen Generationen Zapotecas. Auch Ayon erlag an nahezu jedem Abend seiner Anziehungskraft.

Ein faszinierendes Duo

Wie viele junge Mexikaner verfolgte auch er während seiner Jugend die NBA, war dabei jedoch ein Spätstarter und ließ den Blick gerne etwas weiter schweifen. "Erst als ich 16 Jahre alt war, habe ich angefangen, die Karriere von Luis Scola und auch die NBA wirklich zu verfolgen. Ich habe es genossen, mir die Los Angeles Lakers anzuschauen", schwärmte Ayon: "Es war faszinierend, Kobe Bryant und Shaquille O'Neal zusammen zu sehen."

Er selbst rückte erst Jahre später während seiner Uni-Zeit ins Rampenlicht. Der Titel als wertvollster Spieler der Universitätsmeisterschaften im Jahr 2006 war dabei ein unverkennbares Zeichen, das auch den Scouts im Nachbarland nicht verborgen blieb.

Die San Jose State University griff zu, doch statt für die Spartans in der NCAA unter den Brettern aufzuräumen, entschied sich der Power Forward, der aufgrund seiner Physis auch auf der Fünf spielen kann, für Halcones UV Xalapa. Ein mexikanischer Erstligist, den er zu zwei Titeln führte. Zudem gelang ihm der Sprung in die Nationalmannschaft. Die Zeit für eine neue Herausforderung war gekommen, denn nichts war Ayon seit jeher so fremd wie Stagnation.

Auf zu neuen Ufern

Statt für naheliegende Optionen in Nord- oder Südamerika entscheid er sich allerdings - mit einem kleinen Zwischenstopp in Venezuela - für den risikobehafteten Sprung nach Europa. Für die spanischen Fans war der 2,08-Meter-Hüne bei der Weltmeisterschaft deshalb alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Bereits in der Saison 2010/11 spielte er für CB Fuenlabrada und erarbeitete sich dort nicht nur einen Stammplatz, sondern auch den Titel als bester Newcomer der ACB.

Ausschlaggebend für den schnellen Erfolg war neben der Sprache, die die Kommunikation enorm vereinfachte, vor allem der Blick über den Tellerrand. Auf diese Weise konnte er die komplett andere Metaebene des Basketballs, wie er in Europa gespielt wird, deutlich schneller verinnerlichen. "Ich habe auch als Jugendlicher schon die europäischen Ligen verfolgt, dem Internet sei Dank", sagte Ayon. Trotz oder gerade wegen der erfolgreichen Zeit war Fuenlabrada im Endeffekt nicht mehr als ein Sprungbrett. Er erfüllte sich seinen Traum...

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Die New Orleans Pelicans, damals noch als Hornets unterwegs, sicherten sich im Dezember 2011 seine Dienste. Die Chance als dritter mexikanischer Spieler überhaupt in der besten Liga der Welt aufzulaufen, ließ ihn dabei über so manch negativen Aspekt hinwegsehen.

"Ich sehe meine Familie relativ selten, was sehr schwer für mich ist", so Ayon. Er hatte erst kurz zuvor seine Frau geheiratet, die mit dem gemeinsamen einjährigen Sohn zunächst in Mexiko blieb. Auch Sprachprobleme erschwerten ihm den Start. Doch letztlich überwog die Leidenschaft: "Ich freue mich, Basketball zu spielen, egal an welchem Ort auf der Welt", stellte er klar.

Die Liebe zu seinem Sport sollte jedoch auf eine harte Probe gestellt werden. Denn trotz einer guten Rookie-Saison, in der bei limitierter Einsatzzeit neben seiner Athletik vor allem die solide Defensivarbeit und das gute Auge für den Mitspieler auffielen, stand Ayon in folgenden Jahren für vier unterschiedliche Klubs auf dem Parkett.

Neben New Orleans finden sich auch die Milwaukee Bucks, Orlando Magic und Atlanta Hawks in seiner Historie wieder, er diente dabei als Trademasse oder lediglich als Mittel, finanziellen Spielraum zu schaffen. Auch seine Einsatzzeiten waren bei allen Teams nicht im gewünschten Bereich.

Eine fatale Konstante

Vom Dasein als Ergänzungsspieler ließ er sich trotzdem kaum aus der Ruhe bringen. "Das Gute ist, dass ich jeden Tag zum Training kann", so Ayon. Er schob jedoch nach: "Ich verbessere mein Spiel an jedem Tag, allerdings bin ich hier um zu spielen, nicht um auf der Bank zu sitzen." Sein Körper ließ ihn allerdings regelmäßig im Stich.

Die letzte Saison in Atlanta steht dabei sinnbildlich für eine Odyssee der Frustration. Zwar verpasste Ayon große Teile der Saisonvorbereitung, jedoch kämpfte er sich zurück. Nach einem Double-Double gegen die Toronto Raptors, als ihm in 30 Minuten 18 Punkte und 10 Rebounds gelangen, schien er endgültig angekommen zu sein im System von Coach Mike Budenholzer.

Er hatte seine Rolle gefunden und gab dem Team die so wichtige Präsenz unter den Brettern. Umso bitterer war der erneute Dämpfer: Eine Schulterverletzung zog nicht nur eine Operation nach sich, sondern war gleichbedeutend mit dem Saisonaus. In der Folge wurde auch sein im Sommer 2014 auslaufender Vertrag nicht verlängert.

Vertrauter Neuanfang

Aufgrund der Rückschläge war die überzeugende Weltmeisterschaft umso wichtiger, seine Auftritte weckten gleich bei mehreren Teams Interesse. So auch bei den Verantwortlichen von Real Madrid, die bereits seit längerem ein Auge auf den Mexikaner geworfen hatten. Im Werben um Ayon griff der Hauptstadtklub deshalb tief in die Tasche und nahm den Mexikaner für zwei Jahre unter Vertrag.

Unter anderem gelang es Madrid so sogar, die San Antonio Spurs auszustechen. Während der NBA-Champion wohl nur mit einem wenig lukrativen Deal sowie begrenzter Spielzeit aufwarten konnte, erfährt der 29-Jährige bei Real eine größere Wertschätzung. Die Madrilenen versprechen sich einiges von der Verpflichtung: Unter der Leitung von Coach Pablo Laso soll Ayon zu einer festen Größe werden und neben dem spanischen Meistertitel auch den Euroleague-Titel in die Hauptstadt bringen.

Einfach fiel Ayon die Entscheidung dennoch nicht, denn eigentlich wäre der Umworbene laut eigener Aussage lieber in der NBA geblieben. Das Angebot war jedoch letztlich einfach "zu gut, um es abzulehnen" - und vielleicht gehören auch die Hindernisse, die den mexikanischen Titan in die Knie zwangen, durch den lockereren Terminkalender der Vergangenheit an.

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Gustavo Ayon im Steckbrief