"Ottke und Abraham - zwei verschiedene Welten"

Von Interview: Bärbel Mees
Sven Ottke schenkte Ulli Wegner nach seinem letzten Kampf zum Dank ein Auto
© Getty

Trotz seiner 68 Jahre denkt die Trainerlegende Ulli Wegner noch lange nicht ans Aufhören - zwei seiner Wünsche sind schließlich noch offen. Im SPOX-Interview spricht er vor dem 100. Kampfabend von Sauerland und "ARD" am Samstag über den Fight von Marco Huck in Erfurt, einen unvergleichlichen Sven Ottke und Arthur Abrahams blutige Titelverteidigung.

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SPOX: Am 21. August kämpft Marco Huck gegen Matt Godfrey. Ein Gegner, der ihm gefährlich werden könnte?

Ulli Wegner: Huck neigt dazu, sich sehr sicher zu fühlen, aber Godfrey ist kein Gegner, der unterschätzt werden sollte. Diesen Fehler hat Huck 2007 bei seiner einzigen Niederlage gegen Steve Cunningham begangen.

SPOX: Direkt nach der Niederlage gegen Cunningham hat sich Huck von Ihnen getrennt. Wie sehr hat Sie diese Entscheidung verletzt?

Wegner: Die Niederlage hatte Huck sich selbst zuzuschreiben. Die Vorbereitung lief nicht schlecht, aber er fühlte sich schon vor dem Kampf als Weltmeister. Seine Eltern haben ihn gefeiert, nur weil er paar Siege hintereinander hatte. Doch dann kam mit Cunningham eben ein Klügerer.

SPOX: Zwei Monate nach der Trennung kam Huck wieder zu Ihnen zurück...

Wegner: Ich habe zwar viele Freunde, aber auch etliche Neider, die bei einer Niederlage aus ihren Löchern gekrochen kommen und den Jungen beeinflusst haben. Deshalb hat er sich von mir getrennt. Aber nach ein paar Wochen wollte Huck zu mir zurück. Ich habe zuerst gezögert, mir dann aber überlegt, woher er kommt und wie er erzogen wurde - und da bin ich über meinen Schatten gesprungen. Das ist eigentlich ungewöhnlich bei mir. Aber ich wusste: Auch als er weg war, war er mit dem Herzen noch bei mir. Wenn ich ihn nicht zurückgenommen hätte, wäre der Junge verloren gewesen. Der weiß doch noch gar nicht, wie das Leben funktioniert. Dass Marco Huck Weltmeister ist, ist sowieso ein Wunder.

SPOX: Hat Huck daraus gelernt?

Wegner: Ja und Nein. Er muss das immer wieder von Neuem verinnerlichen, denn er lebt sehr emotional. Ich muss ihn steuern, aber dazu bin ich ja Trainer.

SPOX: Und das sehr erfolgreich. Das Magazin "Boxsport" hat Sie siebenmal zum Trainer des Jahres gewählt, kürzlich bekamen Sie das Bundesverdienstkreuz. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Wegner: Zielstrebigkeit und unheimlich viel Disziplin. Anders kann man Weltklasse-Sportler nicht formen. Manche meiner Boxer haben damit anfangs ihre Schwierigkeiten, weil sie das nicht gewöhnt sind.

SPOX: Sie waren lange Amateurtrainer. 1996 überzeugte Wilfried Sauerland Sie, ins Profilager zu wechseln. Mit welchen Argumenten hat er Sie geködert?

Wegner: Für mich war der Wechsel ins Profilager eine große Herausforderung und ein neuer Reiz. Die finanziellen Aspekte haben natürlich auch eine Rolle gespielt. Universums Klaus-Peter Kohl hatte mich schon früher darauf angesprochen, ob ich nicht in den Profisport wechseln möchte, aber ich wollte 1996 noch mit meinen Jungs an den Olympischen Spielen teilnehmen und Medaillen gewinnen. Letztendlich bin ich nicht bei Universum, sondern beim Sauerland-Boxstall gelandet. Wilfried Sauerland hat viel dafür gemacht, um mich zu holen. Ich kannte ihn zwar nicht persönlich, hatte bei ihm aber ein besseres Bauchgefühl.

SPOX: Sie trainierten alle Zugpferde des Boxstalls in den letzten 15 Jahren: Sven Ottke, Markus Beyer, Arthur Abraham, Marco Huck - wer ist das größte Talent?

Wegner: Herausragend und fast einmalig in der Welt war Sven Ottke. Er war wirklich mit Abstand der dominierende Mann in der Welt und sucht seinesgleichen. Er trat ungeschlagen als Weltmeister ab, das war das Nonplusultra.

SPOX: Warum war er so überlegen?

Wegner: Er hat meine Trainingsmethoden verinnerlicht und sein Leben um den Leistungssport herum organisiert.

SPOX: Ottke sagte im Interview mit uns, Arthur Abraham sei ziemlich faul, man müsse ihm immer in den Hintern treten...

Wegner: Arthur fällt beispielsweise vieles zu, er bringt sehr gute Voraussetzungen mit, ist aber nicht kontinuierlich geführt worden. Als er ins "System Ulli Wegner" kam, musste er den Hintern zusammenkneifen, um die Anforderungen zu erfüllen. Ottke und Abraham  - das sind zwei verschiedene Welten.

SPOX: Zusammengerissen hat sich Abraham 2006 bei seiner Titelverteidigung  gegen Edison Miranda, die er mit gebrochenem Kiefer erkämpfte. Sie haben das Handtuch damals nicht geworfen. Warum nicht?

Wegner: Die Situation war damals sehr kritisch und eben auch umstritten. Ich wusste damals nicht genau, wie der Kiefer gebrochen war. Aber Arthur ist ziemlich clever und ausgefuchst, auch wenn er taktisch noch etwas zulegen muss. Dennoch: Im Ring ist er raffiniert und ich hatte das Vertrauen, dass er den Fight übersteht. Ich hielt das Handtuch in der Hand und wenn irgendetwas Besonderes passiert wäre, hätte ich es sofort geworfen. Arthur wäre vielleicht in dem Moment froh gewesen, wenn ich ihn aus dem Kampf genommen hätte, aber anschließend hätte er mir das bestimmt übel genommen. Ich spreche vorab im Training immer mit den Jungs und erkläre ihnen, dass sich die Klasse des Sportlers und der Menschen im Allgemeinen in solchen Situationen zeigt. Um ehrlich zu sein: Ich habe anschließend ein paar Tage über meine Entscheidung nachgegrübelt, aber ich glaube noch heute, dass sie richtig war. Hätte Arthur den Kampf damals verloren, hätte ich natürlich alt ausgesehen. Doch so ist alles gut gegangen.

SPOX: Abraham hat Sie nach seinem Weltmeistertitel 2005 reumütig gefragt, ob er Sie "Herr Trainer, mein Freund" nennen darf. Warum haben Sie Nein gesagt?

Wegner: Das ist zweischneidig. Man kann mit dem Trainer nicht befreundet sein, denn die Anforderungen im Leistungssport sind sehr hart. Das erfordert eine unheimliche Disziplin und manchmal muss der Trainer seine Sportler auch zu den Leistungen drängen. Kein Mensch geht freiwillig in den Schmerzbereich. Ottke und ich haben uns beispielsweise geachtet, aber auch immer einen gewissen Abstand gewahrt.

SPOX: Offenbar eine erfolgreiche Methode. Anders als bei Universum...

Wegner: Seit Fritz Sdunek dort als Trainer aufgehört hat, denken andere, sie haben genauso viel auf dem Kasten wie er - aber die Praxis zeigt, sie sind vielleicht doch noch ein wenig davon entfernt. Sauerland hat Dominik Britsch, Universum Sebastian Zbik. Beide gelten als die größten deutschen Talente. Aber wenn sie jetzt aufeinandertreffen würden, würde Britsch Zbik auseinandernehmen.

SPOX: Britsch scheint Ihnen besonders am Herzen zu liegen...

Wegner: Ich habe noch zwei Wünsche: Abraham soll das Super-Six-Turnier gewinnen und Britsch möchte ich zum Weltmeister formen.

SPOX: Inzwischen sind Sie 68 Jahre alt, Fritz Sdunek tritt inzwischen etwas kürzer - denken Sie ans Aufhören?

Wegner: Ich habe mir in den letzten Jahren soviel Wissen und Fachkenntnisse angeeignet - was soll ich damit zuhause? Sauerland soll froh sein, dass ich weitermache und mein Wissen weitergebe. Ich bin total im Schwung und auch geistig noch absolut fit.

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