Solis: "Boxen war nie meine Liebe"

Von Interview: Haruka Gruber
Odlanier Solis im Kreise von Promoter Ahmet Öhner und Don King
© Getty

Odlanier Solis trifft am Samstag in Köln im WBC-Schwergewichts-WM-Fight auf Champion Witali Klitschko (Sa., 22.30 Uhr im LIVE-TICKER). Im SPOX-Interview spricht der Kubaner über seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Box-Sport, seine Flucht und den SpongeBob-Tick.
 
 

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SPOX: Im Boxsport sind ungewöhnliche PR-Aktionen beliebt, um Aufmerksamkeit auf einen Kampf zu ziehen. Aber war es dennoch nötig, sich Trickserien-Figur "SpongeBob" als neues Maskottchen auszusuchen und eine diamantenbesetzte Nachbildung des Schwammkopfs um den Hals zu tragen?

Odlanier Solis: Ich sehe es nicht so eng. Es ist doch eine amüsante Idee, die eine gewisse Symbolkraft hat: Ein Schwamm saugt alles auf, genauso werde ich mir Klitschkos WM-Gürtel einverleiben. Außerdem freuen sich meine drei Söhne darüber, sie sind große "SpongeBob"-Fans. Es gibt einen weiteren triftigen Grund, warum wir "SpongeBob" ausgewählt haben, diesen werden wir aber erst nach dem Klitschko-Kampf verraten. Lasst Euch überraschen.

SPOX: Witali Klitschko hatte nur ein müdes Lächeln übrig, als er erstmals Ihre "SpongeBob"-Kette sah.

Solis: Ich habe keine Ahnung, ob er keinen Spaß versteht oder einfach nur langweilig ist. Er und sein Bruder sind kluge Geschäftsleute, die genau wissen, wie sie das meiste Geld verdienen, ohne Risiko einzugehen, aber etwas mehr Lockerheit würde ihnen nicht schaden.

SPOX: Ist das die Einleitung zum üblichen Trashtalk?

Solis: Überhaupt nicht. Ich will mit den Nettigkeiten nicht übertreiben, aber ich respektiere ihn. Er und sein Bruder haben zwar so lange wie möglich versucht, einem Kampf gegen mich und David Haye aus dem Weg zu gehen, und haben dem erst zugestimmt, als es nicht mehr anders ging, aber ihr Talent steht außer Frage.

SPOX: Sehen Sie sich etwa als Außenseiter?

Solis: Ich bin sicher, dass ich gewinne. Dennoch ist mir bewusst, dass Witali ein sehr seriöser und gewissenhafter Boxer ist und mich in Köln eine feindselige Atmosphäre erwartet, obwohl ich für einen deutschen Boxstall kämpfe. Deswegen lasse ich lieber Taten sprechen, als vorher rumzubrüllen, dass ich Witali ins Grab bringe und danach seinen Bruder töte.

SPOX: Eine Anspielung auf David Haye, der seit dem legendären Schwergewichtsfinale der Amateur-Weltmeisterschaften 2001 in Belfast als Ihr Erzrivale gilt?

Solis: Er hat eine große Klappe, dabei weiß jeder, dass ich und die Klitschkos deutlich stärker sind als er. Er meint zwar andauernd sagen zu müssen, dass er mich locker ausknocken würde, dabei vergisst er, wer nicht nur die WM 2001, sondern auch Olympisches Gold 2004 gewonnen hat: nämlich ich. Ich würde von heute auf morgen sofort gegen ihn in den Ring steigen. Haye verfügt über einen guten Punch und ist schnell, aber das reicht niemals gegen Wladimir oder gegen mich.

Hier geht's zum Video: Haye vs. Solis im WM-Finale 2001!

SPOX: Sie gehören wie Haye zu den kleineren Schwergewichtlern. Wie planen Sie, die Größennachteile gegen Witali Klitschko zu kompensieren?

Solis: Ich bin daran gewöhnt. Seit Mike Tyson und Evander Holyfield weg sind, gibt es ja fast nur noch große Schwergewichtler. Wenn ich mich die ganze Zeit frontal zu Witali stelle und nicht auf den nötigen Abstand achte, wird er mich irgendwann ausknocken, das ist klar. Ich habe jedoch große Erfahrung darin, gegen größere Gegner gut auszusehen, weil in der Gewichtsklasse keiner so schnell und so wendig ist wie ich. Auf diese Weise habe ich schon vor über zehn Jahren die kubanische Legende Felix Savon besiegt, so werde ich auch Witali besiegen.

SPOX: Doch haben Sie tatsächlich Geschwindigkeitsvorteile? Seit Jahren heißt es, dass Sie nicht durchtrainiert seien und allzu gerne schlemmen.

Solis: Ich mag diese Unterstellung nicht, ich höre sie andauernd. Dabei bin ich nicht dick und auch nicht faul. Man darf sich nicht von der Optik täuschen lassen, alle medizinischen Tests zeigen, dass ich fit und spritzig bin. Solange die Werte stimmen, ist es meinem Trainer Pedro Luiz Diaz völlig egal, ob ich 150 oder 100 Kilo wiege. Und er muss es wissen, immerhin ist er einer der erfolgreichsten Coaches der Welt.

SPOX: Es gibt jedoch die Theorie, dass Sie zu Übergewicht und einer gewissen Trainingsfaulheit neigen, weil Ihnen Boxen nicht am Herzen liegt.

Solis: Es stimmt, Boxen war nie meine Liebe und wird es auch nicht werden. Ich sehe Boxen eher als einen Job.

SPOX: Ist ohne die Leidenschaft der Ehrgeiz ausgeprägt genug, um sich in der Vorbereitung ausreichend zu quälen und sich zu überwinden?

Solis: Es ist so: Ich liebe die Musik, ich liebe das Angeln. Aber in beiden Dingen könnte ich nie so erfolgreich sein wie im Boxen. Deswegen ist es für mich logisch, dass ich mich voll aufs Boxen konzentriere und versuche, den Beruf so professionell wie möglich auszuüben. Sie wollten als Kind doch bestimmt auch lieber Bundesliga-Profi werden statt Sport-Journalist, dennoch interviewen Sie mich gerne. Ähnlich ergeht es mir mit Boxen.

SPOX: Ein Sport-Journalist sollte sich in seinem Fachbereich jedoch einigermaßen auskennen, Sie hingegen interessieren sich angeblich überhaupt nicht für das Box-Geschäft. Testfrage: Würden Sie auf der Straße Tomasz Adamek oder Alexander Powetkin erkennen?

Solis: Ganz ehrlich: nein. Ich erkenne Fußballer, Baseballer oder Musik-Stars, aber im Boxen sind mir die meisten Gesichter und die Namen unbekannt. Das ist aber überhaupt kein Problem, denn mein Trainer hat ein überragendes Wissen, kennt die Stärken und Schwächen aller möglichen Gegner und bereitet mich vor.

SPOX: Hilft Ihre Gleichgültigkeit womöglich, um entspannter in den Klitschko-Kampf zu gehen? Der Druck müsste immens sein, es werden alleine in Deutschland deutlich über zehn Millionen Menschen zusehen.

Solis: Das soll mich nervös machen? Stellen Sie sich mal vor: Die Olympischen Spiele, die gesamte kubanische Nation schaut zu, innerhalb weniger Tage sind mehrere Kämpfe angesetzt, man weiß kaum etwas über die Gegner, nach einer Niederlage ist der Traum von Gold vorbei - das nenne ich Druck! Bei den Profis bekomme ich drei Monate, um mich auf einen Kampf vorzubereiten, das ist doch himmlisch.

Blog von BigShot: Endet die Klitschko-Herrschaft?

SPOX: Wenn Ihnen die Zuschauerzahlen nichts ausmachen: Verspüren Sie einen finanziellen Druck, weil im Falle einer Niederlage hoch dotierte Kämpfe erst einmal ausbleiben werden?

Solis: Geld ist wichtig, aber es ist nicht alles im Leben.

SPOX: Ist das nicht eine Phrase? Sie sind doch 2006 aus Kuba geflüchtet und haben Ihre Familie zurückgelassen, weil Sie eine lukrative Profikarriere starten wollten.

Solis: Das stimmt nicht. Als ich mich mit Yuriorkis Gamboa und Yan Barthelemi abgesetzt habe, dachte ich gar nicht daran, als Boxer Karriere zu machen. Klar, wir wollten einige Dollar verdienen, aber wir waren damals Kinder, die einfach neugierig auf die Welt waren.

SPOX: Wie verlief die Flucht?

Solis: Wir sind einfach geflüchtet.

SPOX: Einfach?

Solis: Viele denken an eine James-Bond-Geschichte, aber es war lange nicht so aufregend. Uns wurde ein Anwalt vorgestellt, der der Freund eines Bekannten war. Der Anwalt wiederum schaltete einen Mittelsmann ein, der alles organisiert hat. Während eines Trainingslagers in Venezuela wurden wir abgeholt, und wir reisten über Kolumbien nach Deutschland ein, zwei Jahre später ging es weiter nach Miami.

SPOX: Welche Rolle spielte dabei Ihr Promoter Ahmet Öner?

Solis: Ahmet hat meinen sportlichen Werdegang als Amateur sehr genau verfolgt und mochte offenbar meinen Box-Stil. So hat er über Umwege Kontakt aufgenommen und sich in Deutschland um uns gekümmert.

SPOX: Öner dürfte bei den Verantwortlichen in Kuba nicht allzu beliebt sein. Wie erging es Ihren Familienangehörigen nach Ihrer Flucht? Gab es Repressalien?

Solis: Überhaupt nicht. Vermutlich, weil jeder wusste, dass es meine eigene Entscheidung war und die Familie nicht eingeweiht war. Es gab wohl Fälle, bei denen die Behörden Probleme machten, aber meinen Verwandten ist nichts passiert, weil jeder Schritt sofort publik geworden wäre.

SPOX: Nach Ihrer Flucht kam Ihre Profikarriere nur schleppend in Gang. Wie enttäuschend verlief die erste Zeit?

Solis: Ich bin davon ausgegangen, dass es zu Problemen kommen wird, deswegen war ich vorbereitet und dachte überhaupt nicht daran, irgendwann einmal einen WM-Fight zu bekommen. Aber Ahmet Öner hatte mir damals schon ein Versprechen gegeben: 'Ich mache dich zum Schwergewichtsweltmeister!' Er hat sich um mich gekümmert und mir sogar den Klitschko-Kampf ermöglicht, daher bin ich ihm einiges schuldig. In Deutschland wird schlecht über ihn geredet, mit einem Sieg gegen Klitschko kann ich aber dabei helfen, dass er etwas von seiner Ehre zurückbekommt.

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