"Es gibt keine anderen Welten mehr zu erobern!" Das waren die letzten Worte von Alexander dem Großen am Sterbebett, 323 vor Christus. Ob sich Wladimir Klitschko über 2330 Jahre später dasselbe denkt, ist nicht überliefert. Und doch scheint es fast so, als wäre der mehrfache Weltmeister nach dem Erfolg über seinen Erzfeind David Haye am Ende angekommen. Am Ende des Erreichbaren. Am Ende seiner Gegnerliste. Am Ende seiner Karriere.
Es gibt nur einen Haken: Klitschko will seine Handschuhe gar nicht an den Nagel hängen. Noch nicht. Gleichwohl bleibt die Frage, wen das ukrainische Gürteltier überhaupt noch vor die Fäuste bekommen kann. Ein Rückkampf gegen David Haye würde wohl kaum eine ähnliche Brisanz mit sich bringen wie das erste Duell. Tomasz Adamek, ein weiterer Name in der Verlosung, darf sich am 10. September erst mal mit Wladimirs Bruder Witali vergnügen und fällt damit ebenfalls raus.
Doch wer bleibt übrig? Wer tritt den Beweis an, dass es doch irgendwo immer einen Besseren gibt? Am Wochenende hat sich zumindest Tyson Fury gegen Derek Chisora einstimmig nach Punkten durchgesetzt und sich als möglichen Gegner in Stellung gebracht. Klitschko deutete zuvor an, dass er womöglich gegen den Sieger dieses britischen Duells antreten wird. "Über Nacht kann man so etwas nicht organisieren, aber ich bin bereit für Wladimir", sagt Fury.
Doch wen gibt es sonst noch? SPOX nimmt sieben mögliche Herausforderer von Dr. Steelhammer unter die Lupe und schätzt ihre Chancen ein:
Alexander Powetkin (31, 21-0-0): Der Olympiasieger
Zweimal Europameister. Weltmeister 2003. Olympiasieger 2004. Mehr als Alexander Powetkin in seiner Amateurzeit zu erreichen geht eigentlich gar nicht. Auch der Sprung ins Profigeschäft gelang dem Mann aus Kursk nahezu mühelos. Nach einigen Aufbaukämpfen besiegte er Ex-Weltmeister Chris Byrd und Eddie Chambers. Nächster Stopp: Wladimir Klitschko höchstpersönlich. Doch der Weiße Tiger verletzte sich in der Vorbereitung am Sprunggelenk. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachten alle. Mit seinem neuem Trainer Teddy Atlas, der einst auch für Mike Tyson und Michael Moorer zuständig war, wurde ein neuer Versuch für den Fight gegen Klitschko unternommen. Und wieder scheiterte der Kampf, diesmal weil Powetkin offenbar den Kampfvertrag nicht fristgerecht unterschrieb. Dass sein nächster Kampf am 27. August gegen Ruslan Tschagajew trotzdem um eine Weltmeisterschaft geht, verdankt er nur der WBA. Die beförderte nämlich Klitschko nach dessen Sieg gegen David Haye zum Super-Champion und erklärte den Titel als vakant.
SPOX-Prognose: Über das Talent des mittlerweile 31-jährigen Powetkin darf und kann es keine zwei Meinungen geben. Und wenn er sein volles Potential abrufen kann, dann stellt der Russe selbst für einen Klitschko ein Problem dar. Denn: Niemand im Schwergewicht ist vermutlich besser im In-Fight als er. Niemand hat eine höhere Schlagfrequenz. Einzig sein manchmal zu offensiver Boxstil könnte ihn zu einem einfachen Opfer werden lassen.
Odlanier Solis (31, 17-0-1): Der Öner-Schützling
Solis ist ein Kubaner, wie er im Box-Buche steht: Amateur-Weltmeister? Check! Olympiasieger? Check! Flucht vor Castro und Co.? Check! Samt Lautsprecher Ahmet Öner und ständigen Gewichtsproblemen erkämpfte er sich im März 2011 einen WM-Kampf gegen Witali Klitschko. Und überzeugte auf ganzer Linie. Selten sah sich der ältere Klitschko-Bruder einer solchen Gegenwehr gegenüber. Das Problem: Nach einer Runde war die Magie schon wieder vorbei, weil sich Solis das vordere Kreuzband riss. Dennoch: Der 31-Jährige ließ erahnen, was er im Stande zu leisten ist. Ob er in der Lage ist, eine solche Leistung auch über 12 Runden zu zeigen, bleibt freilich vorerst ungewiss.
SPOX-Prognose: Die größte Frage bei Solis wird sicherlich sein, ob er sich nach seinem Kreuzbandriss wieder zu alter Form zurückkämpfen kann. Rein von den boxerischen Fähigkeiten hat La Sombra mit seinem linken Haken durchaus Möglichkeiten, Wladimir gefährlich zu werden.
Tyson Fury (22, 15-0-0): Der nächste Klitschko
"Tyson ist ein Wladimir Klitschko für Arme." Wer das gesagt hat? Derek Chisora. Ob Del Boy seine Meinung nach der Niederlage geändert hat, ist nicht bekannt. Zumindest bei der Körpergröße schlägt Fury den Ukrainer mit gestandenen 2,06 Metern aber schon mal. Und mit dem Boxstil von Klitschko sollte der 23-Jährige sowieso vertraut sein. Immerhin trainiert Fury seit einiger Zeit zusammen mit Wladimir bei Emanuel Steward. Eine große Ehre für den Mann von der Insel, den seine Eltern nach Mike Tyson benannten. So ein Name verpflichtet natürlich in der Box-Welt. Dementsprechend kann sich auch seine K.o.-Quote sehen lassen: Zehn Mal schickte er seinen Gegner auf die Bretter. Und blieb dabei dennoch auf dem Boden der Tatsachen, wie er im Gespräch mit "Sportinglife.com" vor einiger Zeit bewies: "Ich denke, dass ich einfach noch nicht für die Klitschkos bereit bin." Demut ist gerade im Boxen ein seltenes Gut.
SPOX-Prognose: Für sein Alter ist Fury schon unglaublich weit. Trotzdem fehlt ihm zur Weltklasse noch einiges. Es kommt eben nicht nur auf die Größe, sondern auch auf die Technik an. Trotz seines Erfolgs über Chisora wäre also ein Aufeinandertreffen mit Klitschko noch eine Mission impossible für den Riesen von der Insel.