Über Müllberge auf den Box-Thron

Konni Konrad (r.) will Jürgen Brähmer in Dresden entthronen
© getty

Wenn Konni Konrad am Samstag in Dresden im Kampf um den Halbschwergewichts-Titel der WBA gegen Jürgen Brähmer in den Ring steigt, dann liegt ein weiter Weg hinter ihm. Der Mann, der mit seiner Familie als Kind nach Deutschland floh und der Abschiebung nur durch den Sport entging, will sein persönliches Märchen endgültig vollenden - auch für seinen ermordeten Entdecker.

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Ein lautes Geräusch zerreißt die Stille. Konni Konrad sitzt auf der Bettkante, schüttelt sich und richtet seinen Blick auf das vibrierende Smartphone auf dem Nachttisch. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die geschlossenen Vorhänge, das Display leuchtet. Mit einem Schmunzeln deaktiviert er den Wecker und erhebt sich. Es ist fünf Uhr. Minuten später verlässt der 30-Jährige seine Wohnung und begibt sich auf die morgendliche Runde durch Köln.

Auf der Straße angekommen, blickt er sich um. Eigentlich ist alles wie vor zwei Jahren - und doch hat es sich grundlegend verändert. Stand Konrad damals um die gleiche Zeit noch in voller Montur auf dem Stehbrett am hinteren Ende eines Müllfahrzeugs der Kölner Stadtwerke, arbeitet er heute an seinem großen Traum. Einem Märchen, das nach unzähligen Rückschlägen kurz vor seiner Vollendung stehen könnte.

Flucht nach Deutschland

"Vor zwei Jahren arbeitete ich noch als Müllmann. Jetzt habe ich die Chance auf den WM-Gürtel. Das ist schon jetzt wie im Traum", blickt Konrad, dem die Schattenseiten seines Lebens eine aufrichtige Bodenhaftung eingebrannt haben, zurück. "Wir kamen als Flüchtlinge aus Montenegro nach Frechen. Unsere Familie hauste in einem Container", erinnert sich der gebürtige Montenegriner gegenüber dem Express.

Im Alter von acht Jahren floh Konrad, der eigentlich auf den Namen Mevludin Cokovic hört, zusammen mit seinen Eltern und fünf Geschwistern getrieben von der politischen Situation in seiner Heimat nach Deutschland. In Frechen, einer Stadt des Rheinischen Braunkohlereviers westlich von Köln, fanden die Cokovics eine neue Heimat. Der Vater versuchte als Maurer die Familie so gut es geht über Wasser zu halten. Harte, ehrliche Arbeit war seine oberste Maxime. Werte, die Konrad inzwischen ebenfalls verkörpert.

Er selbst habe in dieser Zeit allerdings mit seinen Brüdern "jeden Tag auf der Straße abgehangen", immer auf der Suche nach Orientierung, gestand Konrad unlängst. Ein Fixpunkt schien dabei zunächst nicht in Sicht. Erst als er das Boxen für sich entdeckte, verspürte er eine Leidenschaft, die er so vorher nicht kannte. Einen großen Anteil daran hatte der ehemalige Cruisgergewichts-Boxer Stefan Raaff, der sich seiner annahm.

"Stefan hat mein Talent erkannt und mich jeden Tag trainiert. Er betreute mich bei meinen ersten Kämpfen und gab mir den Halt und das Herz, das ich brauchte. Alles ehrenamtlich", erzählt Konrad, der im Alter von elf Jahren seine ersten Gehversuche in einem Kampfsport-Center absolvierte und innerhalb kürzester Zeit als Jahrhundert-Talent galt: "Nur dank ihm wurde ich der jüngste Boxprofi Deutschlands."

Aufenthaltsgenehmigung?

Abseits des Ringes wartete auf ihn und seine Familie allerdings bereits die nächste Prüfung. Als der aufstrebende Boxer gerade 15 Jahre alt geworden war, lief die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland ab. Trotz der harten Arbeit des Vaters und der Integration sämtlicher Familienmitglieder schien eine Abschiebung unausweichlich.

"Ich boxte damals in Frechen unter Stefan und Uli May. Über sie lernte ich auch Manager Roland Bebak kennen", erinnert sich Konrad an die Asylproblematik: "Der bekam Wind von der drohenden Abschiebung und wandte sich an den Kölner Olympia-Beauftragten Horst Meier." Mit Erfolg. "Konni galt schon als Jugendlicher als großes Talent", so Bebak: "Wir konnten erreichen, dass die Familie bleiben durfte."

Ein scheinbar vorgezeichneter Weg

Spätestens nach der Entscheidung zu Gunsten der Cokovics schien der Weg vorgezeichnet. Mit elf Siegen sowie sechs Knockouts stand der damals 19-Jährige dennoch kurz darauf erneut auf der Straße. Sein Boxstall war pleite und musste schließen. Als er in die Fußstapfen seines Vaters treten und auf dem Bau arbeiten wollte, folgte die überraschende Wende.

Klaus Peter Kohl hatte von der Situation des Ausnahmetalentes Wind bekommen und bot ihm einen Vertrag beim damaligen Universum-Boxstall an. Konrad nutzte seine Chance zunächst und entwickelte sich wie erhofft. Er fügte seiner makellosen Bilanz fünf weitere Siege hinzu. Nachdem der Hoffnungsträger bis dato, abgesehen von einer Ausnahme, dem Duell mit Patrik Hruska in Österreich, nur in Deutschland im Ring stand, ging es im Mai 2006 nach Slowenien. Was niemand ahnen konnte: Es sollte der vorläufige Schlusspunkt seiner Karriere werden.

Gegen den späteren Weltmeister im Supermittelgewicht, Denis Inkin, kassierte er seine erste Niederlage. "Als Gewinner hatte ich viele Freunde, als Verlierer waren sie weg. Ich hatte die Schnauze voll, tauchte ab", lässt der 30-Jährige das Geschehene Revue passieren: "Ein Kumpel brachte mich später zur Müllabfuhr." Es folgten Jahre abseits des Boxsports.

Eine Zeit, die er jedoch noch heute zu schätzen weiß. "Komisch" sei nur der erste Tag gewesen, denn als Boxer habe er immer nur "ein paar Wochen hart arbeiten" müssen, als Müllfahrer jeden Tag. "Ich bekam Muskelkater, aber fand viele ehrliche Jungs", so Konrad. Er wisse deshalb, was "harte Arbeit bedeute", fügt er nicht ohne Stolz an.

Das alte Kribbeln

Der Knochenjob bei den Kölner Stadtwerken ließ ihn als Mensch reifen. Viele Dinge erschienen plötzlich in einem anderen Licht. Auch die Bedeutung des Boxens. Vier Jahre nach seinem abrupten Abschied aus dem Ring, kehrte er in selbigen zurück. Das Comeback gegen Mounir Toumi, den er durch technischen Knockout besiegte, gelang. Abgesehen von einem Draw gegen Mehdi Amar gab es sechs Siege, vier davon vorzeitig.

Erneut hatte Raaff, der seinen Schützling unter anderem zum Junioren-Weltmeister der WBC im Supermittelgewicht und heutigem WBA-Intercontinental-Champion im Halbschwergewicht formte, seine Finger im Spiel. Es sollte seine letzte Hilfestellung sein. Zwei Jahre später fiel Konrads Mentor und enger Freund vor seiner Haustür in Königsdorf einem Mordanschlag aus Eifersucht zum Opfer und wurde mit sechs Schüssen nahezu hingerichtet.

"Nur durch Stefan konnte ich mein Glück versuchen. Der Kontakt riss nie ab. Bis zu seiner Ermordung. Ich kann das immer noch nicht fassen", sagt ein ergriffener Konrad: "Er hat so viel für benachteiligte Kids getan, war ein positiver Mensch. Stefan verdient es, dass man sich an ihn erinnert. Ich hoffe, ich kann das mit dem WM-Gürtel schaffen!"

David gegen Goliath

Ausgerechnet im Duell mit WBA-Halbschwergewichts-Weltmeister Jürgen Brähmer soll sich diese Hoffnung erfüllen. "Alles wofür ich in meinem Leben gekämpft habe, steckt in diesem einen Kampf", so Konrad: "Und ich bin mir sicher, dass ich diese Chance beim Schopfe packen werde." Die Rollenverteilung macht dem Herausforderer dabei wenig aus.

Stattdessen regiert beim Linksausleger die Angriffslust. "Warum mir das gelingen soll?", wirft die Nummer sieben der WBA-Rangliste in den Raum: "Weil ich Brähmer genau kenne und ich mich besser und stärker fühle als er. Bei ihm ist doch mittlerweile auch die Zeit gekommen, wo er normalerweise einpacken kann."

Nichts zu verlieren

Der Druck liege bei seinem Gegenüber, er selbst habe "nichts zu verlieren", so Konrad. Deshalb müsse sich nur Brähmer Gedanken machen. Dass der Außenseiter, der vor knapp einer Dekade zusammen mit ihm bei Universum in einer Trainingsgruppe war und dessen Weg sich so unterschiedlich entwickelte, im Duell in der EnergieVerbund Arena auf seine Schlaghärte setzen wird, dürfte klar sein.

"Also, wenn meine Hände so durchkommen, garantiere ich, dass Brähmer nicht mehr stehenbleiben wird", prophezeit der Boxer aus dem Stall des ehemaligen Weltmeisters Felix Sturm vor dem "Kampf seines Lebens". Auch sein Trainer Magomed Shaburov schickte bereits vermehrt Warnungen in Richtung des Brähmer-Lagers.

"Als Weltmeister muss man sich immer wieder aufs Neue beweisen. Du darfst niemanden unterschätzen, sonst ist der Titel ganz schnell weg", lobt sogar der 36-jährige Rechtsausleger, im März seinen Titel durch einen hart erkämpften Erfolg über Robin Krasniqi verteidigt hatte und eigentlich gegen den Briten Nathan Cleverly in den Ring steigen wollte: "Konrad ist physisch ein echter Brocken und zusätzlich mit einem unbändigen Willen ausgestattet."

An einer Titelverteidigung habe er "dennoch keinerlei Zweifel", so der Schweriner weiter. Eine wirkliche Chance rechnet Konrad wohl niemand aus. Zu groß scheint das Mismatch. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass der ehemalige Müllmann allen Widerständen trotzt.

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