"Ich habe alles versucht, aber ich konnte ihn einfach nicht schlagen", soll Timothy Bradley Jr. laut Promoter Bob Arum direkt nach der letzten Runde des ersten Aufeinandertreffens mit Manny Pacquiao in Las Vegas gesagt haben. Nur wenige Augenblicke nach dieser Aussage wurde das MGM Grand von einer Sekunde auf die andere von lauten Buhrufen erfüllt. Der Grund: Ringsprecher Michael Buffer hatte soeben das Urteil verkündet.
Während Pacquiao, der klar dominiert und so eigentlich gewonnen hatte, in eine Art Schockstarre verfiel, entlud sich der Frust der Zuschauer ungehemmt. Die Punktrichter Duane Ford and C.J. Ross, die bereits bei der Lehrstunde Floyd Mayweathers für Saul Alvarez mit einem Remis für einen Skandal gesorgt hatte, hatten den Kampf für Bradley gewertet, der somit via Split Decision als neuer Weltmeister der WBO den Ring verließ.
Auch der US-Amerikaner selbst schien überrascht - und war damit nicht allein. "Diese Entscheidung war eine Straftat", sagte etwa HBO-Experte Harold Lederman. ESPN-Analyst Dan Rafael erlebte eine "der schlimmsten Fehlentscheidungen, die ich jemals gesehen habe" und Arum sprach von einem "Sargnagel für den gesamten Boxsport". Es folgten Ermittlungen. Das Urteil abändern konnte der Verband im Nachhinein aber trotz des klaren Fehlurteils nicht.
Eine Entscheidung, die keine ist
Zwar konnte Pacquiao die Schande durch einen klaren Punktsieg im Rückkampf, bei dem er ähnlich wie im ersten Duell dominierte, mit seinen eigenen Fäusten richtig stellen, dennoch werden sich beide Boxer am 9. April erneut gegenüberstehen. Beworben wird die Konfrontation als letzte und entscheidende Schlacht - die jedoch eigentlich gar keine ist.
Letztlich sind Urteile im Boxen nur so wichtig, wie sie von den Fans gemacht werden. Entscheidend für den weiteren Werdegang sind inzwischen andere Aspekte. Der 37-Jährige hätte also schon das erste eigentlich ignorieren können. Die Ankündigung des erneuten Aufeinandertreffens im Dezember des vergangenen Jahres, das dem Pacman mindestens 20 Millionen US-Dollar einbringen wird, war deshalb überraschend. Vor allem, da nach dem Kampf endgültig Schluss sein und der Fokus auf seiner politischen Arbeit liegen wird.
Die Reaktionen konnten deshalb bestenfalls als enttäuschend definiert werden. Alles in allem dürfte es wohl maximal eine Handvoll Menschen geben, die ein drittes Duell mit Bradley für eine gute Idee halten. Besonders, da es mit Amir Khan, dem jedoch vor allem in den Vereinigten Staaten der Name fehlt, um die Kassen der Promoter und Veranstalter klingeln zu lassen, oder auch Terence Crawford unverbrauchte Alternativen gegeben hätte.
Falsche Vorzeichen
Die Entscheidung zu Gunsten Bradleys dürfte ferner vielerorts wie eine Sicherheitswahl, bei der Pacquiao auf einen vertrauten Gegner trifft und mit einem lockeren Sieg die Boxhandschuhe an den Nagel hängen kann, gewirkt haben. Der Eindruck täuscht jedoch. Auch wenn es ein Fehler wäre, trotz der Niederlage gegen Mayweather und der Pause aufgrund einer schweren Schulterverletzung an Pacquiao zu zweifeln.
Der Rechtsausleger, der in über 20 Jahren stolze 419 Runden im Ring verbrachte, gehört mit seiner Geschwindigkeit und Power noch immer zu den Besten - vom Faktor Erfahrung ganz zu schweigen. Seinen Zenit hat er jedoch überschritten. Pacquiao stand seit elf Monaten nicht im Ring, außerhalb machte er mit Aussagen zum Thema Homosexualität sowie einem entwürdigenden Vergleich mit der Tierwelt auf sich aufmerksam. Gute Voraussetzungen sehen anders aus.
Hinzu kommt, dass Pacquiaos Siege gegen Bradley ein Stück Vergangenheit sind. Auch von seinem Vorteil auf dem Papier kann sich der zukünftige Hall of Famer in Las Vegas nichts kaufen. Kämpfe werden in der Gegenwart entschieden, alles andere ist bedeutungslos. Ein Umstand, der auch Bradley bekannt sein dürfte. Entscheidend ist die Entwicklung.
Den ersten Schritt in die richtige Richtung hatte der 32-Jährige bereits unternommen, als er sich von seinem Coach Joel Diaz trennte und mit Teddy Atlas einen neuen Trainer präsentierte. Er ist inzwischen ein anderer Boxer als vor zwei Jahren. Ein Beleg für die hervorragende Arbeit von Atlas war der Knockout-Sieg seines Schützlings gegen Brandon Rios, bei dem Bradley stärker wirkte als jemals zuvor - vor allem in Sachen Ring-Intelligenz.
Marquez als Vorbild
Atlas gewährte zudem bereits einen Einblick in Sachen Taktik. "Es gibt zwei Kämpfer, die Manny zuletzt schlagen konnten: Juan Manuel Marquez und Floyd Mayweather. Deshalb wäre es töricht, sich nicht anzuschauen, wie diese beiden Boxer es angestellt haben", sagte der 59-Jährige. "Und ich habe niemals Angst, etwas von jemand anderem zu lernen."
Mayweather zu kopieren, ist für Bradley unmöglich. Sich bei Marquez, der Pacquiao im Jahr 2012 ausknocken konnte, etwas abzuschauen, hingegen nicht. Da der Pacman über eine sehr gute Beinarbeit verfügt und in seinen Bewegungen kaum auszurechnen ist, spielt das Timing eine immense Rolle. Die größte Schwachstelle Pacquiaos ist seit jeher seine Anfälligkeit für Konter, die aus seiner extremen Aggressivität resultiert. Marquez nutzte genau diese aus.
"Wenn er seine Schläge zeigt, dann stürzt er sich mit seinem Jab auf seinen Gegner, um seine starke Linke vorzubereiten. Wenn man diese Bewegung mit einer perfekten Rechten auskontert, so wie es Marquez gelungen ist, dann hat man den Schlüssel, um ihn zu schlagen", hatte bereits Diaz erkannt. Die Umsetzung war jedoch das Problem.
Denn was Bradley fehlte, war neben dem richtigen Timing auch die nötige Power. Statt im dritten Duell nur auf Härte zu setzen, muss er sein gesamtes Repertoire nutzen und die Bewegungen seines Gegners besser erkennen. Der Druck auf seinen Schultern ist dabei jedoch immens.
Vermächtnis gegen Zukunft
"Ich boxe seit mehr als 20 Jahren. Ich bin jetzt bereit abzutreten. Ich habe zu Gott gebetet und bin glücklich mit dieser Entscheidung", sagte Pacquiao unlängst über seinen bevorstehenden Rücktritt. Das Vermächtnis des Mannes, der in acht unterschiedlichen Gewichtsklassen WM-Titel errungen hat, ist in Stein gemeißelt. Natürlich würde eine weitere Niederlage kurzzeitig daran kratzen, auf lange Sicht gesehen steht das Erreichte jedoch über allem.
Bei Bradley sieht es anders aus, sein Weg ist noch nicht zu Ende. "Ich möchte, dass sich die Leute später an mich erinnern", sagte der 32-Jährige. "Jedes Mal, wenn in der Zukunft der Name Pacquiao fällt, möchte ich im gleichen Atemzug als derjenige genannt werden, der ihn geschlagen hat." Nach der Kontroverse um den ersten Kampf sowie der Niederlage im zweiten Duell wird sich rückblickend der Großteil seiner Karriere über diesen einen Kampf definieren.
Auf Hilfe darf er diesmal aber nicht hoffen. Ford und Ross dürfen keine Kämpfe mehr werten, und da es Pacquiaos letzter Kampf ist, hat dieser wohl mehr Spielraum auf den Scorecards.