"Wie sagen wir in Mexiko: We don't fuck around." Es hätte wohl keine passenderen Worte gegeben, um den Abend in der Wüste Nevadas kurz und knackig zusammenzufassen. Den vom Lager von Canelo Alvarez insgeheim erhofften Spaziergang auf dem Weg zu einem potentiellen Kampf gegen Gennady Golovkin hatte es zuvor gegen Amir Khan zwar nicht gegeben, den erwarteten Monster-Knockout jedoch schon.
Zum Spaßen war Canelo allerdings auch nach dem klaren Sieg nicht aufgelegt, was vor allem an der Leistung seines Gegenübers gelegen haben dürfte. Denn Khan präsentierte sich überaus stark. Der Brite verstand es, die bereits bekannten Schwachstellen seines Gegners gnadenlos offenzulegen. Wie etwa gegen Erislandy Lara hatte dieser extrem große Probleme mit der Geschwindigkeit des Außenseiters von der Insel. Die Beweglichkeit und das Boxen von außen verstärkten dieses Bild weiter.
Canelo lief Khan in den ersten Runden des Kampfes hinterher, fand weder Reichweite noch Timing und wirkte bestenfalls angefressen. Seine Probleme, beweglichen Gegnern den Ring entsprechend abzuschneiden, sowie eine ausbaufähige Beinarbeit wurden ebenfalls einmal mehr deutlich. Wirklich klare Treffer bekamen die Zuschauer deshalb vorerst nicht zu sehen.
Zwar landeten vereinzelt Schläge im Ziel, ins Wanken brachten sie den Außenseiter, der den Infight mit allen Mitteln vermied und taktisch klug agierte, allerdings nicht. "Ich wusste, dass er immer sehr schnell ist und ich wusste deshalb auch, dass es vor allem am Anfang nicht gerade einfach werden würde", erkannte der Mann aus Guadalajara ohne zu zögern an.
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Khan? Mayweather-Light
Unweigerlich wurden deshalb zumindest stellenweise Parallelen zu Canelos bisher einziger Niederlage deutlich. Gegen Floyd Mayweather Jr. musste sich der damals 22-Jährige nicht nur geschlagen geben, sondern wurde vom US-Amerikaner auch nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Das Frustrationslevel, welches Canelo im MGM Grand erreicht hatte, dürfte im professionellen Boxen wohl nur schwer zu übertreffen sein.
Der Unterschied zwischen dem Kampf in der T-Mobile Arena gegen Khan und der Demütigung aus dem Jahr 2013 war jedoch ein ganz essentieller: Amir Khan ist nicht Floyd Mayweather.
"Aber ich wusste ebenso, dass ich ihn irgendwann erwischen werde", sagte Canelo. Mit zunehmender Kampfdauer fand der Mexikaner immer besser in das Duell. Linke Haken sowie harte Körpertreffer raubten Khan, der für den Kampf zwei Gewichtklassen aufgestiegen war, allerdings dennoch eine entsprechende Leichtigkeit an den Tag legen konnte, den Atem.
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Ein gewohntes Bild
Deutlich schlimmer war jedoch die Wirkung auf die Psyche. Khan begann zu überlegen und leistete sich einmal mehr einen entscheidenden Fehler. Nachdem Canelo sich in Runde sechs mit Körpertreffern und vereinzelten Linken herangetastet hatte, bot ihm Khan eine Lücke, die der Mexikaner nicht ablehnen konnte.
Der Brite, bekannt für solche Aussetzer, ließ auf dem Weg nach vorne seine linke Hand hängen - und kassierte dafür die Quittung. Mit einer Rechten ließ es Canelo krachen, für Khan gab es nur noch eine Richtung und die lautete abwärts. Ringrichter Kenny Bayless, einer der erfahrensten Offiziellen und der wohl beste Kampfleiter, den das Boxen aktuell zu bieten hat, brach den Kampf völlig zu Recht ohne Count ab.
Es dauerte Minuten, ehe er wieder auf den Beinen war. "Ich bin einer der wenigen Kämpfer, die gegen jeden Gegner in den Ring steigen. Heute stand ich unglücklicherweise mit einem riesigen Typen im Ring - und habe das Ende des Kampfes leider nicht erlebt", sagte ein noch immer sichtlich angeschlagener Khan. "Ich habe mein Bestes gegeben. Ich will immer das Maximum herausholen und gegen die besten Kämpfer antreten. Das ist auch der Grund, warum ich diesen Kampf angenommen habe."
Die obligatorische Pressekonferenz nach dem Kampf ließ er aufgrund des harten Knockouts allerdings aus, stattdessen ging es zur Sicherheit ins Krankenhaus zum Gesundheitscheck.
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Konfrontation mit Golovkin
Der Knockout gegen Khan dürfte für seinen Gegner allerdings nur kurz ein wirklich gutes Gefühl darstellen. Zu groß war im Endeffekt das Mismatch und zu vorhersehbar das Ende.
Während es für Khan, der für den Kampf rund zwei Millionen US-Dollar kassierte, laut eigener Aussage wieder zurück ins Weltergewicht gehen wird, bekamen die Fans in der T-Mobile Arena einen kleinen Vorgeschmack auf das wohl am meisten ersehnte Duell des Jahres.
Golovkin, der sich den Kampf vor Ort angesehen hatte, wurde vom Lager des Weltmeisters im Anschluss in den Ring gebeten. "Wir spielen in diesem Sport nicht. Ich habe vor niemandem Angst. Ich kämpfe gegen ihn und zwar genau jetzt und hier. Lass uns die Handschuhe anziehen und loslegen", sagte Canelo dem kasachischen Zerstörer ins Gesicht.
Dieser quittierte die Ansage seines Wunschgegners mit einem Lächeln - und der Gewissheit, dass er dem WBC-Gürtel des Mexikaners aktuell näher als jemals zuvor ist.
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Die Uhr tickt
"Es gibt zwischen beiden Lagern eine Vereinbarung. Sie haben sich darauf verständigt, dass jeder zunächst einen Kampf abhalten wird und es danach zum Showdown kommt. Und werden uns darum kümmern, dass diese Abmachung auch eingehalten wird", hatte WBC-Präsident Mauricio Sulaiman unlängst gegenüber ESPN zu Protokoll gegeben.
Nach seiner erfolgreichen Titelverteidigung hat Canelo deshalb 30 Tage Zeit, den Offiziellen seine Entscheidung mitzuteilen. Tritt er nicht an, erhält Golovkin, der als Interims-Weltmeister ein Anrecht auf einen Titelkampf hat, den Gürtel ohne selbigen. Ein Catch Weight wie im Duell mit Khan, das Canelo generell bevorzugt, wird es dabei aber nicht geben.
"Ich bin ein Mittelgewichtler und ich denke nach der alten Schule", sagte Golovkin. Ein Duell werde deshalb "bei 160 Pfund stattfinden oder gar nicht", ließ die Knockout-Maschine bereits im Vorfeld wissen.
"Ich habe meine Eier gezeigt und ich denke, er sollte jetzt die Eier haben und gegen Triple G in den Ring steigen", forderte Khan seinen Gegner auf. Der Trainer des Briten, Virgil Hunter, fand noch klarere Worte: "Er hat sich bis jetzt versteckt, Amir hat Größe bewiesen und sich der Herausforderung gestellt. Er muss den Kampf bestreiten, den wir alle unbedingt sehen wollen", so Hunter.
Die Fans dürften zumindest den letzten Teil ähnlich sehen. Einfach weglächeln kann Canelo den Schatten über seiner Zukunft jedenfalls nicht. Nicht als neues Gesicht des Boxsports.