Von Jan Höfling
An der Tatsache, dass Ward von beiden Fightern der technisch bessere Boxer ist, kann und will ich gar nicht rütteln. Dennoch glaube ich nicht, dass der Mann aus den Vereinigten Staaten die Gürtel deshalb zwangsläufig auch behalten wird. Kovalev mag nicht den Ring-IQ seines Gegenübers besitzen, dennoch ist er ein intelligenter und guter Boxer, der noch eine offene Rechnung zu begleichen hat.
Nach dem Urteil, bei dem es sich meiner Meinung nach zwar nicht um Betrug, dafür war der Kampf in den späten Runden zu eng, aber sehr wohl um eine Fehleinschätzung der Punktrichter gehandelt hat, wird es in ihm brodeln.
Motivierter als der Russe kann ein Boxer kaum in den Ring steigen. Dass er deshalb überdrehen wird, glaube ich allerdings nicht. Viel entscheidender ist aber, dass er mehr Luft als Ward hatte, um sich vor dem zweiten Duell zu verbessern.
Die Frage, die sich mir stellt und die große Bedeutung für den Ausgang haben dürfte, lautet deshalb: Wie konnte sich Kovalev in der zugegebenermaßen kurzen Zeit, die zwischen beiden Duellen lag, weiterentwickeln? Klar kann sich Ward während eines Fights aufgrund seiner Fähigkeiten schneller anpassen. Daran, dass Kovalev in der Zeit nach dem Kampf zusammen mit seinem Team die richtigen Lehren gezogen hat, gibt es für mich aber keinerlei Zweifel. Ich glaube in diesem Zusammenhang zudem, dass Kovalev im ersten Kampf mehr über Ward gelernt hat als der US-Amerikaner über ihn.
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Eine perfekte Welt
Er muss es aber auch umsetzen. In einer aus Sicht des Russen perfekten Welt attackiert er Ward direkt vom ersten Gong an, baut Druck auf und hält diesen hoch, indem er deutlich variabler boxt, also ungewöhnlichere Schlagwinkel einstreut. Offensive ist für den Russen sowieso die beste Defensive.
Kovalev muss seinen Stil aber nicht komplett über den Haufen werfen, seinen Gegner jedoch definitiv vor neue sowie größere Rätsel zum Entschlüsseln stellen und dabei etwas in der Hinterhand behalten.
Er wird öfter den Schritt auf die Außenseite seines Kontrahenten machen sowie Clinchversuche durch Konterschläge unterbinden müssen, um somit seinen größten Vorteil zu wahren: die Distanz.
Hier hat Kovalev die Oberhand und muss diese mit seinem harten Jab, Körpertreffern, die seinem Kontrahenten die Luft rauben und die Ward im ersten Kampf selbst sehr gut eingesetzt hat, und 1-2-Kombinationen konsequent ausnutzen, ohne dem Champion dabei nachzulaufen. Der Mann aus Russland muss zwangsläufig an seiner Beinarbeit und damit einhergehend der Positionierung gearbeitet haben.
Kovalev muss seine Fähigkeit, Ward den Ring abzuschneiden, verbessert haben, um Energie zu sparen und seinen Gegner zu stellen. Gelingt ihm dies im zweiten Duell besser, kann er den Körper einfacher ins Visier nehmen und dabei wertvolle Körner sparen, da er selbst in der Distanz weniger Bodyshots nehmen muss. Im Infight hat Ward zweifelsohne Vorteile bei der Geschwindigkeit, diesen sollte Kovalev meiden.
Kovalev muss es krachen lassen
Sollte er Ward als Folge in der Nähe einer Ecke stellen können, dann darf es keine Zweifel geben, dann muss es krachen. Kovalev muss aggressiver und konsequenter zu Werke gehen. Profitieren kann er von einer Gewissheit, die der erste Kampf mit sich gebracht hat: Ward kann ihn nicht ausknocken.
Selbst nachdem der US-Amerikaner Kovalev entschlüsselt hatte, konnte er nie die komplette Kontrolle übernehmen und den Russen an den Rand einer vorzeitigen Niederlage bringen. Dafür fehlt dem 33-Jährigen schlichtweg die Power, die im Halbschwergewicht nötig ist und die er sich nicht antrainieren kann, da er durch einen Muskelzuwachs seine größten Vorteile negieren würde.
Außerdem hat Kovalev paradoxerweise weniger und doch mehr zu verlieren als sein Gegenüber aus den Vereinigten Staaten. Die Titel der WBA, WBO und IBF bringt Ward diesmal mit in den Kampf, der Russe hat andere Sorgen.
Er weiß, dass eine erneute Niederlage vieles, für das er extrem hart geschuftet hat, zerstören würde. Im ersten Kampf wirkte er teilweise nicht entschlossen genug, um gerade zu Beginn seinen Vorteil konsequent zu nutzen und den Sack zuzumachen. Diesmal gehe ich davon aus, dass er mehr Schlagen und in den entscheidenden Momenten mehr riskieren wird.
Deshalb denke ich noch immer, dass Kovalev Ward ausknocken kann, sofern er ihn früh in einer Runde schwer treffen kann und dadurch die Zeit hat, entscheidend nachzulegen.
Auf den Punktzetteln sehe ich nicht zuletzt aufgrund der drei US-amerikanischen Punktrichter nicht die besten Chancen für den Krusher. Geht das Duell über die volle Distanz und ist eng, dann wird in Las Vegas wohl erneut der Arm von Ward am Ende des Abends in die Höhe gehen. War die Evolution des Russen zu gering und es gelingt Ward deshalb, ihn erneut zeitnah zu entschlüsseln, ohne zu Boden zu gehen, dann könnte es auf den Scorecards sogar deutlich werden. Auf diese muss sich Kovalev allerdings sowieso nicht verlassen. Warum? Weil er Ward durch einen Knockout vorzeitig die Gürtel abnehmen wird.