DAZN-Kommentator Uli Hebel im Interview vor Wilder vs. Fury II: "Der im Labor gezüchtete Athlet gegen den manischen Künstler"

Tyson Fury und Deontay Wilder treffen zum zweiten Mal aufeinander.
© getty
Cookie-Einstellungen

Was sind aus Ihrer Sicht die Schlüssel für den Kampf?

Hebel: Ich würde da gar nicht so sehr aufs Boxerische gehen. Das wird natürlich auch eine Rolle spielen, aber in erster Linie wird der Kampf meiner Meinung nach in Wilders Kopf entschieden. Er wird besser vorbereitet sein als beim letzten Mal. Die Frage ist, wie fokussiert er sein kann, ohne dabei zu übersäuern, und wie sehr er seine Linie halten kann, um dann die eine entscheidende Explosion hinzubekommen.

Fury hat sich etwas überraschend von seinem Trainer Ben Davison getrennt und arbeitet jetzt mit Sugar Hill zusammen. Was steckt hinter dieser Entscheidung?

Hebel: Ben Davison ist ein absoluter Fachmann, man könnte ihn als den Julian Nagelsmann im Boxen beschreiben. Wir müssen uns nur den ersten Kampf anschauen, um zu wissen, was für ein guter Trainer er ist. Er hat es geschafft, dass Fury bestens eingestellt und vor allem körperlich gut in Verfassung war. Wann gab es das schon mal? Für Davison war die Zusammenarbeit extrem anspruchsvoll. Fury musst du alle 90 Sekunden im Training anfixen - wie bei einem Kind. Wenn es irgendwo raschelt, dreht er sich um und die Konzentration ist weg. Du musst Dir immer neue Übungen einfallen lassen, mit den klassischen Wiederholungen kommst Du bei Fury nicht weit. Ich vermute stark, dass es da irgendwann zwischenmenschlich gekracht hat. Es wird spannend zu beobachten sein, was die neue Konstellation bewirkt. Wilder und sein Coach Jay Deas sind ein perfekt eingespieltes Team, da weiß jeder, was der andere macht. Da ist großes Vertrauen vorhanden. Wie sieht es jetzt in Furys Ecke aus? Wie sind da die Hierarchien? Ist Fury vielleicht sogar zu sehr der Boss? Das sind alles Fragen, die sich klären müssen.

Die Frage aller Fragen muss kommen: Wer macht's denn jetzt? Wilder? Oder doch Fury?

Hebel: (lacht) Ich habe in den vergangenen Wochen stundenlang mit verschiedenen Leuten diskutiert - und ich weiß es immer noch nicht. Am Ende lasse ich oft mein Bauchgefühl entscheiden und lag da bislang gar nicht so verkehrt. Ich habe Wilder lange für sehr überbewertet gehalten. Inzwischen halte ich ihn fast schon wieder für unterbewertet. Wilder ist mehr als nur ein Schläger. Er hat sich boxerisch ordentlich fortgebildet. Es gibt nur zwei Optionen: Punktsieg Fury oder K.o.-Sieg Wilder.

Uli Hebel: "Usyk würde gegen Wilder gewinnen"

Ihr Tipp fehlt immer noch ...

Hebel: Ich tue mich echt schwer. Aber ich habe in meinem Leben noch nie gegen Fury getippt. Er hat mir immer gezeigt, dass er in der Lage ist, etwas Neues in die Kämpfe zu bringen. Er hat diese Fähigkeit, eine Leistung aus seinem Körper herauszuholen, die selbst sein Umfeld ihm nicht zugetraut hätte. Fury hat das Boxen einfach verstanden. Boxen ist für ihn wie Mathematik. Er kann innerhalb eines Fights Dinge selbst erkennen und Justierungen vornehmen - das ist echt erstaunlich und eine ganz große Qualität. Also gut: Wenn ich mich festlegen muss, dann setze ich auf Fury. Aber trotzdem: Den einen Ausbruch von Wilder kann es immer geben, das müssen wir alle wissen.

Sollte Fury gewinnen, ist er klar die Nummer eins im Schwergewicht.

Hebel: Definitiv. Aktuell teilen sich Fury und Wilder Platz eins vor Joshua. Vielleicht kann man Fury als 1a bezeichnen, weil er eben Klitschko in seiner Vita stehen hat und Wilder so lange niemanden aus der Elite geboxt hat. Wer diesen Kampf jetzt gewinnt, wird auf jeden Fall die klare Nummer eins sein und damit auch bestimmen, wo die Reise danach hingeht. Leider stehen mit Joshua, Fury und Wilder die drei größten Schwergewichtler bei den drei größten TV-Partnern unter Vertrag. Ich glaube nicht, dass wir vor 2021 einen weiteren großen Kampf bekommen werden. Wir werden erstmal im Wartemodus sein.

Neben den großen Drei gibt es mit dem ehemaligen Cruisergewichts-Champion Oleksandr Usyk noch einen interessanten Mann, der wohl im Mai gegen Dereck Chisora antreten wird. Was trauen Sie ihm im Schwergewicht zu?

Hebel: Ich traue ihm einiges zu. Dass Usyk Pound-for-pound ein Monster ist, wissen alle im Boxgeschäft. Die Frage ist natürlich, wie gut er im Schwergewicht sein kann? Was passiert, wenn er eine Bombe von Wilder kassieren würde? Aber ich sage Ihnen was: Wenn Usyk gegen Wilder boxen würde, wäre ich mir ziemlich sicher, dass Usyk den Fight gewinnt. Es ist immer ein Thema des Matchups und ich glaube, dass sich Wilder gegen so einen beweglichen Mann sehr schwertun würde.

Was wäre denn der Kampf, den Sie am liebsten sehen würden? AJ vs. Fury?

Hebel: Eigentlich war das immer AJ vs. Wilder. Das ist der Kampf, auf den ich seit sechs Jahren gewartet habe. Beide sind gleichzeitig an die Spitze geschossen - ihr Weg hätte irgendwann vor 100.000 Zuschauern in einem Mega-Fight den Höhepunkt finden müssen. Aber dann kam Ruiz' Sieg gegen AJ und Fury ist plötzlich wieder aufgetaucht. Rein persönlich gesprochen würde ich aber alleine wegen meines Faibles für England dann doch AJ vs. Fury sagen. AJ vs. Fury im Wembley - da würde ich zu Fuß hinlaufen. Das wäre für meine Generation der größtmögliche Kampf. Aber dieser Kampf ist leider meilenweit entfernt. Das AJ-Management hat beim zweiten Kampf gegen Ruiz Blut und Wasser geschwitzt, da wird man so schnell kein Risiko mehr eingehen und lieber einige einfache Siege einfahren wollen. Alleine, um das Narrativ zu schaffen, dass AJs Heldenreise nur kurz unterbrochen wurde und er jetzt wieder auf Kurs ist.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema