"Deutschland wird zu einer Darts-Nation"

Adrian Fink
25. Oktober 201617:01
Raymond van Barneveld wurde 2007 WeltmeisterPDC Europe
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Raymond van Barneveld gehört zu den großen Legenden des Darts-Sport und hat die Entwicklung in den Niederlanden vorangetrieben. 2007 krönte der heute 49-Jährige seine Karriere mit der WM-Trophäe. Vor dem European Darts Championship in Hasselt (live auf DAZN) hat Barney mit SPOX über die Anfangszeit, seine Rolle beim Darts-Boom, Max Hopp und Michael van Gerwen gesprochen.

SPOX: Herr van Barneveld, Sie haben mit 17 Jahren angefangen, Darts zu spielen. Wie kamen Sie dazu?

Raymond van Barneveld: Als ich 1984 zum ersten Mal Darts in der Hand hielt, war der Sport nur in England populär. Aber als das Kabelfernsehen kam, konnten wir plötzlich all die ehemaligen Darts-Stars wie Keith Deller sehen. Zu dieser Zeit gab es im Jahr zwar nur fünf, sechs TV-Turniere, aber diese waren dann ein großes Highlight für uns.

SPOX: Heute findet fast jedes Wochenende ein Event statt und viele Turniere werden im Fernsehen übertragen. Haben Sie diese Entwicklung erwartet?

Van Barneveld: In diesem Ausmaß konnte man sich das nicht einmal erträumen. Als ich 1998 das erste Mal Weltmeister wurde, sah das bei meiner Rückkehr aus wie bei den Beatles - es waren extrem viele Menschen wegen mir am Flughafen. Das war unglaublich. Bei der Entwicklung des Sports war es entscheidend, dass man die Spiele nicht nur in der Halle verfolgen kann, denn mit der Wiedererkennung steht und fällt alles für den Spieler: Sponsoren, Fans, Marketing. Bei Darts sieht man im Fernsehen ständig das Gesicht der Spieler und deshalb erkennen dich die Leute auf der Straße. Vor einigen Jahren bin ich nach Deutschland gereist und wurde nicht erkannt, geschweige denn auf der Straße angesprochen. Das hat sich in den letzten zwei bis drei Jahren komplett geändert, Deutschland wächst zu einer Darts-Nation heran.

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SPOX: Den Darts-Boom, der in Deutschland derzeit in den Startlöchern steht, gab es in den Niederlanden schon vor etlichen Jahren. Welche Rolle haben Sie dabei gespielt?

Van Barneveld: Zu dem Zeitpunkt, als ich 2006 zur PDC wechselte, ging die Aufmerksamkeit für Darts erstmal zurück. Keine Ahnung warum, aber als ich 2007 meinen ersten WM-Titel bei der PDC holte, interessierte das nur die Hardcore-Fans. Durch die Erfolge von mir und mittlerweile Michael van Gerwen ist das heute ganz anders: Wenn ein großes Event ansteht, bekommen das in Holland alle Fans mit.

SPOX: Auffallend viele Darts-Profis kommen aus Ihrem Heimatland. Warum?

Van Barneveld: Ich habe da eine nette Geschichte gehört. Einst sollen die Engländer am Hafen von Holland angekommen sein und ein Darts-Board im Gepäck gehabt haben. Dann haben sie in den anliegenden Pubs gespielt und von dort aus hat es sich ausgebreitet. Ich weiß nicht, was da dran ist, aber ich bin grundsätzlich davon überzeugt, dass die Qualität der Spieler auch mit der Sprache zusammenhängt.

SPOX: Das müssen Sie uns erklären.

Van Barneveld: Wir Niederländer sind viel kommunikativer. Bei uns werden die Filme nicht synchronisiert, wodurch wir besser Englisch sprechen und die niederländischen Spieler schneller Anschluss finden. Als ich in Skandinavien war, haben sich alle skandinavischen Spieler abgegrenzt. Wir Niederländer sprechen sofort alle an und lernen so durch die Erfahrungen der anderen.

SPOX: Wie verhalten sich die deutschen Spieler auf der Tour?

Van Bernaveld: Max Hopp oder auch Jyhan Artut lernen Englisch extrem schnell, aber Andre Welge sagt nur "Hey, Ray" und das war's. Er kommt nicht ins Gespräch. Das ist der Knackpunkt und deshalb werden sie immer auf einem unterschiedlichen Niveau agieren. Kommunikation hebt dich auf ein neues Level.

SPOX: Wie groß ist das Potenzial von Max Hopp?

Van Barneveld: Er ist ein fantastisches Talent und ich mag ihn wirklich sehr. Sein Vorteil ist eben diese Kommunikation, er redet mit jedem Spieler auf der Tour. Aber Max braucht einen Spieler wie mich. Es ist wichtig, dass jemand mit dir rumreist, der das Geschäft kennt und dich in gewissen Situationen einbremst.

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SPOX: Welchen Tipp würden Sie Max mit auf den Weg geben?

Van Barneveld: Viele deutsche Talente gehen das Projekt Darts falsch an. Sie sagen: 'Ich habe keinen Sponsor und kann nicht zu den Turnieren fahren.' Wenn du talentiert bist, musst du alle anderen Hobbys zurückstellen. Wenn du dann Erfolg hast, ist der Umgang mit dem Geld wichtig. Als ich mein erstes Turnier gewonnen habe, habe ich meiner Frau 100 Gulden (etwa 50 Euro, d. Red.) auf den Tisch gelegt und 200 behalten, um das nächste Turnier zu bezahlen. Sponsoren zu finden ist einfach. Aber wenn du es richtig machst, kannst du dich auch selbst füttern. Ich investiere seit dem Anfang meiner Karriere jeden Euro in mich selbst und bin fokussierter, weil ich mich nicht darauf verlasse, dass andere mir das Geld geben.

SPOX: Wie war das bei Ihnen? Wer hat Sie in der Anfangszeit inspiriert?

Van Barneveld: Eric Bristow. Sein Verhalten war fantastisch, auch wenn er arrogant war. Nicht viele Menschen konnten damit etwas anfangen, aber ich habe ihn genau für dieses Auftreten geliebt. Deshalb waren meine ersten Darts auch Eric-Bristow-Darts. In den 33 Jahren als Darts-Spieler habe ich ihn natürlich auch mal kennengelernt und er ist ein toller Typ.

SPOX: Sie haben Ihrem Vorbild erfolgreich nachgeeifert, sind fünf Mal Weltmeister geworden und haben eine ganze Darts-Generation geprägt. Wie haben Sie es geschafft, so konstant auf diesem Niveau zu agieren?

Van Barneveld: Ich habe viele hochtalentierte Spieler kommen und gehen sehen, die nach fünf oder sechs Jahren wieder von der Bildfläche verschwunden sind. Aber ich bin immer noch da. Das ist nicht einfach, weil es einfach nicht reicht, einzelne Matches zu gewinnen, man muss Trophäen sammeln. Ich habe so viele Titel geholt - und darum geht es. Nur so generiert man neue Fans, deshalb hat Michael van Gerwen auch so viele Anhänger. Die Leute sollen "Barney Army" und meinen Namen rufen. Das will jeder.

SPOX: Van Gerwen ist der konstanteste Spieler der letzten Jahre. Wie ist die Nummer eins der Welt privat drauf?

Van Barneveld: Er ist ein guter Freund und wir reisen viel gemeinsam, deshalb kenne ich ihn gut. Michael denkt einfach nicht nach und geht auf die Bühne und wirft mal eben einen 10-Darter. Wenn man anfängt, über die Fans, das Match, den Gegner oder was auch immer nachzudenken, dann vergeigt man es.

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SPOX: Wird van Gerwen in 20 Jahren einen ähnlichen Stellenwert haben wie Phil Taylor?

Van Barneveld: Für mich ist er einfach nur phänomenal. Van Gerwen dominiert die Darts-Welt und wenn er keine Geldprobleme hat, wird er noch besser werden. Aber er hat erst einen WM-Titel. Klar, er ist jung und kann noch nachlegen. Aber 16? Das ist eine abnormale Hausnummer! Außerdem hat Phil selbst immer noch die Qualität, die WM zu gewinnen.

SPOX: Taylor und Sie spielen seit Jahrzehnten Darts auf höchstem Niveau und Ihre Wege haben sich zwangsweise häufiger gekreuzt. Wie würden Sie ihre Beziehung beschreiben?

Van Barneveld: Mit einem Wort: Dominanz. Mental ist Phil stärker als fast alle anderen Spieler. Er hatte relativ schnell genug Geld auf dem Konto und deshalb nie finanzielle Probleme. Es ist unheimlich befreiend, wenn man alles tun kann, was man will. Selbst Michael hatte vor drei, vier Jahren finanziell zu kämpfen, aber dann bekam er ein besseres Management, das ihm versicherte, dass die Kosten übernommen werden. Im Gegenzug bekommt das Management einen gewissen Prozentsatz zurück. Angesichts der Erfolge ist das wohl eine Win-Win-Situation.

SPOX: Van Gerwen ist einer von nur sieben Spieler, die es geschafft haben, die WM zu gewinnen. 2007 haben Sie sich in diesen Kreis eingereiht...

Van Barneveld: ...und das Finale gegen Taylor war das beste Spiel meiner Karriere! Ich habe jahrelang mit anderen Darts gespielt, aber dann kam es zu Problemen mit meinem Management. Ich wollte Darts mit 25 Gramm und sie wollten mir Pfeile andrehen, die sich einfach falsch angefühlt haben. Als ich sie gewogen habe, hatten manche 24 und andere 24,5 Gramm, aber kein Set hatte 25 Gramm.

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SPOX: Wie haben sie reagiert?

Van Barneveld: Ich habe sie alle weggeworfen und bin zu einem Darts-Shop gefahren. Ich habe zu dem Verkäufer gesagt: 'Phil Taylor spielt mit Slim Darts und ich will jetzt auch Slim Darts.' Ich schwöre auf meine Kinder: Ich war schlagartig besser und noch in dem Shop habe ich zu meinem Berater gesagt: 'Diese Darts machen mich zum Weltmeister.' Er hat erst nur gelächelt, aber drei Monate später hatte ich die Welt erobert.

SPOX: Wie war die Reaktion auf Ihren Erfolg?

Van Barneveld: Als ich 2007 Weltmeister wurde haben rund 600 Hardcore-Fans in meiner Straße gewartet und mir zugejubelt. Ein Jahr später bin ich im Halbfinale ausgeschieden und die Straße war komplett verlassen. Es geht nur um Titel, das sieht man auch bei Gary Anderson.

SPOX: Inwiefern?

Van Barneveld: Als Gary die Nummer 10 der Order of Merit wurde, hat er eine Wildcard für die Premier League bekommen. Er hat danach ein paar TV-Turniere verpasst, aber ist umso stärker zurückgekommen. Dann hat er die Premier League und zuletzt zwei Mal die WM gewonnen und avancierte neben Michael zum besten Spieler der Welt - sein Werdegang ist beeindruckend. So lange man im Kopf klar bleibt, kommt man aus schwächeren Phasen heraus und gewinnt wieder Titel. Viele sagen, teilnehmen sei wichtiger als gewinnen. Ich sehe das andersherum. Niemand will was mit Dartsspielern zu tun haben, die verlieren.

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