Hürdenläuferin Carolin Nytra gelang in diesem Jahr endgültig der Durchbruch. Beim Diamond-League-Meeting in Lausanne verbesserte sie ihre Bestleistung auf 12,57 Sekunden und ist damit die schnellste Europäerin in diesem Jahr.
Bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Barcelona holte sie sich die Bronzemedaille. SPOX sprach mit der gebürtigen Hamburgerin über ihre Erfolge, den interessanten Weg zum Hürdenlauf und Fotos im Playboy.
SPOX: Wenn man im Internet nach Ihnen googelt, dann stößt man erst in den letzten Wochen auf ausführlichere Artikel über Sie. Ansonsten findet man eine spartanische Homepage und jede Menge zu Sebastian Bayer, Ihrem Freund. Wird sich das nach den jüngsten Erfolgen ändern?
Carolin Nytra: Das mit der Homepage ist richtig, aber daran arbeiten wir momentan intensiv. Ich finde es generell sehr schön, dass jetzt gewürdigt wird, was ich erreicht habe. Auch in medientechnischer Hinsicht. Im Schatten von Sebastian habe ich aber meines Erachtens noch nie gestanden. Er hatte ja seinen Mega-Erfolg und wurde deswegen auch zu Recht gefeiert.
SPOX: Wie stressig war der Medienmarathon rund um die EM?
Nytra: Ganz ehrlich: Nach der 12,57 von Lausanne gab es wesentlich mehr Hype um meine Person. Da war ich auf einmal Dritte der Weltbestenliste und beste Europäerin.
SPOX: Wie sehr befassen Sie sich generell als Studentin des Sportmanagements mit Ihrer eigenen Außendarstellung? Reden Sie bei der Gestaltung einer Homepage, PR-Terminen oder ähnlichem mit?
Nytra: Die PR-Termine regelt das Management. Generell habe ich aber ein großes Mitspracherecht. Bisher waren die meisten Artikel über mich sehr sachlich. Ich wäre aber auch offen für Werbung und Fotos in einer anderen Richtung, wo auch mal die andere Caro dargestellt wird, die nicht nur Hürden läuft.
SPOX: Sie sprechen schon die Fotos an. Für so etwas sind ja Magazine wie FHM oder Playboy sehr beliebt. Ein Thema für Sie?
Nytra: Momentan auf keinen Fall. Ich wurde vor der Heim-WM in Berlin gemeinsam mit anderen Athletinnen auch schon gefragt. Damals kam das für mich ohne großen Erfolg schon gar nicht in Frage, weil ich einfach nicht zwischen Laufbahn und Laufsteg gestellt werden will, damit sich alle Leute das Maul über mich zerreißen können. Auch jetzt, wo ich erfolgreicher bin, kann ich es mir noch immer nicht vorstellen. Nicht weil ich prüde bin, sondern weil ich denke, dass ich mich auch über eine andere Schiene vermarkten kann. Denn wenn man so etwas einmal gemacht hat, dann wird man immer damit verbunden.
SPOX: Wie stehen Sie generell zum Verhältnis zwischen Spitzensport und Medien? Stört Sie der Rummel oder sehen Sie die Notwendigkeit, sich gerade in einem Sport wie der Leichtathletik im Gespräch zu halten?
Nytra: Medienarbeit ist außerordentlich wichtig. Ich merke vor allen Dingen, dass diese Arbeit mir für meine persönliche Entwicklung viel bringt. Ich bin dadurch wesentlich selbstbewusster und sicherer im Auftritt nach außen geworden. Vermarktungstechnisch ist klar: Wenn es um Leistung und Aufwand geht, kann man Spitzen-Fußballer und Spitzen-Leichtathleten vergleichen. Wir haben aber nicht das Ansehen und sicherlich auch nicht das Geld der Fußballer. Deshalb finde ich es umso wichtiger dagegen anzukämpfen, dass beispielsweise die "Sport-Bild" zu 7/8 aus Fußball besteht.
SPOX: Bekannt wird man im Sport meistens durch Erfolge. Der ganz große Coup ist Ihnen in Barcelona nicht gelungen. Darüber waren Sie zunächst enttäuscht. Warum?
Nytra: Ich weiß es gar nicht so genau. Ich war im Ziel zunächst einmal enttäuscht, weil ich nicht das geschafft habe, was ich in meinem Körper gemerkt habe. In diesem Moment war ich in einem Schockzustand. Es hat etwas gedauert zu verarbeiten, dass ich mein Ziel EM-Medaille erreicht habe. Auf der Ehrenrunde habe ich mich ehrlich noch einmal über die Medaille und die Bombenzeit gefreut.
SPOX: Hatten Sie Angst, an dem Druck zu zerbrechen?
Nytra: Bei der Heim-WM in Berlin hat es am Kopf gelegen. Ich war in einer Schachmatt-Situation, weil es in meinem Heimatland war und alle Menschen in der Startkurve meinen Namen gerufen haben. Deswegen habe ich in diesem Jahr früh einen Psychologen gesucht, um es nicht wieder drauf ankommen zu lassen. Positiv beeinflusst hat mich, dass ich von Anfang der Saison sehr konstant und gut gelaufen bin. Das hatte im Jahr davor gefehlt.
SPOX: Welche Rolle hat dabei der Psychologe gespielt?
Nytra: Er hat mir gesagt, dass ich sowohl von den Leistungen als auch aus psychologischer Hinsicht ganz entspannt in den Wettkampf gehen kann, so dass ich mir von außen gar keinen Druck auferlegt habe. Mein Ziel war von Beginn der Saison, eine Medaille bei der EM zu holen. Am Ende denke ich, dass ich meine Aufgabe sehr gut gemacht habe. Natürlich hätte ich, wenn man von der Bestenliste ausgeht, Gold holen können, aber das ist für die Medien dann auch einfacher gesagt als es für den Athleten selbst ist.
SPOX: Sportlich haben Sie in diesem Jahr eine Leistungsexplosion erlebt. Wie erklären Sie sich das?
Nytra: Zwar war die Zeit von Lausanne auch für mich überraschend gut, aber ich wusste, dass vom Niveau her so eine Zeit möglich war. Ich hatte vorher bereits in der Halle einen großen Sprung gemacht. Es galt dann, das Geschwindigkeitsniveau der kürzeren Distanz auch auf die letzten Hürden zu übertragen. Dazu kam, dass wir an der Technik meines Schwungbeins gearbeitet haben. Das sollte aggressiver und aktiver an die Hürde ran, damit ich die Hürde schneller überqueren kann. In Lausanne hat es gepasst. Auch wenn ich von der Zeit vorher nicht zu träumen gewagt habe, war es eine logische Folge der Hallensaison.
SPOX: Sie haben Ihre Bestzeit von 12,57 Sekunden nun mehrfach bestätigt. Wo stehen Sie damit im Hinblick auf WM oder Olympia?
Nytra: Mein Ziel für London 2012 ist es, ins Finale zu laufen. Mit der Zeit von diesem Jahr sollte man das auf jeden Fall schaffen. Und wenn man erst einmal im Finale steht, dann ist alles möglich. Bisher hatten wir bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen immer Favoritenstürze. Sollte man es aber schaffen, im Finale den Lauf seines Lebens zu machen, warum sollte es dann nicht mit einer Medaille klappen?
SPOX: Über die Hürden ist die Überlegenheit der Amerikaner und Jamaikaner nicht so groß wie im flachen Sprint. Wie erklären Sie sich das?
Nytra: Richtig, konstant stark ist derzeit nur Priscilla Lopes-Schliep. Der Hauptgrund für die fehlende Dominanz ist aber, dass Amerikaner und Jamaikaner dieses Jahr ein Übergangsjahr haben, in dem sie neue Trainingsmethoden, andere Hürdentechniken und Wettkampfrhythmen proben, weil die Weltmeisterschaft erst im nächsten Jahr ist. Im Hürdenlauf ist es noch wichtiger, in guter Tagesform zu sein, weil man spritzig sein muss. Auf den 100 Metern flach kann ich mal einen Schritt mehr oder weniger machen, aber zwischen die Hürden passen eben immer nur drei Schritte.
GettySPOX: Sie haben mit Ihrem Psychologen auch daran gearbeitet, die Angst vor den Hürden abzubauen, was offensichtlich geholfen hat...
Nytra: Angst vor den Hürden hatte ich so natürlich noch nie. Für mich waren es aber immer Hürden, die man übersteigen muss, wie man im Leben eben auch Hürden übersteigt. Ziel ist es aber nicht, die Hürden zu überwinden, sondern sie als gegebenen Umstand zu sehen, der so schnell wie möglich überquert werden muss. Die aktiven Gedanken, was an der Hürde passiert, mussten verschwinden. Wichtig ist nur, was dazwischen passiert, denn am Boden bin ich schnell, in der Luft langsam. Das war der Hintergedanke dabei.
SPOX: Wieso wird man überhaupt Hürdenläuferin? Weil man für die 100 Meter flach zu langsam ist?
Nytra: Nein, weil man gezwungen wird (lacht). Als Schülerin habe ich damals Mehrkampftraining gemacht, damit die Belastung nicht zu einseitig wird. In meiner Trainingsgruppe damals war ich aber die einzige, die keinen Hürdenlauf gemacht hat, weil ich da wirklich noch Angst hatte. Ich war klein und sehr schmal, weswegen ich dachte, dass Hürden für mich gefährlich seien. Als aber alle über die Hürden gelaufen sind, habe ich auch mitgemacht. Ein Jahr später wurde ich sogar Hamburger Meisterin, was zu dieser Zeit ein absolutes Highlight war. Ich wollte allerdings weiterhin nur Sprinterin bleiben. Als wir uns aber spezialisieren mussten, hat mein Trainer mich mit allen Mitteln dazu überredet, Hürden zu laufen. Gleich in meinem ersten Jahr kam ich in den Endlauf der deutschen Meisterschaften und von da an war mein Schicksal besiegelt.
SPOX: Ihr Freund Sebastian Bayer hatte im vergangenen Jahr ein Hoch und ist danach in ein Loch gefallen. Was tun Sie, damit Ihnen das nicht passiert?
Nytra: Der für mich wichtigste Punkt ist die Gesundheitsprophylaxe mit medizinischer und physiotherapeutischer Betreuung. Nach der Saison werde ich eine lange Auszeit nehmen, um alle Wehwehchen und Baustellen am Körper zu beseitigen. Mittlerweile habe ich genug Erfahrung, um zu wissen, was meinem Körper gut tut. Sehr wichtig ist auch, dass man sich immer wieder neue Ziele setzt. Wenn man sich damit zufrieden gibt, dass man mehr erreicht hat, als man sich vor zehn Jahren hätte vorstellen können, wird man ziemlich schnell erfolgssatt. Deswegen werde ich mir in jedem Jahr ein Ziel suchen, auf das ich hinackern kann.
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