"Ich bin gerne abends unterwegs. Also verzichte ich auch nicht aufs Nachtleben. Ich mache, was ich will", sagte Usain Bolt in einem Interview mit der Welt im August 2014.
Knapp ein Jahr später hat der Jamaikaner dies wieder einmal bewiesen, als er mit blonder Begleitung ausgelassen feiernd im Münchner Glitzer-Schuppen P1 gesichtet wurde. Die Kollegen Justin Gatlin, Tyson Gay und Asafa Powell befanden sich zu dieser Zeit in den letzten Zügen der Vorbereitung für die Diamond League in Lausanne.
Gatlin gewann in starken 9,75 Sekunden das Bewerbungsschreiben für die Weltmeisterschaft Ende August in Peking und unterstrich seine Titelambitionen eindrucksvoll.
Bolt lag derweil auf der Liege von Magier Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Eine Blockade des Iliosakralgelenks im Becken machte ihm zu schaffen, verhinderte einen Start in Lausanne und setzt sogar ein Fragezeichen hinter die bevorstehende Weltmeisterschaft.
Auf der Suche nach altem Glanz
Jene Weltmeisterschaft, bei der er nach einem von Verletzungen geplagten Jahr nach eigener Aussage wieder voll angreifen wollte. Seine bisher gezeigten Leistungen stellen diese Ankündigung allerdings in Frage.
Ganze zwei Einzelauftritte stehen 2015 in seiner Vita. Beim World Challenge Meeting In Ostrava Ende Mai lief er bei schlechten Wetterverhältnissen 200 Meter in 20,13 Sekunden, Mitte Juni benötigte der Weltrekordler in New York bei der Diamond League gar 20,29 Sekunden.
Zwar gewann er beide Rennen, die Zeiten waren für den schnellsten Mann der Welt allerdings unterirdisch und brachten ihn gegen die unbeschriebene Konkurrenz mehr ins Schwitzen als gewohnt.
"Das war das schlechteste Rennen meines Lebens. Ich weiß nicht, was schief gelaufen ist, ich muss einfach weiter arbeiten", zeigte sich der Sprintstar in New York einsichtig, nachdem er seinen 19-jährigen Trainingspartner Zharnel Hughes gerade so um drei Hundertstel geschlagen hatte.
Menschliche Züge
Es scheint, als habe der Strahlemann des Weltsports innerhalb von zwei Jahren sein Lächeln verloren. Bei der Weltmeisterschaft 2013 räumte er in Moskau noch wie eine Maschine alle drei Goldmedaillen ab und rannte an die Spitze der erfolgreichsten Leichtathleten der WM-Geschichte.
Es hätte wohl keiner darauf gesetzt, dass es bis zur nächsten WM die letzten Topzeiten (9,77 und 19,665 Sekunden) bleiben würden. Doch die Maschine zeigt menschliche Züge.
So wie seine Kontrahenten ihm über Jahre nur hinterher rannten, so versucht er nun die eigene Form wieder einzuholen, die er durch eine hartnäckige Fußverletzung verloren hat. Sie kostete ihm bereits die gesamte letzte Saison.
Eine neue Ausgangslage
Bisher konnte sich Bolt auf seine überragende Technik und seine perfekte, teils von Gott gegebene und teils hart antrainierte Körperkonstitution verlassen. Im Zuge des Erfolgs fällt dann auch das Training leichter. Sich nach einer Verletzung wieder herankämpfen zu müssen, ist eine neue Ausgangslage, die dem Genussmensch weniger liegt.
Deshalb stellt sich die Frage, wieviel der Ausnahmeathlet bereit ist zu tun, um an seine Sternstunden wieder anzuknüpfen. Um seine Marke muss sich der Weltstar keine Sorgen machen, trotz fehlender sportlicher Präsenz polarisiert sein Name wie kaum ein anderer in der Welt des Sports.
Ob Ausflüge in das Nachtleben Münchens in seiner aktuellen Lage sinnvoll sind, darf somit zumindest in Zweifel gestellt werden. Denn in dieser Phase ist ihm damit nicht geholfen, wenn seine sportliche Legende weiter aufleben soll.
Gatlin fährt die Krallen aus
Eine Legende, an der allen voran Justin Gatlin kratzt. In Lausanne gewann der Amerikaner sein 26. Rennen in Folge. Mit 9,74 Sekunden und 19,57 Sekunden hält er beide Weltjahresbestleistungen. Gatlin befindet sich in der Form seines Lebens und versucht, Bolt vom Thron zu stoßen.
"Wenn ich raus auf die Bahn gehe, weiß ich, dass ich der Mann bin, den es zu schlagen gilt", zeigte er sich nach der gewonnen Diamond League in Rom entsprechend selbstbewusst.
Doch so schnell Gatlin auch laufen wird, seine Vergangenheit wird ihn immer wieder einholen. So beeindruckend sein wiederholtes Comeback auch sein mag, mit dem faden Beigeschmack von zwei Dopingsperren wird der 33-Jährige wohl weder die Massen für sich gewinnen können, noch den Heldenstatus erreichen, den Bolt seit Olympia 2008 innehat.
Spekulationen? Egal!
Das Gleiche gilt für die ebenfalls schon des Dopings überführten Gay und Powell. Das Kratzen wird bei Bolt wohl eher wie ein Kitzeln wirken.
Denn Usain Bolt wäre nicht er selbst, wenn ihn all die Spekulationen um ihn und seine Form auch nur ansatzweise kümmern würden. Trotz der Probleme der letzten Jahre hat er seine zwei größten Stärken nicht verloren.
Seine demonstrierte Lockerheit und das Vertrauen in sich selbst und seinen einzigartigen Körper lassen ihn niemals verkrampfen. Jedoch wird er erkannt haben, dass die Konkurrenz nicht schläft und er für seinen Erfolg mehr arbeiten muss, als es sich der Blitz bisher vielleicht selbst eingestehen wollte.
In seinen Festungen zu alter Stärke
Wie konkurrenzfähig Bolt wirklich ist, wird sich vermutlich am 24. Juli bei der Diamond League in London zeigen. Nach dann hoffentlich überstandenen Rückenproblemen soll die verpasste Generalprobe im Olympiastadion nachgeholt werden.
Ob Bolt dann auch zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder über die 100 Meter antritt, steht noch nicht fest. "London ist für mich ein besonderer Ort. Ich liebe es, dort zu laufen", freut er sich vorab über die Rückkehr in seinen Goldtempel von 2012.
Der Showdown gegen Gatlin findet vier Wochen später in seinem anderen Palast statt. Im Vogelnest von Peking, wo Bolt 2008 bei Olympia erstmals alles abräumte, wird sich zeigen, ob der 28-Jährige seinen fünf Jahre älteren Kontrahenten weiter in Zaun halten kann, oder ihm der Rang abgelaufen wird.
Gatlin gibt sich bereits angriffslustig und hofft, dass Bolt "fit und bereit ist. Dann liegt es an mir, ihm den bestmöglichen Kampf zu liefern."
"Als vollkommener Athlet antreten"
Trotz all der Probleme würde es nicht überraschen, sollte er in Peking auf den Punkt genau fit sein. Bisher hat er es immer geschafft, auf der großen Bühne seine volle Leistungsfähigkeit abzurufen und alles abzuräumen.
Seine zweijährige Abstinenz würde dann unbedeutend werden, stattdessen ginge sein Siegeszug weiter, der ein Jahr später bei Olympia gekrönt werden soll: "In Rio möchte ich nochmal als vollkommener Athlet antreten und alle drei Goldmedaillen gewinnen", weist er dem "Triple Triple" die größte Bedeutung zu.
Es würde ihm zu Gesicht stehen. Er macht eben, was er will.