"Er läuft und läuft und läuft", lautete in längst vergangenen Zeiten ein bekannter Werbeslogan von Volkswagen. Im Trabrennsport ist es ein Bentley, der nicht nur dauernd läuft, sondern der dabei auch ein Rennen nach dem anderen gewinnt. "Bentley Sun" lautet der vollständige Name des Wallachs, der am 11. Mai 2003 auf dem Gestüt Sun im holsteinischen Oering das Licht der Welt erblickte.
Seine Rennlaufbahn begann der kompakte Braune vier Jahre später in Dinslaken - mit einem Sieg. Dass das der Beginn einer Karriere sein würde, die heute weltweit ihresgleichen sucht, konnte damals noch niemand ahnen. Dass Bentley Sun ein Winner-Typ ist, wurde im Frühjahr 2008 erstmals offenkundig, als der mittlerweile Fünfjährige sechs Rennen am Stück gewann.
An einen Weltrekord oder ähnliches dachte niemand, zumal die Siegesserie am 12. Mai jenen Jahres jäh gestoppt wurde und Bentley Sun (nach drei weiteren Siegen) am 31. Juli erneut verlor. Das sollte allerdings für lange Zeit die letzte Niederlage gewesen sein.
Mehrfach am Rande einer Niederlage
Am 3. August 2008 setzte der "Bentley" zu einem Höhenflug an, wie ihn der Trabrennsport noch nicht erlebt hat. Der Wallach, der dem Immobilienverwalter Ernst Riemekasten aus dem hessischen Dreieich gehört, produzierte Siege am Fließband. Als im Sommer 2009 der 20. Treffer unter Dach und Fach war, beschäftigte man sich in der Umgebung von Bentley Sun erstmals mit dem Weltrekord. Den hielt seit April 2002 ein gewisser Bodyguard of Spain, ebenfalls ein deutsches Trabrennpferd, das seinerzeit sage und schreibe 38 Mal hintereinander triumphierte.
Auf seiner Rekordjagd stand Bentley Sun mehrfach am Rande einer Niederlage, zum Beispiel im Dezember 2009 in München, beim Sieg Nr. 27. Um das Projekt Weltrekord nicht zu gefährden, beschloss man, Bentley Sun weite Reisen quer durch Deutschland zu ersparen und ihn bis auf weiteres nur noch auf seiner Heimatbahn in Berlin-Karlshorst anzuspannen. Die liegt nämlich gerade einmal 15 Kilometer entfernt von der Matzky-Ranch in Schöneiche im Berliner Stadtforst, wo Bentley Sun seit langem schon von Thorsten Tietz betreut und vorbereitet wird.
Da das sportliche Niveau auf der einstigen DDR-Bahn unter dem vieler anderer deutscher Pisten liegt, meldeten sich bald die ersten Kritiker zu Wort, die dem Team um Bentley Sun gar Feigheit vorwarfen. Solche Anwürfe stießen in Schöneiche jedoch auf taube Ohren, dort hatte man nur noch den Weltrekord von Bodyguard of Spain im Visier, der mehr und mehr in greifbare Nähe rückte. Im Sommer 2010 - es fehlten noch fünf Zähler zur Bestmarke - gönnte man Bentley Sun eine ausgedehnte, mehrmonatige Pause, nach der der Wallach Anfang November mit frischen Kräften ans Werk ging und den Rest der Wegstrecke in Angriff nahm.
Neuer Weltrekord - 39. Sieg in Folge
Noch vor dem Jahreswechsel erreichte Bentley Sun den ersten Meilenstein und stellte in Karlshorst mit seinem 38. Sieg den Weltrekord ein. Jetzt fehlte zur neuen Bestmarke nur noch ein Sieg. Als ob man alle Zweifler Lügen strafen wollte, wählten Besitzer Ernst Riemekasten, Trainer Roman Matzky, Betreuer Thorsten Tietz und Marisa Bock, die ständige Fahrerin von Bentley Sun, für das ultimative Rennen am 4. Februar 2011 eine anspruchsvolle Aufgabe aus, mit starken Gegnern, wie sie Bentley Sun lange nicht mehr vor der Brust hatte.
Doch Bentley Sun zeigte, dass er ein wahrer Champion ist, trotzte nicht nur der Konkurrenz sondern auch der regenweichen Bahn und triumphierte tatsächlich zum 39. Mal in Serie. Insgesamt war es sein 50. Treffer - viele Pferde bestreiten in ihrem Leben keine 50 Rennen! Bei der Siegerehrung entwich der ganze Druck, der sich im Laufe der Monate aufgestaut hatte. Vor allem Marisa Bock, die mit einer Ausnahme bei allen Siegen im Sulky bzw. Sattel (in Trabreiten) saß, ließ ihren Emotionen freien Lauf. Schließlich trug die "Siegmaschine" Bentley Sun entscheidend dazu bei, dass es die 30-jährige Hamburgerin 2009 und 2010 in die Top 5 der deutschen Profis schaffte, auch das hatte es zuvor nicht gegeben.
Mittlerweile hat die Bentley-Sun-Familie ein neues Ziel. Findige Statistiker haben herausgefunden, dass der schwedische Kaltblüter Järvsöfaks im Sulky einst 42 Rennen hintereinander gewann. Zu dieser Marke fehlen Bentley Sun drei Treffer. Dass man mit dem Weltrekord für Warmblut-Traber eigentlich ganz zufrieden ist und die kommenden Wochen ein bisschen entspannter angeht, beweist die Tatsache, dass Bentley Sun Berlin-Karlshorst nun erstmals wieder verlässt und sich den Herausforderern auf der Derbybahn in Mariendorf im ehemaligen Westteil Berlins stellt.
Nachtrag: Dieser Artikel kam gerade noch rechtzeitig, denn kurz nach seiner Veröffentlichung endete die Serie von Bentley Sun. Nach 39. Siegen in ununterbrochener Reihenfolge musste der Weltrekordler am Sonntag, 27. Februar, in Berlin-Mariendorf ein klare und einwandfreie Niederlage einstecken.
Im Trabreiten, eigentlich eine Paradedisziplin von Bentley Sun, besaß der Wallach gegen Gladiator und Cathrin Nimczyk nicht den Funken einer Chance und musste sich erstmals nach 939 Tagen geschlagen geben.