Teufelskerl Armstrong

Von Torsten Adams
Radsport-Ikone Lance Armstrong kehrt nach 1274 Tagen auf die große Bühne zurück
© Getty

Lance Armstrong ist zurück. Kommenden Sonntag bestreitet der Tour-Rekordsieger in Australien sein erstes Profirennen seit mehr als drei Jahren. Sein Comeback versetzt die eine Hälfte der Radsportszene in Euphorie - und die andere in Fassungslosigkeit.

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Es ist ein ganz normaler Januar-Tag in Adelaide, Australien. Während in europäischen Breitengraden klirrende Kälte herrscht, steigt das Quecksilber in Down Under auf 40 Grad - im Schatten. Wahrlich nicht die allerbesten klimatischen Bedingungen für eine entspannte Ausfahrt mit dem Rennrad. Doch darauf kann Patrick Jonker, ein ehemaliger australischer Radprofi, keine Rücksicht nehmen.

Für den 39-Jährigen ist es ein ganz besonderer Tag. Der einstige Gewinner der Tour Down Under, einer kleinen Rundfahrt, die traditionell zu Beginn der Radsportsaison auf dem fünften Kontinent ausgetragen wird, hat eine Einladung bekommen. Von ihm. Dem siebenfachen Tour-de-France-Champion, der großen Ikone des Radsports. Lance Armstrong will mit ihm und zwei anderen Kumpels eine kleine Trainingsfahrt starten.

"Nicht ein Gramm Fett zu sehen"

Die gut 150 Kilometer durch die Gluthitze Südaustraliens haben bei Jonker einen bleibenden Eindruck hinterlassen: "Ich habe Lance heute das erste Mal seit mehreren Jahren gesehen. Es ist beeindruckend, wie mager und durchtrainiert sein Körper ist. An ihm ist nicht ein Gramm Fett zu sehen", schwärmt Jonker. "Er hat schon wieder diesen Blick ..."

Da ist er also wieder, der einstige Patron des Pelotons. Am Sonntag wird Armstrong in Australien seine Rückkehr in den Profiradsport bei einem Kriterium zugunsten Krebskranker feiern, um zwei Tage später die erste Etappe der Tour Down Under in Angriff zu nehmen - mit 37 Jahren und nach gut dreieinhalb Jahren ohne Wettkampfpraxis.

Allianz gegen Armstrong

"Ich habe keine Illusionen", diktiert der US-Amerikaner rund eine Woche vor seinem Comeback der Meute an Journalisten in die Notizblöcke. "Ich will nicht zu schlecht abschneiden und mich erst mal wieder an das Renn-Tempo gewöhnen. Aber für einen alten Mann bin ich gar nicht so schlecht in Schuss."

Armstrong übt sich in Tiefstapelei. Eine Eigenschaft, die man vom 37-Jährigen nicht gewohnt ist. Nur: Seine alten und neuen Konkurrenten im Peloton glauben nicht an die Geschichte vom alten Mann. "Wenn er zurückkommt, dann richtig. Halbe Sachen macht Lance nicht, dafür ist er ja bekannt", sagt Jens Voigt vom Team CSC-Saxo Bank zu SPOX.

In Italien werden regelrechte Bündnisse gegen Armstrong geschlossen: Die beiden einstigen Erzrivalen Damiano Cunego und Gilberto Simoni sehen ihre Chancen beim Giro d'Italia ob der Teilnahme des scheinbar übermächtigen Amerikaners schwinden. "Ja, es stimmt. Es gibt Gespräche mit Gilberto über mögliche Allianzen, mit denen wir gegen Armstrong bestehen können", gibt Cunego zu.

Giro auf Armstrong zugeschnitten

Nicht wenige behaupten, die Renn-Veranstalter hätten seit Bekanntwerden seiner Rückkehr in den Radsportzirkus sogar ganze Rundfahrten auf Armstrong zugeschnitten. Bei der Streckenvorstellung des diesjährigen Giro fragten sich die Kletterer, wo denn eigentlich die Berge beim zweitwichtigsten Radrennen der Welt geblieben seien?

Mit dem Zoncolan, Mortirolo und dem Aufstieg zum Kronplatz fehlen die drei steilsten Giro-Anstiege. Statt traditionsreichen Gipfeln wie dem Passo di Gavia oder dem Stilfserjoch stehen zwei Einzel- und ein Mannschaftszeitfahren auf dem Programm - wie gemacht für den Zeitfahrspezialisten Armstrong.

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Renn-Veranstalter hofieren Armstrong

Die umstrittene Rad-Ikone hatte sein spektakuläres Comeback kaum verkündet, da rissen sich die Veranstalter schon um den Amerikaner. Selbst Christian Prudhomme, Direktor der Tour de France, machte da keine Ausnahme. Eben jener Prudhomme, der im vergangenen Jahr das Team Astana wegen dessen Doping-Vergangenheit von einer Tour-Teilnahme ausgeschlossen hatte, möchte jetzt "nicht mehr in die Vergangenheit schauen".

Bei seinen Rechtfertigungsversuchen wird der Franzose nicht müde zu betonen, dass sich Armstrong ja demselben Anti-Doping-Reglement wie alle anderen Fahrer unterwerfen müsse. "Er wird behandelt wie jeder andere Profi auch. Und unsere Regeln sind strikter als je zuvor", bestätigt Prudhomme. Von den immensen wirtschaftlichen Vorteilen für die A.S.O., seiner Tour-Organisation, erwähnt der Franzose kein Wort. Rund 160 Millionen Euro setzt die A.S.O. jährlich mit der Großen Schleife um.

Hollywoodreife Inszenierungen

Egal auf welchem Teil der Erde der Rückkehrer auftaucht: Die Radsportszene verfällt in Euphorie. "Dass Lance Armstrong in Australien startet, ist sensationell für unsere Tour", sagte Direktor Mike Turtur, der seinem "Glücksfall" gleich ein Sicherheitsaufgebot zur Seite stellte, wie es sonst nur hochrangigen Staatsmännern vorbehalten ist.

Fernsehstationen schlagen sich darum, die ansonsten eher belanglose Tour Down Under auf ihren Frequenzen übertragen zu dürfen. Australische Medien werben mit hollywoodreifen Slogans für die Rundfahrt: "Your chance to meet Lance" und "Catch the man no one else can".

Eine Rennmaschine voller Botschaften

Und auch Armstrong selbst pusht den Hype um seine Person. Der Kommunikations-Fanatiker tippt täglich private Nachrichten in sein Blackberry und stellt sie auf seiner Twitter-Seite online - für jeden ersichtlich.

Kürzlich veröffentlichte er Fotos seines eigens für ihn entworfenen Rennrads und ließ seine Anhängerschaft rätseln, welche Bedeutung die Zahlen 27,5 und 1274 auf dem Rahmen seines Arbeitsgerätes wohl hätten.

Einen Tag später lüftete Armstrong das Geheimnis um die ominösen Zahlenspiele: "1274 days w/o (without) a pro race. Roughly 27.5 million people globally have passed away from cancer in that time. Has to stop." 1274 Tage also hat Armstrong an keinem Profi-Rennen mehr teilgenommen. In dieser Zeitspanne seien rund 27,5 Millionen Menschen weltweit an Krebs gestorben. Das müsse aufhören. So der Wortlaut seiner Twitter-Nachricht.

Leidet Armstrong unten Doping-Anschuldigungen?

Armstrong, der 1995 selbst an Hodenkrebs erkrankt war, ist es ein persönliches Anliegen, mehr Aufmerksamkeit für den Kampf gegen Krebs und seine Livestrong-Stiftung zu erzeugen. Ihm gehe es nicht so sehr um die sportliche Herausforderung oder das Geld.

Doch ist das wirklich alles, was er mit seinem sensationellen Comeback bezwecken will? Schließlich steht für den stets mit Doping in Verbindung gebrachten Tour-Champion eine Menge auf dem Spiel: "Wenn man schon so viele Rennen in seiner Karriere gewonnen hat wie er, dann kann man nur verlieren", meinte Bjarne Riis, Tour-Sieger von 1996 und heutiger Chef des Teams CSC-Saxo Bank.

Pat McQuaid, irischer Präsident des Weltradsportverbandes UCI, hat seine ganz eigene Philosophie von der Rückkehr des Patrons. McQuaid vermutet, Perfektionist und Kontroll-Freak Armstrong leide unter den Doping-Anschuldigungen der Vergangenheit, die "niemals bewiesen wurden".

Das neu installierte Anti-Doping-Programm mit der Einführung biologischer Pässe der Fahrer könnte Armstrong bei einer Rückkehr nach den Worten des Iren helfen "zu beweisen, der Athlet zu sein, der er nach seinen Beteuerungen immer war".

Albtraum oder Heilsbringer?

Das Phänomen Armstrong, es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite der Klinge ist der Amerikaner das gebranntmarkte Kind, das für viele als Synonym für Dopingpraktiken und im krassen Gegensatz zu einem sauberen Neubeginn des Radsports steht.

Auf der anderen Seite scheint er der letzte Strohhalm zu sein, um der Sportart die nötige Finanzkraft und Publicity zu liefern, die für einen Neubeginn unabdingbar sind.

Aber egal, was bei der diesjährigen Tour de France passiert - ob Armstrong siegt, Paris nicht einmal erreicht oder gar des Dopings überführt wird - im Radsport wird es 2009 nur ein Thema geben: die Armstrong-Show.

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