September, 2011. Es schien lange Zeit perfekt zu laufen. Nach zwei erfolglosen Auftritten bei der Tour de France demonstrierte Team Sky bei der Vuelta a Espana erstmals seine Klasse. Neben Kapitän Bradley Wiggins schaffte es überraschend auch der damals völlig unbekannte Chris Froome auf das Podium der Gesamtwertung. Es sollte der Beginn einer dominanten Ära werden.
Bei der nächsten Tour de France war Sky dann nämlich endgültig auf dem Radsport-Olymp angekommen. "Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, die Tour de France zu gewinnen", erklärte Wiggins vorher - und ließ Taten folgen. Er gewann, sein Wasserträger Froome wurde Zweiter. Anschließend triumphierte Wiggins noch im olympischen Zeitfahren bei den Heimspielen in London. Die Belohnung: Er und Sky-Teamchef Dave Brailsford wurden von der Queen zum Ritter geschlagen, Wiggins avancierte zum Superstar auf der Insel.
Team Sky: Gekommen, um Großes zu erreichen
Die großen Ziele des Rennstalls waren endlich erreicht. Bereits bei der Gründung des Teams 2009 sollte die Mannschaft neue Maßstäbe setzen. Mit einem prominenten Sponsor und dem höchsten Budget aller Teams zeigte man eine gänzlich neue Professionalität. Vor allem revolutionäre Trainingsmethoden sollten laut Brailsford den Erfolg sichern: "Früher gab es vor allem Doping, da mussten die Fahrer nicht trainieren. Unsere Fahrer trainieren richtig. Das ist eigentlich alles."
Durch "marginal gains", den Vorsprung durch kleine technische Feinheiten, sollte etwas Neues aufgebaut werden. Den ersten britischen Tour-de-France-Sieger überhaupt zu stellen, war das Kernziel.
Als dieses erreicht war, wandte man sich höheren Aufgaben zu. "Wir wollen das Team Sky zum unangefochten besten Radteam der Welt machen - zu einer Mannschaft, die als eine der besten in der Welt des Sports angesehen wird", war Brailsfords Forderung. Und was sich das Team Sky vornahm, das erreichte es auch. In den folgenden Jahren wurde man zur überragenden Macht bei den Rundfahrten und beherrschte vor allem die Tour de France nach Belieben. Von 2013 bis 2017 gewann Froome die Rundfahrt gleich vier Mal.
Rekordsieger der Tour de France:
Siege | Fahrer (Nation) | Jahre |
5 | Jacques Anquetil (Frankreich) | 1957, 1961-1964 |
5 | Eddy Merckx (Belgien) | 1969-1972, 1974 |
5 | Bernard Hinault (Frankreich) | 1978, 1979, 1981, 1982, 1985 |
5 | Miguel Indurain (Spanien) | 1991-1995 |
4 | Chris Froome (Australien) | 2013, 2015-2017 |
3 | Philippe Thys (Belgien) | 1913, 1914, 1920 |
3 | Loison Bobet (Frankreich) | 1953-1955 |
3 | Greg LeMond (USA) | 1986, 1989, 1990 |
Sky proklamierte strikte Anti-Doping-Politik
Es war eine Dominanz wie zu den besten Zeiten von Lance Armstrongs US-Postal-Teams. Skys Helferriege war in den Bergen allen überlegen und neutralisierte nahezu jeden gegnerischen Angriff durch ihre qualitative und quantitative Überlegenheit.
Aber: Von Anfang an gab es Zweifler, die eine solche Überlegenheit ohne leistungssteigernde Mittel für unmöglich hielten. Auch der steile Aufstieg von Froome machte viele Beobachter stutzig, war er doch vor seiner Zeit bei Sky nie als besonders guter Rundfahrer aufgefallen. Brailsford reagierte auf die ständigen Vorwürfe zumeist genervt: "Anstatt ständig von uns zu fordern, wie wir unsere Unschuld beweisen sollen, könnt ihr ja mal ein paar Ideen liefern."
Sky selbst proklamierte eine strikte Anti-Doping-Politik für sich. Mit Null Toleranz und unvergleichbarer Konsequenz wollte man dem Thema begegnen. Dennoch verpflichtete man den niederländischen Arzt Geert Leinders - nachweislich in Dopingpraktiken verstrickt -, nur um ihn kurz darauf auf Druck der Öffentlichkeit wieder entlassen zu müssen.
Der Mythos wankt
2016 begann dann der Mythos des unantastbaren Team Sky ernsthaft zu bröckeln. Russische Hacker deckten damals auf, dass sowohl Wiggins als auch Froome vom Weltverband UCI mehrere medizinische Ausnahmegenehmigungen für die Verwendung von verbotenen Mitteln erhielten.
Besonders bei Wiggins schienen diese Verschreibungen mehr als verdächtig, handelte es sich doch um das Mittel Triamcinolon. Das eigentliche Allergie-Spray hat unter anderem einen plötzlichen Gewichtsverlust zur Folge. Passenderweise erhielt Wiggins die Verabreichungen dreimal direkt vor dem Start einer dreiwöchigen Rundfahrt - bei zahlreichen Bergetappen, in denen jedes verlorene Gramm zählt, ein großer Vorteil.
Wiggins war sich jedoch keiner Schuld bewusst. Er empfand die Anschuldigungen als Überreaktion: "Es wird in Teilen aufgebauscht und personalisiert. Es braucht nicht mehr viel, um Aufsehen zu erregen, wegen den Dingen, die zuvor passiert sind. Ich verstehe das."
Ein Skandal jagt den nächsten
Doch es kam noch dicker: Kurz darauf wurden Details über ein Paket für Wiggins bekannt. Ein Mitarbeiter des Teams soll die ominöse Fracht vor der Tour 2011 von Manchester nach La Toussuire, wo das Team gerade weilte, gebracht haben. Der Inhalt des Pakets war nirgendwo verzeichnet. Die Frage, die sich also stellte: Wieso reist jemand persönlich über 1.500 Kilometer, nur um ein Paket zu überbringen?
Die Reaktion des Teams wirkte alles andere als glaubwürdig. In dem Paket sei der Hustenlöser Fluimucil gewesen - ein Medikament, das vor Ort in Frankreich für acht Euro in jeder Apotheke zukaufen gewesen wäre. Eine plausible Erklärung dafür gelang weder Wiggins noch Brailsford, vielmehr verstrickten sich beide in widersprüchliche Aussagen.
Und all dem nicht genug, wurde ein positiver Dopingtest von Froome bei der Vuelta 2017 bekannt, die dieser souverän gewonnen hatte. Das gefundene Mittel Salbutamol sollte angeblich sein Asthma bekämpfen, lag aber über dem Grenzwert.
Ein abschließendes Urteil steht bis heute allerdings aus, noch ist seine Betrugsabsicht nicht bewiesen. Ein Unding für Tour-Chef Christian Prudhomme: "Das ist verrückt. Wir wollen eine Antwort. Dass da einer ist, der auf der Startliste steht und später möglicherweise gesagt bekommt, dass er nicht hätte da sein sollen. Das ist eine Farce."
Erneute Doping-Vorwürfe: Skys Todesstoß?
Das alles waren jedoch nur Indizien, einen klaren, eindeutigen Regelverstoß konnte man dem Team bis dahin nicht nachweisen. Allerdings wurden schnell Untersuchungen über die Ungereimtheiten eingeleitet, sowohl von der britischen Anti-Doping-Agentur UKAD als auch ein Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses.
Während die UKAD ihre Untersuchungen ohne Ergebnis abschloss, gelangte der Parlamentsausschusse zu einem eindeutigen Ergebnis: "Im Gegensatz zur Aussage von Brailsford vor dem Ausschuss glauben wir, dass das Team Sky innerhalb der WADA-Regeln Medikamente nicht nur zur medizinischen Behandlung verwendete, sondern um die Leistung der Fahrer zu verbessern."
Das erste Mal gibt es damit eine offizielle Aussage, die Doping von Sky bestätigt. Direkte Folgen hat das Ergebnis allerdings nicht, denn es seien keine offiziellen Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur verletzt worden. Dennoch hat der Bericht eine Signalwirkung, vor allem weil Sky immer höchste moralische Ansprüche an sich selbst erklärt hatte, wie Froome einst erzählte: "Wir müssen nicht nur die Regeln einhalten, sondern darüber hinaus auch Vorbilder sein. Moralisch und ethisch."
Ein unrühmliches Ende für Sky
Das Image als Saubermänner ist dahin, auch wenn sich die Beteiligten wehren. Wiggins spricht etwa von einer "Hexenjagd" und "einer Hölle auf Erden". Dabei könnte es noch schlimmer kommen. Momentan wird sogar über eine Auflösung des Rennstalls spekuliert und jetzt will auch die Anti-Doping-Kommission der UCI den Fall genauer untersuchen. Würde diese einen Regelverstoß feststellen, könnte das Team auch seine Tour-Titel verlieren.
Dann würde das Team Sky ein ähnliches Ende finden wie Armstrongs US Postal: Vom Mythos einer unbesiegbaren Supertruppe zu einem Synonym für das Böse im Sport.