Lisa Brennauer ist die erfolgreichste deutsche Radrennfahrerin der vergangenen Jahre. Vor kurzem hat die 34-Jährige ihr Karriereende angekündigt. Bei den European Championships 2022 in München wird sie ein letztes Mal an den Start gehen. Im Interview mit SPOX spricht Brennauer über die Ambitionen bei den letzten Rennen.
Außerdem erzählt Brennauer von ihren Eindrücken bei der Tour de France der Frauen, die nach 13 Jahren Unterbrechung in diesem Jahr neu aufgelegt wurde, und gibt einen Ausblick, wie sich das Rennen weiterentwickeln kann.
Im Rückblick auf die Karriere erklärt sie zudem, wieso der Weltrekord schon in der Qualifikation bei Olympia 2021 in Tokio der wichtigste Baustein für den Gold-Triumph war.
Frau Brennauer, Ihre lange Karriere neigt sich dem Ende entgegen. Zuletzt hatten sie mit der Tour de France der Damen noch ein Karriere-Highlight. Das Gelbe Trikot zu ergattern gelang Ihnen nicht. Wie bewerten Sie das Event?
Lisa Brennauer: Die Atmosphäre war gigantisch, aber rein sportlich hätte ich mir natürlich mehr erhofft. Vielleicht habe ich mir meine Ziele aber auch ein bisschen zu hoch gesetzt. Ich dachte mir "boah, schade", dass das nicht so lief. Aber insgesamt bin ich sehr froh, dass ich das noch mitmachen und erleben durfte.
Die Tour de France der Damen wurde von vielen Stürzen überschattet. Worauf führen Sie das zurück?
Brennauer: Da kamen mehrere Faktoren zusammen. Wir sind ein brutales Tempo gefahren, das zwangsläufig dazu führt, dass man müder und unachtsamer wird. Alle waren zudem hochmotiviert und keine wollte einen Zentimeter verschenken. Dazu kamen unglückliche Situationen, wie zum Beispiel bei einem Massensturz, als eine Fahrerin durch ein Schlagloch gefahren ist und den Lenker aus der Hand verloren hat. Aber das passiert ja auch bei den Männern.
Nehmen Sie uns dennoch einmal mit auf die Tour. Wie haben Sie diese erlebt?
Brennauer: Generell habe ich einen wahnsinnig gut organisierten Wettkampf erlebt - von der Unterbringung über die acht Tage bis hin zur Sicherheit auf der Strecke mit unzähligen Streckenposten. Dazu kam natürlich das erhöhte Interesse seitens der Zuschauer aber auch der Medien. Wenn ich etwas auszusetzen habe, dann vielleicht, dass es kein Einzelzeitfahren gab, was ich mir für eine zukünftige Tour de France wünschen würde. Das liegt natürlich auch daran, dass ich diese Disziplin einfach liebe. Ich bin mir sicher, dass es in zukünftigen Ausgaben Bestandteil der Rundfahrt wird.
gettyInsgesamt war es ein Meilenstein für den Radsport der Frauen. Unzählige Fans und Zuschauer kamen an die Strecke.
Brennauer: Die Atmosphäre war unglaublich. Wie die Leute mitgefiebert, uns angefeuert und den Frauen-Radsport gefeiert haben, das war schon beeindruckend. Das habe ich in meiner Karriere in der Masse noch nie erlebt. Da bekommst du Gänsehaut. Wir haben alle gedacht, dass es groß wird, aber dass es so groß wird, das hat inklusive mir viele überrascht.
Ihren Höhepunkt fand die Stimmung an der letzten Etappe die steile Rampe hinauf auf die Planche des belles filles. Wochen zuvor wurde Lennard Kämna dort wenige hundert Meter vor dem Ziel als Ausreißer abgefangen. Mit wie viel Ehrfurcht geht man dann diesen Anstieg an?
Brennauer: Ich bin in den Anstieg reingefahren und habe nur mantramäßig vor mich hin gesagt: "Nicht nach vorne schauen, nicht nach vorne schauen." Ganz unten kommt nämlich schon ein Steilstück, das man bis oben hin einsehen kann. Dann geht es über einen Kilometer so steil berghoch. In solchen Momenten denke ich mir immer: "Einfach nur treten." So quäle ich mich dadurch.
Lisa Brennauer im Steckbrief
Geburtstag | 8. Juni 1988 |
Geburtsort | Kempten / Bayern |
Wohnort | Durach |
Größe | 168 cm |
geplantes Karriereende | 21. August 2022 |
größte Erfolge Bahn | Olympia-Gold Mannschaftsverfolgung Tokio 2021, Europameisterin Einerverfolgung 2018, 2021 und Mannschaftsverfolgung 2021, Weltmeisterin Einerverfolgung 2021 und Mannschaftsverfolgung 2021 |
größte Erfolge Straße | Weltmeisterin Mannschaftszeitfahren 2013, 2014 und 2015 Weltmeisterin Einzelzeitfahren, Mannschaftszeitfahren 2014 |
Die Quälerei wird ganz besonders im letzten Abschnitt mit über 20 Prozent Steigung sichtbar. Gefühlt stehen die Radfahrer und Radfahrerinnen an dieser Stelle.
Brennauer: Absolut. Ich habe noch vor Augen, als ich über den Schriftzug 'La Super Planche des belles filles' gefahren bin, den Zielstrich schon gesehen habe, aber noch so ewig gebraucht habe. In diesem Moment musste ich an Lennard Kämna denken. Diese letzten 50 Meter fühlen sich wie eine Ewigkeit an.
Lisa Brennauer: Olympiasieg von der Wertigkeit am emotionalsten
Der Auftakt mit einer markanten Stelle der Tour ist nun gemacht. Glauben Sie, dass weitere Klassiker wie Alpe d'Huez oder der Mont Ventoux künftig in den Plan aufgenommen werden?
Brennauer: Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Die Rundfahrt will wachsen, es werden vermutlich mehr Tage hinzukommen. Ich glaube, dieser Tour de France sind keine Grenzen gesetzt, deswegen wird es auch irgendwann über diese bekannten Hochgebirgspässe gehen.
Ist gemessen an der Entwicklung des Frauen-Radsport mit erhöhten Interesse und steigenden Preisgeldern kein Stück Wehmut dabei, dass Sie davon nicht mehr partizipieren können?
Brennauer: Nein, ich bin generell mit allem im Reinen. Ich bin sehr zufrieden, was ich erreicht habe und wo der Radsport jetzt steht. Ich freue mich einfach, Teil dieser Entwicklung gewesen zu sein und einiges mitbewegt zu haben, wovon Fahrer und Fahrerinnen nun auch profitieren können.
Wenn Sie auf Ihre komplette Karriere zurückblicken, gibt es einen speziellen Moment, der heraussticht?
Brennauer: Am emotionalsten und von der Wertigkeit her am größten war sicherlich der Olympiasieg 2021 in Tokio. Es war mein größter Erfolg und emotional auf einem anderen Level verglichen mit anderen Titeln. Aber was so eine Karriere dann ausmacht, sind gar nicht nur die Erfolge, sondern zu sehen, wie ein Team so gut funktioniert. So viele Leute haben jahrelang ihr Bestes für mich und die anderen Fahrerinnen gegeben. Sie haben die Grundlage geschaffen, um überhaupt diese Erfolge feiern zu können.
Sie sprechen den besonderen Teamgeist an. Hat sich dieser nach dem tragischen Unfall von Kristina Vogel noch einmal verstärkt?
Brennauer: Sie ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit und war ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft. Wenn so etwas Tragisches passiert, wächst man als Mannschaft schon ein Stück weit enger zusammen. Ich würde den späteren Erfolg aber nicht mit dem Unfall verknüpfen. Dennoch hat sie ihren Beitrag dazu geleistet. Sie ist nämlich sehr oft vor Ort, war unter anderem auch in Tokio. Das ist natürlich cool, da sie eine Fahrerin war, zu der man aufgeschaut hat und deren Weg nach oben man mit Begeisterung verfolgt hat. Und es ist natürlich auch inspirierend, wie sie sich nach ihrem Unfall wieder hochgekämpft hat. Wenn man an so einem Menschen sieht, was alles machbar ist und wie man sich hochziehen kann, ist das beeindruckend. Dadurch ist sie nach wie vor ein großes Vorbild für uns. Das Schöne ist ihre Freude zu sehen, wenn sie vor Ort ist und sich daran erfreuen kann, wie wir uns entwickelt haben.
Kristina Vogel wurde 2016 Olympiasiegerin im Sprint, Sie zogen 2021 in der Mannschaftsverfolgung nach und holten Gold, nachdem sie schon in der Qualifikation den Weltrekord aufgestellt hatten. Was geht einem durch den Kopf, wenn man im Halbfinale an den Start geht mit dem Wissen, die Bestleistung eigentlich schon abgerufen zu haben?
Brennauer: Ehrlich gesagt war dieser Weltrekord in der Qualifikation der entscheidende Baustein für den Triumph. Wir sind im Training ein paar Tage zuvor schon so schnell gefahren, dass wir da schon wussten, dass wir den Weltrekord knacken können. Wir wussten aber nicht, was er bedeutet, da wir wegen Corona 1,5 Jahre keine Wettkämpfe und wir keine Vergleichswerte zur Konkurrenz hatten. Davor haben wir uns dann zusammengesetzt und ich habe zu den Mädels gesagt: "Hey, lasst uns doch einfach Weltrekord fahren!" Denn dann haben wir schon so etwas Geiles erreicht. Alles andere kann dann von selbst kommen. Dann haben wir schon einen riesigen Schritt und gehen positiv in den Wettkampf rein. Das hat natürlich super geklappt. Wir hatten dadurch in der ersten Runde die bessere Ausgangsposition, da wir gegen die Viertplatzierten der Qualifikation gefahren sind. Die waren deutlich langsamer. Da wussten wir, dass wir die deutlich besseren Karten als die Gegner haben. Das war der Schlüssel.
Im Gold-Lauf sind Sie noch ein drittes Mal Weltrekord gefahren.
Brennauer: Das war natürlich überragend. Das war purer Wille. Wir wollten Gold gewinnen, aber wir hatten die Silbermedaille ja sicher. Alleine das wäre für jede von uns ein riesiger Erfolg gewesen. Wenn man das im Hinterkopf hat und mit dieser Leichtigkeit in das Finale geht, kann man auch Gold gewinnen. Wir hatten nicht den Druck, aber wir wollten es schon unbedingt.
Sie haben erst vor kurzem wieder auf Instagram ein Bild geteilt, das Sie mit Ihren Kolleginnen nach dem Olympiasieg zeigt und beschreiben diesen Moment als sehr besonders. Was war da genau?
Brennauer: Das war der erste Moment, bei dem wir nur zu viert waren und überhaupt realisieren konnten, was ist hier eigentlich gerade passiert. Davor war der ganze Trubel. Hier konnten wir uns wirklich in die Augen schauen und sagen: 'Wow, was haben wir gerade erreicht'.
gettyLisa Brennauer: Bei Olympia in London am unbeschwertesten
Wie ging der Tag dann noch weiter?
Brennauer: Die Bahnradwettkämpfe in Tokio waren weit außerhalb vom Olympischen Dorf, wir durften aber eine Nacht dann dort verbringen. Zusammen mit Team Deutschland wurde natürlich gefeiert, eine richtige Party war leider nicht so richtig möglich. Aber wir haben einen wunderschönen Empfang im Deutschen Haus bekommen. Danach sind wir durch das Olympische Dorf gestreift und haben zur Musik in einem Park getanzt. Es war schön, einfach den Moment zu genießen.
Magdalena Neuner hat nach ihrem Olympiasieg geklagt, dass sie es aufgrund der vielen Medientermine gar nicht wirklich genießen konnte. Ging Ihnen das ähnlich?
Brennauer: Ich hatte nach den Olympischen Spielen schon sehr viele Termine. Die vermehrten Interview-Anfragen oder Einladungen ins Fernsehen kommen zwangsläufig mit so einem Olympiasieg, aber ich habe das alles als sehr positiv wahrgenommen.
Sie haben insgesamt an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Welche waren die schönsten?
Brennauer: Sportlich waren natürlich die Spiele in Tokio herausragend, aber rückblickend ist ein weinendes Auge dabei ob der Umstände, unter denen sie stattgefunden haben. Meine ganze Familie und Freunde wollten dabei sein, durften aber wegen der Corona-Pandemie nicht. Wir hatten das Glück, dass bei den Bahnradwettbewerben im Gegensatz zu den meisten anderen Sportarten zumindest ein paar einheimische Zuschauer zugelassen waren. Das haben wir sehr genossen. Es war einfach anders als beispielsweise in London.
Dort haben Sie 2012 Ihr Olympiadebüt gefeiert.
Brennauer: Genau. Da war ich am unbeschwertesten, zu dem Zeitpunkt war es einfach nur schön, ein Teil der Olympischen Spiele zu sein und das erleben zu dürfen. Ich erinnere mich dabei noch an den Moment, als mein Bruder dort zu mir sagte, dass er stolz auf mich ist und dass es Wahnsinn ist, dass wir hier sind und ich zu einem ganz anderen Menschen werde, wenn ich den Zeitfahrhelm aufsetze. (lacht) Es war schön, dass wir den Moment dort teilen konnten.
Bei den European Championships in München setzen Sie zum letzten Mal als Profisportlerin den Helm auf. Wie wehmütig schauen Sie auf Ihre letzten Rennen?
Brennauer: Ehrlich gesagt freue ich viel mehr darauf. Es wird mit Sicherheit eine ganze emotionale Zeit.
Gerade wenn man in der eigenen Heimat die Karriere beenden kann.
Brennauer: Ja, das ist sehr besonders. Viele Leute aus meinem Umfeld können bei meinem Abschied dabei sein, das finde ich toll. Generell wird es hier in Bayern aber einfach ein wunderschönes Event. Es ist aber nicht so, dass es von Anfang an der fixe Plan war. Es wird sicher ein toller Moment, um die Karriere hier ausklingen zu lassen. Zumal mein ganzes Team Ceratizit in der Nähe von München beheimatet ist.
Lisa Brennauer: Mammutprogramm bei European Championships
Für den Abschluss haben Sie sich ein großes Programm vorgenommen. Sie starten auf der Bahn in der Mannschafts- und Einerverfolgung (12. und 13. August). Zudem stehen in der zweiten Woche das Einzelzeitfahren (17. August) sowie das Straßenrennen (21. August) auf dem Programm. Wie schafft man den Wechsel von der Bahn auf die Straße?
Brennauer: Ein Umstieg in so kurzer Zeit innerhalb eines Events fällt mir andersherum eigentlich einfacher. Es wird eine Herausforderung, aber die Umstände haben mehrere meiner Teamkollegen, die ebenfalls auf der Bahn und der Straße fahren. Man muss sich vom Kopf darauf einlassen, dass es ganz unterschiedliche Events sind. Wenn ich im Kopf umschalten kann, dann klappt es auch mit den unterschiedlichen Anforderungen in den Beinen.
European Championships in München: Sportarten
Sportart | Stadion | Zeitraum |
Leichtathletik | Olympiastadion | 15. bis 21. August |
Tischtennis | Rud-Sedlmayer-Halle | 13. bis 21. August |
Turnen | Olympiahalle | 11., 13., 14., 18., 20. und 21. August |
Triathlon | Olympiapark | 12. bis 14. August |
Radsport Straße | Münchner Umland | 14., 17. und 21. August |
Radsport Bahnrad | Messe München | 11. bis 16. August |
Radsport BMX | Olympiaberg | 11. bis 13. August |
Radsport Mountainbike | Olympiapark | 19. und 20. August |
Beachvolleyball | Königsplatz | 15. bis 21. August |
Klettern | Königsplatz | 15. bis 21. August |
Rudern | Regattaanlage | 11. bis 14. August |
Kanu-Rennsport | Regattaanlage | 18. bis 21. August |
Welche Ziele setzen Sie sich für Ihren Karriereabschluss?
Brennauer: Auf der Bahn haben wir mit der Mannschaft als auch ich im Einzel eine große Chance. Wir sind hochmotiviert, vor allem da wir mit dem Weltmeistertrikot an den Start gehen. Natürlich ist es der Wunsch, nochmal ganz oben zu stehen.
Und was steht dann nach dem 21. August an?
Brennauer: Ich bin im vergangenen Jahr Berufssoldatin geworden, ich werde also bei der Bundeswehr bleiben. Ich bin mit den Gremien bereits im Gespräch, diese sind aber noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe aber, so nah wie möglich am Sport bleiben zu können.
Also kommt es zu keiner Karriere als Radsport-Expertin für die Tour de France?
Brennauer: Ich habe das bei Eurosport ein paar Mal gemacht. Das hat mir sehr viel Spaß bereitet. Ich kann mir schon vorstellen, das in der Zukunft immer mal wieder zu machen, aber mein Hauptberuf wird bei der Bundeswehr bleiben.