Romain Bardet hat in der sengenden Hitze Italiens mit einer Punktlandung für einen französischen Tour-Traumstart gesorgt, die Giganten Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar sind auf der Fahrt über den Fluss Rubikon noch kein übertriebenes Risiko eingegangen. Während viele Ausreißer die erste Etappe der 111. Frankreich-Rundfahrt bestimmten und Routinier Bardet ins Gelbe Trikot schlüpfte, hielten sich die Topfavoriten in den historischen Hügel-Landschaften von Toskana und Emilia-Romagna zurück.
Bardet (33) siegte beim ersten Tour-Auftakt in Italien nach schweren 206 km zwischen Florenz und Rimini vor seinem dsm-Teamkollegen Frank van den Broek, der ihm generös Tageserfolg und Gelb überließ. Die beiden Fluchtgefährten retteten mit letzter Kraft einen Mini-Vorsprung auf den Rest des Hauptfeldes ins Ziel.
"Das ist verrückt. Wie es im Radsport immer noch unerwartete Momente gibt. Es war überwältigend", sagte Bardet, der seine letzte Tour bestreitet.
Für Bardet, zu dessen Team auch der deutscher Etappenjäger John Degenkolb gehört, war es der vierte Tagessieg beim wichtigsten Radrennen der Welt, das Maillot jaune hatte der Gesamtzweite von 2016 noch nie getragen. "Ich habe jetzt Gänsehaut, ich hatte vorhin Gänsehaut. Ich glaube, ich war noch nie so emotional bei einem Sieg, den ich nicht selbst eingefahren habe. Es ist absolut gigantisch", sagte Degenkolb am Teambus.
Pogacar (4.), der wie der dänische Titelverteidiger Vingegaard (16.) das Ziel mit der ersten Gruppe erreichte, zeigte an den sieben Bergwertungen keine Schwäche. "Der erste Tag war sehr gut. Wir haben die Beine an den Anstiegen ein bisschen getestet. Am Ende bin ich mitgesprintet für die Bonussekunden, da hat mir aber das Glück gefehlt", sagte Pogacar.
Für Vingegaard war der gute Auftakt nicht selbstverständlich: Nach seinem schweren Sturz mit einigen Knochenbrüchen bei der Baskenland-Rundfahrt im April hatte es der Champion von 2022 und 2023 nur mit Mühe zur Tour geschafft - und zeigte sich vor dem Start am Samstagmittag sehr angefasst.
"Das ist ein sehr emotionaler Moment für mich", sagte der 27-Jährige mit Tränen in die Augen, bevor er zum Start rollte. Was Vingegaard wirklich drauf hat, werden die ersten schweren Alpenetappen der kommenden Woche zeigen.
Auch Pogacar - der Sieger von 2020 und 2021 war kurz vor der Tour an Corona erkrankt - legte noch nicht seine Karten auf dem Tisch. Zumindest aber hinterließ sein UAE-Team um den Kölner Nils Politt einen ganz starken Eindruck.
Um 12.00 Uhr hatten sich in Florenz 176 Profis aus 22 Teams auf den 3498 km langen und gut dreiwöchigen Weg nach Nizza gemacht, wo die Tour am 21. Juli enden wird. Bei 35 Grad und mehr in der Anfangsphase schaffte es keiner der acht deutschen Fahrer in die Ausreißergruppe, die sich nach heftigem Ringen bildete und einen stattlichen Vorsprung herausfuhr.
Die Teams der großen Favoriten hielten sich auch angesichts der Bedingungen lange zurück. Gerade von Pogacars UAE-Mannschaft war erwartet worden, das Rennen schnell zu machen - um eben Vingegaards Leistungsfähigkeit auszuloten. Darauf verzichtete UAE dann aber - in der entscheidenden Phase, die am berühmten Rubikon-Fluss begann, belauerten sich beide nur.
Ein Drama erlebte der langjährige Topsprinter Mark Cavendish, der sich den alleinigen Siegrekord sichern will, aber schon beim ersten Berg abreißen ließ. An der Seite seiner Astana-Teamkollegen quälte sich der 39-Jährige weit hinter dem Feld her, erbrach sich, gab aber nicht auf. Der Traum vom 35. Etappenerfolg lebt damit noch.