"Die Tour kommt mir nicht entgegen"

Von Interview: Marcus Giebel
Tony Martin war bei der Tour 2009 Stammgast bei der Trikotvergabe auf dem Podium
© Getty
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SPOX: Im vergangenen Jahr haben Sie zwölfmal das Weiße Trikot übergestreift bekommen. Ist die Nachwuchswertung wieder ein Ziel?

Martin: Es ist sicher so, dass ich es wieder tragen könnte, aber dieses Jahr sind streckentechnisch die Vorteile nicht gerade auf meiner Seite. Es kommt darauf an, wie ich durch Belgien und die Niederlande komme. Man muss sehen, ob sich die Chance bietet. Mit Andy Schleck gibt es auf jeden Fall einen sehr starken Konkurrenten.

SPOX: Andy Schleck ist also Ihr klarer Favorit auf das Weiße Trikot. Wen sehen Sie sonst noch vorn dabei?

Martin: Am ehesten wohl die beiden Liquigas-Profis Vincenzo Nibali und Roman Kreuziger. Im Großen und Ganzen werden es dieselben Fahrer sein wie vor einem Jahr.

SPOX: Und wer ist Ihr Favorit auf den Gesamtsieg? Gibt es überhaupt eine Chance, gegen Alberto Contador zu bestehen?

Martin: Beim Zeitfahren der Dauphine hat Contador Zeit verloren. Und Chancen gibt es immer. Er hat sicher das schwächere Team im Vergleich mit RadioShack, was denen taktisch einige Möglichkeiten eröffnet. Insofern ist Lance Armstrong wieder ein Mitfavorit. Und ich hoffe auf unseren Michael Rogers.

SPOX: Sie selbst haben verlauten lassen, Ihr Anspruch sei, sich mit den Besten zu messen. Sind Contador und Armstrong schon ein Maßstab, oder ist das noch zu weit weg?

Martin: Das ist definitiv noch weit weg. Ich denke, dass erst einmal Nibali und Kreuziger die Messlatte sind. Das wäre dann ein Top-Ten-Platz, womit ich nicht sagen will, dass ich den erreichen muss. In den nächsten zwei, drei Jahren wäre das aber schon mein Ziel.

SPOX: Sie haben schon angesprochen, dass Rogers der Columbia-Kapitän bei der Tour de France sein wird. Welche Rolle werden Sie einnehmen - die des Edelhelfers?

Martin: Sicher werde ich erst mal die Rolle des Edelhelfers einnehmen. Aber die Tour ist drei Wochen lang. Da ist es schwer zu sagen, wer welche Aufgabe übernimmt. Aber die Ausgangsposition ist so, dass Michael Priorität hat und ich ihn mit dem einen oder anderen Teamkollegen am Berg unterstützen werde.

SPOX: Kommen wir zu Ihrem Fahrstil. Ihr kraftvoller Tritt am Berg erinnert an Jan Ullrich, während Contador oder Armstrong eher leichtfüßig daherkommen. Das schien schon out gewesen zu sein. Haben Sie es schon mit der Armstrong-Technik versucht oder liegt Ihnen das gar nicht?

Martin: Das liegt mir tatsächlich nicht besonders, aber ich bin auf jeden Fall dran, mich zu verbessern und flexibler zu werden. Das lassen wir im Training einfließen. Ich denke, dass mich das noch mal ein Stück weiter nach vorne bringen wird. Insofern kommen wir da voran.

SPOX: Nach Ihrem hervorragenden Einstand bei der vergangenen Tour wurden Sie schon als der Retter des deutschen Radsports hochgejubelt. Wie gehen Sie damit um?

Martin: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich das nicht allzu sehr bewegt. In der deutschen Presse wird man schnell bejubelt und genauso schnell wieder fallengelassen. Ich weiß, was ich leiste und habe ein gutes Umfeld. Wenn ich mein Team glücklich mache, ist es mir relativ egal, was die deutsche Presse schreibt.

SPOX: Ihr Team Columbia gilt als Vorreiter im Antidopingkampf. War das auch ein Grund für Ihre Unterschrift?

Martin: Als ich gewechselt bin, gab es das Team in dieser Form ja noch gar nicht. Damals hatte ich bei T-Mobile unterschrieben. Columbia hat mir sportlich eine tolle Perspektive geboten, der Antidopingkampf stand aber noch nicht so im Fokus. Ich bin froh, dass es sich so entwickelt hat und stehe voll dahinter.

SPOX: Auf Ihrer Homepage thematisieren Sie ebenfalls den Antidopingkampf. Zudem haben Sie gesagt: Ich fühle mich als glaubhafter Vertreter einer neuen Generation. Können Sie das konkretisieren?

Martin: Ich hoffe einfach, dass ich durch meine Leistung und meine Glaubwürdigkeit aufgrund der vielen Kontrollen, die ich schon hatte, ein Zeichen setzen kann. Ich erkläre mich mehr oder weniger zu jeder Aktion bereit, um diese Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Wir müssen die Leute einfach mit dem, was wir machen, überzeugen. Wir können uns ja nicht nackt machen und den ganzen Tag filmen.

SPOX: Der einzig richtige Weg ist also, mit offenen Karten zu spielen?

Martin: Ja natürlich, nur so kann man das Vertrauen zurückgewinnen. Und davon leben wir alle. Machen wir uns nichts vor: Die Sponsoren zahlen unser Gehalt. Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen und da gehört der Antidopingkampf ganz klar dazu.

SPOX: Anderes Thema: Sie wohnen mittlerweile in der Schweiz. Hat sich dadurch Ihr Trainingsalltag geändert?

Martin: Definitiv, allein verkehrstechnisch. Es gibt einige Radwege, die sehr gut zu befahren sind. Dann sind natürlich die hohen Berge in unmittelbarer Nähe. Mit Bert Grabsch und Linus Gerdemann habe ich Fahrerkollegen um mich herum, mit denen ich Gruppen bilden kann, was das Training erleichtert. Somit bringt der Umzug einfach eine Handvoll Vorteile mit sich.

SPOX: Als Rad-Profi hat man nicht wirklich viel Freizeit. Was unternehmen Sie in den wenigen Wochen, die zur freien Verfügung stehen?

Martin: Erst mal fliege ich in den Urlaub, dann besuche ich Verwandte und Freunde, für die ansonsten nicht viel Zeit bleibt. Dann kann man auch den einen oder anderen Kilometer mal mit dem Auto zurücklegen. Also einfach Sachen, die im Laufe des Jahres untergegangen sind.

SPOX: Und für welche Hobbys bleibt dann Zeit?

Martin: Ich brauche da nicht viel. Mit Freunden unterwegs zu sein, ins Kino oder einfach mal schön essen zu gehen. Das genügt mir schon.

Martin über seine Stärke im Zeitfahren und seinen Höhepunkt bei der Tour 2010