Knapp 20 Kilometer vor dem Ziel attackierte Andy Schleck seinen ärgsten Kontrahenten Alberto Contador und konnte ein kleines Loch auf den Spanier herausfahren. Dann passierte das Missgeschick: Während Schleck in vollem Tritt hoch schaltete, sprang ihm die Kette herunter.
Da kein Materialwagen in unmittelbarer Nähe war, musste der Luxemburger den Defekt selbst beheben. Gleichzeitig zog Contador vorbei.Schlecks "Kettenreaktion" im youtube-Video
Anschließend überschlugen sich die Diskussionen: Unfair oder nicht? Gerechtfertigt oder nicht?
SPOX hat die Meinungen gesammelt und zusammengestellt.
Das sagt SPOX
(von Torsten Adams)
Unweigerlich schießen einem die Erinnerungen an 2001 und 2003 in den Kopf. Ulle, Lance. Der eine stürzt auf der Abfahrt vom Peyresourde. Den anderen zerlegt's im Schlussanstieg nach Luz-Ardiden. Beide Male warteten die Rivalen aufeinander.
Diesmal war es anders. Während Schleck sein Rad mit zittrigen Fingern wieder reparierte, zog Contador davon. Mit starrem Blick. Unbeeindruckt.
So mancher will dem Spanier zugute halten, er habe in der Sekunde nach hinten geschaut, als Schleck das Missgeschick passierte. Und er wäre in einem zu hohen Tempo an dem Luxemburger vorbeigefahren, als dass er den Defekt hätte realisieren können. Für den Moment mag das stimmen. ABER: Die Fahrer sind mit Teamfunk ausgerüstet und Contadors Teamkollege Winokurow fuhr direkt am Hinterrad von Schleck. Er hat genau gesehen, was passiert war. Und Contador genau gewusst, dass Schleck einen Defekt hatte. Spätestens zehn Sekunden, nachdem er am Luxemburger vorbeigefahren war. Allerspätestens.
Contador hat den Fairplay-Gedanken mit Füßen getreten. Zu Recht wurde er von den Fans bei der Siegerehrung des Klassementbesten mit Buh-Rufen empfangen. Wenigstens auf dem Podest hätte er Reue zeigen können, indem er seinen Jubel im Zaum gehalten hätte. Stattdessen feierte er Gelb völlig euphorisiert - mit dem ausgestreckten Finger gen Himmel. Ich bin sicher: Contador hätte sich das Maillot Jaune auch auf andere Weise geholt. Aber mit dieser Aktion hat sich der Pistolero bei vielen Menschen noch unbeliebter gemacht, als er ohnehin schon ist. Und seinem wahrscheinlichen Tour-Sieg einen Makel für die Ewigkeit angeheftet.
Blog von UnrealFabian: Fairplay im (Rad)Sport
Das sagen die Beteiligten
Andy Schleck (Saxo Bank): "Er bekommt dafür sicher keinen Fairplay-Preis. Mein Bauch ist voller Ärger. In der Situation hätte ich keinen Vorteil herausgeschlagen. So hätte ich nicht das Trikot holen wollen. Aber das sind halt andere Kulturen. Ich weine dem Trikot keine Träne nach. Ich werde dafür Revanche nehmen. Die Tour ist noch nicht vorbei, jetzt beginnt sie erst. Das motiviert mich für den Tourmalet."
Alberto Contador (Astana): "Als ich an ihm vorbeigefahren bin, habe ich nicht gewusst, dass er einen Defekt hatte. Das habe ich erst später erfahren, doch da war der Vorsprung schon zu groß."
Mittlerweile hat sich Contador für sein Verhalten entschuldigt
Johny Schleck (ehemaliger Radprofi und Vater von Andy): "Er (Contador) hätte nicht warten müssen. Hier macht niemand Geschenke."
Jean-Francois Pescheux (Rennleiter und Jury-Mitglied der Tour-Kommission): "Das ist Radrennen. Solche Vorfälle muss man überstehen, wenn man die Tour gewinnen will."
Alexander Winokurow (Astana): "Alberto konnte gar nicht anders, als in dem Moment mitzugehen, weil es Mentschow und die anderen auch taten. Alle gaben 100 Prozent. Bei meinem Angriff habe ich von Andys Problemen nichts bemerkt."
Bjarne Riis (Teamchef Saxo Bank): "Fair Play oder nicht - ich kann es nicht sagen. Das ist das Rennen. Andy wird antworten."
Lance Armstrong (RadioShack): "Ich habe es nicht gesehen, aber es war wahrscheinlich nicht korrekt. Die Szene ereignete sich in der Hitze des Gefechts, aber auf diese Weise das Trikot zu verlieren, ist eine Schande. Man sollte es nicht vergleichen mit der Szene zwischen Jan Ullrich und mir im Jahr 2003."
Andreas Klöden (RadioShack): "Das war kein schöner Zug von Alberto. Aber das ist nun mal Radsport."
Das sagen die mySPOX-User
CBF: "Selbst wenn Mentschow und Sanchez zuerst das Tempo erhöht haben, nachdem Schleck die Panne hatte, dann müsste ein Mann wie Contador dafür sorgen, dass das Tempo wieder verschleppt wird oder dass er wenigstens wartet. Aber so etwas ist einfach nur unsportlich. Habe ich selten gesehen bei der TDF, so eine Unsportlichkeit unter Favoriten..."
RobbenFCB: "In der guten alten Lance Armstrong und Jan Ullrich Zeit wäre sowas nicht passiert. Da hätten beide aufeinander gewartet. Contador ist für mich der Lewis Hamilton des Radsports."
Jasper32: "Ich fand es auch nicht gerade fair, aber eine Sache muss man ihm doch mal zugestehen: Er hat mit Sicherheit in dem Moment nicht gesehen, dass Andy Defekt hat. Außerdem waren auch Sanchez und Mentschow mit dabei, auf die er auch keine Zeit verlieren durfte. Er kann ja auch nicht sagen: Okay, fahrt ihr mal, ich warte."
Zelh: "In der Formel 1 halten die andern auch nicht an, nur weil Webber nen Platten hat."
schleppi01: "Keiner verlangt von Contador, dass er vom Rad steigt und auf ihn wörtlich "wartet". Aber es ist ne absolute Sauerei, seinen EINZIGEN Angriff auf Schleck zu starten und voll durchzuziehen, wenn der mit kaputter Kette am Straßenrand steht und nix machen kann."
Alpert: "Als Schleck-Anhänger bin ich natürlich auch enttäuscht von der Etappe, aber AC Vorwürfe machen? Ich kann viele hier nicht verstehen! Wenn Andy weggegangen wäre bei einer Panne von AC hätte man noch Argumente FÜR so ein Vergehen gesucht! Genau wie bei der Kopfsteinpflaster-Etappe. Klar ist dort erhöhtes Sturzrisiko, aber das gibt's auch bei nasser Bahn. Wieso warten sie dann auf Andy und Fränk bei der ersten Etappe, aber auf AC oder Armstrong (auch ein DEFEKT) zwei Tage später keiner mehr? Objektivität, bitte!"