SPOX-Rematch gegen Schach-Meisterin Alisa Frey: "Ich will meine Gegner vernichten"

Stefan Petri
23. November 201811:40
Alisa Frey und Spox-Redakteur Stefan Petri trafen sich in Düsseldorf zum Rematch.SPOX
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Während der Schach-WM 2016 interviewte SPOX-Redakteur Stefan Petri die deutsche FIDE-Meisterin Alisa Frey - und verlor gleichzeitig sang- und klanglos ein Duell am Schachbrett. Zwei Jahre später gab es anlässlich der WM 2018 nun die Revanche. Dabei erklärte die 26-Jährige, warum sich Magnus Carlsen und Fabiano Caruana bisher ein Remis nach dem anderen liefern. Außerdem sprach sie über leidende Gegner und Psychospielchen am Brett, Absprachen und Betrugsfälle, Schach als Männerdomäne und die Zukunft des Sports.

Die ehemalige deutsche Vize-Meisterin begleitet die Schach-WM zusätzlich für SPOX im Liveticker.

SPOX: Alisa Frey, wir beide haben bereits vor zwei Jahren im Rahmen der Schach-WM gegeneinander gespielt und damals schon ein Rematch angekündigt. Dazu ist es jetzt tatsächlich gekommen. Nervös?

Alisa Frey: Ich erinnere mich ehrlich gesagt null an unsere Partie von vor zwei Jahren. (lacht) Insofern: Nein, keine Nervosität vorhanden.

SPOX: Ich habe in den letzten zwei Jahren bestimmt zwei, vielleicht auch dreimal Schach gespielt, kann also mit Fug und Recht behaupten, dass ich mein Niveau gehalten habe. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Frey: Ich habe etwas öfter gespielt als Sie, aber nicht mehr so oft wie früher. Ich habe als Master-Studentin nicht mehr so viel Zeit für viel Training und Turniere.

SPOX: Wie macht sich das am Brett bemerkbar?

Frey: So direkt nicht, aber ich habe vor kurzem Frauen-Bundesliga gespielt und es ist tatsächlich so, dass man am Brett sitzt und es kommt einem alles ein bisschen fremder vor.

SPOX: Das erhöht meine Chancen! Wobei ich Ihnen im Vorfeld ein Remis angeboten hatte. Sie haben abgelehnt.

Alisa Frey ist ehemalige deutsche Schach-Vizemeisterin und begleitet die WM für SPOX im Liveticker.Alisa Frey

Frey: Ja, im Vorfeld einer Partie sind keine Absprachen erlaubt. Nach dem ersten Zug darf man sich bei uns in der Frauen-Bundesliga theoretisch gleich ein Remis anbieten, wobei das bei der jetzigen Schach-WM erst nach 30 Zügen erlaubt ist. Ein komplett leeres Partie-Formular abzugeben, wäre einfach unsportlich. Wie damals im Fußball zwischen Österreich und Deutschland.

SPOX: Genau, die Schande von Gijon. Aber Carlsen und Caruana hätten ja sagen können: Komm, in der sechsten und siebten Partie schieben wir Remis und haben beide ein paar Tage mehr frei.

Frey: Sie könnten auch gleich zwölfmal Remis spielen, das würde vieles einfacher machen. (lacht) Weniger Aufwand in der Vorbereitung, keine Sekundanten und so. Aber man darf nicht vergessen: Eine solche Absprache wäre nicht bindend und man könnte den Gegner kalt erwischen, nachdem er den ganzen Tag im Schwimmbad verbracht hat.

SPOX:Von den zwölf Remis sind wir mittlerweile ja gar nicht mehr weit entfernt. Wie fällt Ihre Analyse aus?

Frey: Das ist relativ gerecht, es ist noch nicht so, dass einer der beiden insgesamt viel stärker gespielt hat als der andere. Ich weiß, es sieht irgendwie doof aus. Sie spielen einen Stil, der für den Normalo-Schachspieler nicht so geil ist. Auch mich begeistern die Partien nicht immer. Andererseits ist ein mit mir befreundeter Großmeister total begeistert, weil sie so coole Endspiele spielen. Bei einer WM wird immer versucht, ein bisschen "neben der Piste zu fahren": In der sechsten Partie wurden zum Beispiel schnell die Damen vom Feld genommen und dann nur noch gespielt. Dann kommt weniger die Fleißarbeit ins Spiel, sondern einfach das Spielen. Und da sind sie eben sehr ausgeglichen bislang.

SPOX: Wenn es tatsächlich zwölf Remis werden sollten, was passiert dann?

Frey: Zuerst kämen je bis zu vier Schnellschach- und Blitzschach-Partien. Gibt es immer noch keinen Sieger, käme zum Abschluss eine Armageddon-Partie, in der Weiß gewinnen muss, aber dafür mehr Bedenkzeit bekommt.

SPOX: Wer hätte in diesem Tiebreak einen Vorteil?

Frey: Wahrscheinlich Carlsen, weil er in der Vergangenheit mehr WM-Titel im Schnell- und Blitzschach gesammelt hat.

SPOX: Also wäre damit zu rechnen, dass Caruana in den letzten Partien mehr Risiko geht?

Frey: Vielleicht, aber ich weiß nicht, wie er sich selbst einschätzt. Man wird meistens dann ein guter Schachspieler, wenn man ein sehr hohes Selbstvertrauen hat. Eine minimale Selbstüberschätzung ist gar nicht so schlecht.

SPOX: Erneut: Das erhöht meine Chancen! Also fangen wir an. Wir losen die Farben ganz klassisch aus, mit versteckten Figuren in der Hand. Wie funktioniert das in Turnieren?

Frey: Dafür gibt es Auslosungsprogramme. Bei der WM wurde die Reihenfolge nach sechs Partien übrigens umgedreht, Carlsen spielte deshalb in Partie sechs und sieben die weißen Figuren.

SPOX: Wie groß ist der Vorteil bei Spitzenspielern, mit Weiß zu beginnen?

Frey: (überlegt) Statistisch gesehen ist es 55:45, meine ich. Aber dabei sind viele Remis eingeschlossen. Je höher das Niveau, desto wichtiger ist der Vorteil, mit Weiß zu spielen. Als Schwarz reagiert man auf die Eröffnung und wählt die Verteidigung. Deshalb ist es für mich manchmal persönlich auch angenehmer, Schwarz zu spielen, wobei es auf meinem Niveau keinen großen Unterschied macht. Die Weltbesten wollen am liebsten immer Weiß.

SPOX: Wird dann mit Schwarz eher immer auf Remis gespielt? Kann man beim Schach überhaupt defensiv spielen? Sich hinten reinstellen und dann "kontern"?

Frey: Ja, viele sind mit Schwarz mit einem Remis zufrieden. Die klassische Denke ist: Schwarz möchte ich halten, mit Weiß will ich angreifen. Defensiv spielen kann man auf jeden Fall, oder auch "kontern", aber Defensivspiel heißt nicht, dass man sich nur auf den hinteren drei Reihen aufhält. Man muss wissen, an welchen Stellen man auch mal aktiv werden muss.

SPOX: Im Gegensatz zum letzten Mal spielen wir diesmal von Angesicht zu Angesicht. Macht das einen Unterschied?

Frey: Für mich persönlich schon, weil ich einen Menschen gern lieber richtig vernichte. (lacht)

SPOX: Vielen Dank auch ...

Frey: Ich persönlich spiele nicht so gern am Computer oder online. Ich will meinem Gegner in die Augen sehen können und wissen, ob er leidet.

SPOX: Kann man das faken? Also nicht unbedingt ich, aber generell so tun, als wisse man nicht mehr weiter und seinen Gegner so auf die falsche Fährte führen. Oder umgekehrt so tun, als hätte man das Spiel schon im Sack.

Frey: Ein paar Psychospielchen gibt es schon. Wenn man aufsteht und sich umschaut, oder hinter den Gegner läuft, wirkt es schon so, als hätte man alles im Griff. Aber keine ganz billigen Tricks. Das wäre mir auch peinlich - so will man ja auch nicht gewinnen.

SPOX: Verstehen sich die Topspieler untereinander gut?

Frey: Ich glaube, dass sie ein solides Miteinander haben. Man kriegt immer mal wieder mit, dass auf Turnieren noch abends geblitzt wird oder nach Turnierende gefeiert wird. Das ist vergleichbar mit anderen Sportarten, wo man sich im Weltcup immer wieder sieht. Manche ziehen sich vielleicht eher zurück, aber direkte Feindschaften sind mir nicht bekannt.

SPOX: Weil wir es von Psychospielchen hatten: So könnte man im Vorfeld natürlich etwas mehr Hype erzeugen. Pressekonferenzen a la Mike Tyson: "Ich fresse deine Kinder" und sowas.

Frey: Ich glaube, sind sie alle zu intelligent, um sich solchen Quatsch anzudrohen. Wenn dann ein Caruana steht, der keine 1,70 Meter groß ist, glaubt dir das auch keiner ... (lacht)

SPOX: [lange Pause, das Brett sieht schon nach wenigen Zügen bedrohlich aus] Gibt es im Wettbewerb die klassische "berührt-geführt"-Regel"?

Frey: Normal schon, aber Sie können auch noch einmal zurück.

SPOX: Passieren ab einem gewissen Niveau noch richtig grobe Fehler? Einmal nicht aufgepasst und zack ist die Dame weg? Dann könnte ich noch hoffen.

Frey: Dafür müsste man schon sehr zerstreut sein. Manchmal kommt es vor, dass man eine Variante berechnet und nicht den ersten Zug davon ausführt, sondern den zweiten. Das ist nicht so gut. (lacht)

SPOX: [nächste längere Pause] Und Zeitspiel? Ich bin am Verlieren, also zögere ich alles hinaus bis zum bitteren Ende, um den Gegner zu entnerven. Kommt das vor?

Frey: Eigentlich nicht. Es ist ja auch eine Qual für einen selbst, wenn man schlecht steht. Ich mache das entweder kurz und schmerzlos - oder aber ich spiele weiter und bestrafe mich dadurch selbst, weil ich mich so über mich selbst ärgere.

SPOX: Wie schon vor zwei Jahren betreuen Sie bei uns den Liveticker. Ich habe mich gefragt, wie man Schach gut tickert: Im Fußball kann ich sofort erkennen, ob es eine gute Aktion ist oder nicht. Aber bei der WM haben die beiden vielleicht eine Idee im Hinterkopf, die Sie gar nicht auf dem Schirm haben.

Frey: Das stimmt, da kann ich nur mutmaßen - am besten würde der Weltmeister sich selbst tickern. Ich kann ihre Ideen zumeist schon nachvollziehen, manchmal vielleicht ein paar Züge später. Wenn der Plan nicht offensichtlich ist, schreibe ich, was ich machen würde. Gleichzeitig versuche ich ja auch, das Niveau etwas geringer zu halten: Jemand, der den Ticker liest, grübelt nicht stundenlang über dem Brett, sondern will es im Vorbeigehen verstehen.

SPOX: Und wenn Sie nicht tickern, studieren Sie oder spielen wie gesagt Frauen-Bundesliga. Sie haben mir im Vorgespräch verraten, dass dabei auch Spielerinnen "eingekauft" werden.

Frey: Das ist eine Entwicklung der letzten ein, zwei Jahrzehnte. Vor zwölf Jahren habe ich zum ersten Mal Bundesliga gespielt, da war die Liga schwächer und der Anteil der Spielerinnen, die extra anreisen, noch geringer.

SPOX: Was bekommen diese Spielerinnen?

Frey: Die richtig guten vielleicht rund 500 Euro pro Partie. Wichtig dabei: Man hat im Schach nicht nur in einem Land ein Spielrecht. Ich stehe zum Beispiel auch bei einem österreichischen Verein auf der Liste und könnte dort auch spielen. Es gibt also schon Profis, die jedes Wochenende in einer anderen Liga spielen und davon leben können. Die Klubs finanzieren das durch Sponsoren oder Mäzene, durch ein Preisgeld oder Prämien würde sich das nicht rechnen.

SPOX: In solchen Ligen wird doch bestimmt geschummelt, was das Zeug hält, oder? Ich gehe mal kurz auf die Toilette und so ...

Frey: Natürlich gab es schon Fälle und Verdachtsmomente, aber der Nachweis ist schwierig. Bei der Schach-Olympiade gibt es Scanner, bei uns in der Frauen-Bundesliga darf man kein elektronisches Gerät im Spielareal haben. Praktisch gesehen kommen die Spielerinnen aber am Samstag zum Spiel an und haben natürlich ihre Handys dabei. Dann geht man zum Schiedsrichter und legt es irgendwo ab.

SPOX: Sind Hilfsmittel erlaubt, abgesehen von Block und Stift?

Frey: Nicht einmal das. Das Partieformular und ein Stift sind erlaubt, aber man darf darauf nur die Züge aufschreiben. Der Weltklassespieler Wesley So hat sich vor ein paar Jahren einmal einen motivierenden Spruch oder ein Mantra auf ein zusätzliches Blatt Papier geschrieben - und wurde deswegen genullt.

SPOX: Eigentlich total trivial.

Frey: Es gab einmal einen Spieler, der betrogen hat, der ein vermeintlich ausgeschaltetes Handy mittels einer App über Morsezeichen hat kommunizieren lassen. Oder jemanden, der ein Handy in seinem Schuh hat vibrieren lassen. Aber natürlich sind auch schon Spieler mit dem Handy auf dem Klo erwischt worden. (lacht)

SPOX: Sie sind zusätzlich Vizepräsidentin beim badischen Schachverband.

Frey: Ja, ich bin dort unter anderem Frauenreferentin und im geschäftsführenden Präsidium aktiv. Ich organisiere Turniere, rede bei Fördergeldern mit, Mitgliedergewinnung, solche Sachen.

SPOX: Wie bekommt man denn mehr Spieler in die Vereine?

Frey: Wir versuchen zum Beispiel, Marketing-Konzepte anzuwenden oder unsere Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Es wird zwar viel Schach gespielt in Deutschland, aber das organisierte Schach geht zurück. Schulschach boomt total, aber die Kinder von der AG in den Verein zu bekommen, ist die Schwierigkeit. Es gibt mittlerweile kleine Ortschaften, die gar keinen Verein mehr haben. Aber wir haben in Deutschland ja ein generelles Vereinssterben.

SPOX: Ist der Verband eine Männerdomäne?

Frey: In Baden nicht. Aber Schach ist insgesamt leider sehr männerdominiert: Die Mädchen und Frauen machen nur sechs bis sieben Prozent der Vereinsmitglieder aus. Das ist traurig.

SPOX: Es bräuchte vielleicht einen deutschen Magnus Carlsen. Apropos: Carlsen ist jetzt seit Jahren die Nummer eins. Hat er sich in den letzten Jahren als Spieler verbessert? Was kann er denn machen, außer sich noch ein paar neue Eröffnungen einzuprägen?

Frey: Schwer zu sagen. Absolut kann man das nicht bestimmen, die ELO-Zahlen werden ja immer relativ zum Gegner ermittelt. Er wurde auf einer Pressekonferenz gefragt, welcher Spieler aus der Vergangenheit sein Vorbild ist. Die Antwort: Er selbst vor drei oder vier Jahren. Also geht er auch nicht davon aus, dass er noch genialer geworden ist.

SPOX: Aber die Spieler sind schon besser als ein Garry Kasparov vor 30 Jahren? Wieder der Vergleich zum Fußball: Da sind Spiele vor 40 Jahren deutlich langsamer, der Unterschied ist mit bloßem Auge zu erkennen.

Frey: Solche Fortschritte gibt es im Schach ganz klar auch, vor allem die Computer haben neue Ideen gebracht. Umgekehrt gibt es Varianten, die man nicht mehr spielen kann, weil die Engine Widerlegungen aufzeigt, die vorher keiner erkannt hat. Manche Varianten sind also "ausanalysiert", genauso wie gewisse Endspiele, etwa jeweils ein König mit zwei Bauern.

SPOX: Rechnet man damit, dass Schach in einer gewissen Zeit ausanalysiert sein wird?

Frey: Nein, dafür bräuchte man unvorstellbare Rechnerkapazitäten. Jede Figur lässt die Möglichkeiten ja exponentiell ansteigen.

SPOX: Aber meistens geht der Computerfortschritt auch sehr viel schneller, als man gedacht hätte. Beim chinesischen Spiel Go dachte man, dass die KI noch viele Jahre brauchen würde, um den weltbesten Spieler zu schlagen - und dann passierte es. Moment, bin ich schon matt?

Frey: Fast. Man rechnet in der Schach-Community zumindest nicht damit. Ich glaube auch nicht, dass es viel verändern würde. Es wäre ja unmöglich, alle Varianten im Kopf zu haben. Zur Not hätte man auch noch die Möglichkeit, Chess960 zu spielen.

SPOX: Was ist das?

Frey: Eine Schach-Variante, die von Bobby Fischer entwickelt wurde. Dabei werden die Figuren auf der Grundlinie rotiert, mit ein paar Einschränkungen. Das ergibt 960 neue Ausgangsstellungen. So, matt in eins.

SPOX: Moment ... Ich nehme mal stark an, dass Ihre Dame hierher zieht. Oder bin ich dran?

Frey: (lacht)

SPOX: Okay, es ist zumindest ein ganz anderes Spiel geworden als beim letzten Mal. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Frey: Wir hatten es ja eben von Varianten, die man nicht mehr spielt. Was Sie gespielt haben, heißt "verbrannte Leber": Sie hätten am Anfang meinen Bauern auf d5 nicht mit dem Springer schlagen dürfen.

SPOX: [betretenes Schweigen] Hätte ich das mal früher gewusst. Alles klar, dann vielen Dank für die erneute Lehrstunde und viel Spaß bei der WM. Vielleicht versuche ich es in zwei Jahren noch einmal.