Nach knapp 80 Tagen auf hoher See rund um die Welt, nach über 50.000 Kilometern Einsamkeit, Stürmen, haushohen Wellen und Eiseskälte entscheiden jetzt die allerletzten Meter. "Es kann noch viel passieren. Spannender geht es nicht", sagte Boris Herrmann über den Segel-Krimi bei der Vendee Globe. Als erster Deutscher könnte er dieses Spektakel gewinnen - und das gleich bei seinem Debüt. "Die letzten 20 oder 18 Stunden sind entscheidend", sagte der Hamburger.
Herrmann und Co. stehen im Finale dieses Mammut-Rennens vor der knappsten Entscheidung der Geschichte. Kurz vor dem Ziel in Les Sables-d'Olonne an der französischen Atlantikküste liegt der Hamburger gut 80 Seemeilen (etwa 150 km) hinter dem führenden Franzosen Charlie Dalin, mal ist Herrmann - in der Szene "Schakal" genannt - virtuell Dritter, am Dienstag rückte er sogar auf Rang zwei vor. "Das Ende ist wirklich noch sehr offen", sagte der 39-Jährige, der sich im Ziel darauf freut, seine Frau "in die Arme zu schließen" und den "Duft" von Kaffee wieder zu genießen.
Am Mittwochabend wird der Erste im Ziel erwartet - aber dieser muss nicht zwingend auch der Sieger sein bei diesem Traditionsrennen. Denn: Herrmann wird noch eine Zeitgutschrift von sechs Stunden abgezogen, weil er während des Rennens an der Rettung von Kevin Escoffier beteiligt war. Dies erhöht seine Chancen auf den ganz großen Coup. Als härtester Konkurrent um den Sieg gilt mittlerweile der derzeit fünftplatzierte Yannick Bestaven (Frankreich), dem sogar 10:15 Stunden gutgeschrieben werden.
Und weil die Spitze um Herrmann auf den letzten Metern ganz unterschiedliche Strategien und Routen wählt, ist der Ausgang dieses Thrillers auf dem Meer kaum vorherzusagen. "Wenn wir mit 20 Knoten segeln, sind es 80 Seemeilen in vier Stunden. Also kann Yannick 80 Meilen hinter mir sein und mich trotzdem schlagen", sagte Herrmann, dessen Vorsprung auf Bestaven am Dienstagnachmittag auf gut 210 Seemeilen schrumpfte.
Doch weil Bestaven, der das Rennen zwischenzeitlich auch schon angeführt hatte, auf einen gänzlich anderen Wind setzt, kann alles passieren. Und so wächst bei allen Beteiligten die Anspannung. "Ich bin im Schwarz-Weiß-Modus, schwanke dazwischen, mich selbst unter Druck zu setzen und es zu genießen", sagte Herrmann: "Alle meine Freunde und meine Frau sagen mir, dass ich den Druck nicht so an mich rankommen lassen soll. Dass alles gut ist. Es war ein unglaubliches Rennen, und ich soll nur mein Bestes geben und es genießen. Dann werden wir sehen." Jetzt entscheiden die allerletzten Meter.