Als Nummer 18 der WTA-Rangliste gestartet, am Ende nur noch die 72 - 2013 war für Julia Görges ein Seuchenjahr. Eine langwierige Handgelenkverletzung und 16 Erstrundenniederlagen inklusive stand am Ende eine Einzelbilanz von 16-26 zu Buche. Im SPOX-Interview spricht die 25-Jährige über einen Sommer unter Schmerzen, Lehren daraus und positives Denken. Außerdem verrät Görges, wie die Vorbereitung Down Under lief und was sie sich für 2014 vornimmt. In Auckland startete Görges jetzt erfolgreich in die neue Saison.
SPOX: Wir erreichen Sie in Melbourne, wie war Weihnachten Down Under?
Julia Görges: Wir haben mit der Familie von meinem Physio gefeiert. Am 24. Dezember gab es ein europäisches Weihnachtsfest, am 25. ein australisches.
SPOX: Haben Sie sich daran gewöhnt, ohne Ihre Eltern zu feiern?
Görges: Nein, ich vermisse meine Familie schon. Es ist erst das dritte Mal, dass ich nicht zu Hause feiere. Aber dadurch, dass wir hier Familienanschluss hatten, war es okay. Außerdem hatte ich hier in der Sonne gar nicht so das richtige Weihnachtsgefühl.
SPOX: Sie bereiten sich schon seit Anfang Dezember in Australien vor. Sind Sie bewusst früher ins Training eingestiegen?
Görges: Das nicht, aber ich bin bewusst früh hier herübergekommen. In den letzten Jahren war ich gesundheitlich immer sehr strapaziert von dem langen Flug, deshalb bin ich in diesem Jahr früher geflogen und habe beschlossen, mich in Melbourne vorzubereiten. Mein Physio kommt aus dieser Stadt, deshalb passt das sehr gut.
SPOX: Wie läuft das Training?
Görges: Es läuft alles sehr gut. Es dauert immer ein paar Tage, bis ich mich eingewöhnt habe, mit der Zeit, mit dem Flug, das sind ja schon einige Strapazen. Aber ich bin froh, dass ich so früh hier bin. Es ist wichtig für mich, hier in der Sonne zu trainieren, mich zu akklimatisieren, weil das doch ein wenig Zeit braucht. Die Bedingungen hier sind super, es gibt alles an Fitness, Plätzen und Wetter, was man in Deutschland gerade nicht hat.
SPOX: Wie sehen Ihre Tage derzeit aus, hatten Sie überhaupt schon einen Schläger in der Hand?
Görges: Ja, wir trainieren auf der Anlage, auf der die Australian Open stattfinden. In den ersten Tagen lief es natürlich noch ein wenig dosiert, um den Körper zu schonen. Aber inzwischen gebe ich richtig Gas, mit längeren Trainingseinheiten bis zu drei Stunden am Stück, dazu meine Fitnessprogramme, Läufe und Physiobehandlung.
SPOX: Sie sind jetzt schon seit neuneinhalb Jahren Profi. Haben Sie da immer mal wieder das Gefühl, etwas ändern zu müssen?
Görges: Es geht. Richtig konstant auf der WTA-Tour und den großen Events spiele ich erst seit vier, fünf Jahren. Und das immer mit dem gleichen Team, weil es einfach gut funktioniert. Ich habe eigentlich nie das Gefühl gehabt, viel ändern zu müssen.
SPOX: Sie meinten nie, Sascha Nensel sei nicht mehr der richtige Coach?
Görges: Nein, ich habe wahnsinnig viel von ihm gelernt. Auch durch die Zusammenarbeit mit Ihm und unserem Team bin ich immer höher geklettert und habe mich konstant weiterentwickelt. Wenn da jetzt mal ein Jahr dabei ist, das nicht so zufriedenstellend läuft, ist das für mich kein Grund, daran etwas zu verändern. Ich glaube an unsere Arbeit.
SPOX: Schauen wir mal auf das vermaledeite letzte Jahr zurück: Seit wann ist das Handgelenk wieder so richtig in Ordnung?
Görges: Schmerzfrei bin ich seit den US Open. Das hat seine drei, vier Monate gedauert. Jetzt war ich noch einmal zu einem Checkup: Es ist alles gesund und verheilt, auch die Knochen sind okay.
SPOX: Was genau war passiert?
Görges: Ich habe im Mai in Brüssel vor den French Open einen Kapseleinriss erlitten. Das ist ein bisschen unglücklich passiert, bei einem Match bei acht Grad Celsius. Ich hatte zwei Spiele an diesem Tag, weil es drei Tage durchgeregnet hatte.
SPOX: Haben Sie die Situation noch genau vor Augen?
Görges: Ja, meine Gegnerin spielte einen Ball ins Halbfeld und ich traf ihn mit dem Rahmen. Da habe ich im Handgelenk schon etwas gespürt, aber weil es so kalt war, empfand ich es als nicht weiter tragisch, ich dachte, das geht schon wieder weg. Aber genau einen Punkt später setzt sie den Aufschlag auf die Linie, ich schwinge voll durch und treffe den Ball wieder nur am Rahmen. Da war es passiert, ich konnte meinen Schläger nicht mehr halten.
SPOX: Das klingt, als sei das Malheur ausgerechnet bei einer Vorhand passiert...
Görges: Genau.
SPOX: Das ist der Schlag, auf den Sie in Ihrem Spiel am meisten vertrauen müssen. Gelingt es Ihnen inzwischen, den Kopf in Bezug auf das Handgelenk vollkommen auszuschalten?
Görges: Ich habe die ganze Zeit mit einem Tapeverband gespielt, der das Gelenk geschützt hat. Es ist schon so, dass dieses Tape mich immer daran erinnert hat, da war ja mal was. Ich hatte es im Hinterkopf und mir eine Schutzhaltung angeeignet. Jetzt, nach den fünf Wochen Pause vor der neuen Saison, kann ich ohne Tape spielen, was ein Riesenvorteil für mich ist. Das Gelenk war auch vorher schon gesund, aber jetzt ist es auch im Kopf angekommen.
spoxSPOX: Die fünfwöchige Pause zuletzt war also vor allem mental wichtig...
Görges: Definitiv. Ich kann wieder normal aus dem Handgelenk spielen und den Schläger auch ohne Zurückhaltung gehen lassen. Es ist wichtig für mich zu sehen, dass die Qualität wieder da ist, wenn ich viele Bälle schlage.
SPOX: Nachdem sich der Heilungsprozess so lang hingezogen hat, würden Sie im Nachhinein sagen, Sie haben die Verletzung unterschätzt?
Görges: Nein. Ich hatte ja Pause gemacht, zwei Wochen überhaupt nicht gespielt, aber es wurde immer schlimmer. Ich konnte nicht mal mehr ein Glas halten, geschweige denn im Auto schalten. Das war sehr erschreckend, denn ich dachte immer, durch Nichtstun würde es besser werden. Ein Handgelenkspezialist hat mich aufgeklärt: Bei dieser Diagnose ist es so, dass das Handgelenk steifer wird und man mehr Schmerzen bekommt, wenn man nichts macht. Ich musste also weiterspielen und gleichzeitig die Physiotherapie und Behandlungen absolvieren, damit alles schön geschmeidig bleibt.
SPOX: Sie spielten also den Sommer unter Schmerzen durch...
Görges: Das war das Problem. Der Spezialist sagte mir auch, wenn ich am Jahresende immer noch Schmerzen hätte, würde er gern operieren. Das ist Gottseidank nicht der Fall, denn es hieß, dabei würde man mehr kaputtmachen als heilen.
SPOX: Haben Sie Ihre Technik ändern müssen?
Görges: Nein, gar nicht. Es war im Gegenteil so, dass ich nach der angewöhnten Schutzhaltung zu meiner Technik zurückfinden musste.
Seite 2: Görges über ihr Doppel, Twitter und Bayern München
SPOX: Es gab 2013 wenige Highlights für Sie, aber die Australian Open gehörten definitiv dazu. Mir ist dieser erste Satz im Achtelfinale gegen Na Li in Erinnerung geblieben, dieses ärgerliche 6:7. Da waren Sie lange Zeit die klar bessere Spielerin. Wie gehen Sie mit solchen Niederlagen um?
Görges: Hmm, ich habe im Jahr davor auch das Achtelfinale gespielt und kein tolles Match abgeliefert. Für mich war es erstmal gut zu sehen, dass ich diesmal dichter an einem Grand-Slam-Viertelfinale dran war. Das war das Positive. Auch aus der Art, wie ich durch die Matches gekommen bin, habe ich Erfahrungen mitgenommen.
SPOX: Macht Sie das nicht wahnsinnig auf dem Platz, wenn Sie genau wissen, bis eben kam die Vorhand überragend, jetzt schaltet sich der Kopf ein und es wackelt der Arm?
Görges: Klar, man denkt, den Ball kann ich nachts um zwei reinspielen. Das ist von außen leicht zu sagen, ich sehe das ja auch bei anderen Spielern und denke mir, das hätte jetzt nicht sein müssen. Aber an solchen Erfahrungen wächst man. Je schlimmer die Situation, in der einem so etwas passiert, desto abgeklärter wird man. Bei dem Turnier habe ich jedenfalls mehr Positives als Negatives mitnehmen können.
SPOX: Das heißt aber nun auch, dass es in Melbourne 2014 für Sie gleich mal ordentlich Punkte zu verteidigen gibt. Setzt Sie das unter Druck?
Görges: Weniger, für mich fängt das Jahr von Null an. Ich mag das Wort verteidigen nicht. Klar, man meldet mit dem Ranking, das man hat, und möchte bei gewissen Events dabei sein. Aber das Punktesammeln dauert das ganze Jahr. Bei uns gibt es nicht nur Olympia und Weltmeisterschaften, wir können jede Woche ein Turnier spielen. Wenn man gut genug ist, erreicht man seine Ziele und zieht Kraft daraus. Das hängt aber nicht von einem Achtelfinale in Australien ab. Vorher spiele ich zwei Turniere, da kann ich genauso Punkte sammeln. Für mich ist es wichtig, mich weiterzuentwickeln.
SPOX: Sie haben Ihr Ranking angesprochen. Vor einem Jahr waren Sie 18., jetzt sind Sie die Nummer 72 der Welt. Sie werden womöglich ein paar Mal in die Qualifikation müssen. Ändert sich dadurch Ihre Turnierplanung?
Görges: Ich werde bei größeren Turnieren Quali spielen müssen, aber ich sehe das nicht als Nachteil. Qualifikanten kommen immer wieder weit. Wenn du die Qualität hast, spielst du dich da durch. Ich finde es auch keine Schande, mal kleinere Events zu spielen, die sind schwierig genug zu gewinnen.
SPOX: Schon vor Ihrer Verletzung lief es im letzten Frühjahr nicht mehr rund für Sie. Sie verloren Matches beispielsweise gegen Spielerinnen wie Johanna Larsson, Stefanie Vögele... Nicht, dass das keine talentierten Spielerinnen sind, aber was lief in dieser Phase schief?
Görges: Naja, eine wie die Steffi Vögele könnte eigentlich viel höher stehen, sie ist sehr talentiert und hat nach mir auch eine Wozniacki geschlagen. Leider gehen die Leute immer sehr schnell vom Ranking aus. Aber daran sieht man, was die Topspielerinnen leisten, wenn sie sich über Jahre da oben halten. Es ist schwierig, gegen eine Nummer 50 oder 100 zu gewinnen. Alle können Tennis spielen. Für mich ist es immer einfacher, gegen einen größeren Namen zu anzutreten, weil ich dabei nichts zu verlieren habe. Die Großen müssen fast jedes Match gewinnen und sind immer der Favorit. Das ist definitiv ein Punkt, an dem ich mich verbessern kann und muss.
SPOX: Wie arbeiten Sie daran?
Görges: Ich glaube, man muss sich unabhängig vom Gegner machen. Es geht darum, sein Level konstant das Jahr über zu halten. Das ist gar nicht so sehr eine mentale Frage. Wichtig ist, das eigene Spiel durchzuziehen, egal gegen wen, wann und wo.
SPOX: Als Sie auf den Hartplätzen im Sommer noch von der Verletzung gehandicapt waren, hieß es häufig, im Training läuft es eigentlich immer besser. Wie schwierig ist es, das im Match auf den Court zu bringen?
Görges: Eben sehr schwierig. Manche Spieler sind Trainingsweltmeister, weil alles einfacher ist. Weniger Druck, weniger Adrenalin, man denkt weniger. Deswegen gibt es so wenige Leute an der Spitze.
SPOX: Haben Sie die Erstrundenniederlagen noch gezählt?
Görges: Nein, wenn ich nicht positiv bleibe, kann ich es gleich vergessen. Es gibt Schlimmeres, als dieses Jahr 2013. Solche Phasen machen Sportler auch stärker. Viele Leute würden davon träumen, in den Top 100 zu stehen. Nichts passiert ohne einen Grund, wir werden sehen, wofür es gut war.
SPOX: Um ihre gerade Vorhand beneiden Sie sicher viele Kolleginnen. Wenn sie kommt, ist es eine echte Waffe. Warum ist sie andererseits auch so anfällig?
Görges: Ich bin ein aggressiver Spieler. Ich werde immer mehr Fehler machen, als Leute, die den Ball eher reinspielen und mehr laufen. Ich habe die Gabe, von überall auf dem Platz den Punkt zu machen. Aber ich arbeite natürlich daran, konstanter zu werden. Ich muss ja den Winner nicht immer mit dem ersten oder zweiten Ball machen, sondern kann den Punkt gewissenhaft aufbauen. Da gehören natürlich die Beine dazu, denn sobald ich mich gut bewege, kommen die Schläge zu 99 Prozent.
SPOX: Welche Rolle spielt Fitness im heutigen Spitzentennis?
Görges: Der Anteil ist sehr groß. Es gibt Athleten, bei denen das Spielerische nicht unbedingt zum hohen Ranking passt. Die setzen sich eben nicht mit großartigen Schlägen durch, bringen aber Fitness, Beinarbeit und das Mentale zusammen. Talent reicht halt nicht mehr in unserem Sport.
SPOX: Sie werden auch 2014 wieder mit Barbora Zahlavova-Strycova ein festes Doppel bilden. Habe Sie keine Angst, dass die Belastung zu stark wird?
Görges: Nein, mir persönlich bringt es fürs Einzel sehr viel. Man spielt viel Aufschlag und Return, mein Volley ist viel, viel besser geworden. Ich habe viel mehr Übersicht, wenn ich im Einzel ans Netz gehe. Und ich kann ein Doppel mit zwei Sätzen und Matchtiebreak als Einheit nutzen. Training unter Matchbedingungen bekommt man sonst nicht. Wenn ich im Einzel mal sehr weit spiele, gibt es die Doppelbelastung, okay. Aber dafür trainiere ich auch.
SPOX: Sie haben einen Twitteraccount, verzichten aber auf Facebook. Täuscht der Eindruck, dass Sie zuletzt in den sozialen Netzwerken weniger aktiv waren?
Görges: Weniger aktiv bin ich eigentlich nicht. Mir ist es wichtig, wirklich etwas zu berichten zu haben, das die Leute interessiert. Das war im Urlaub eben nicht so viel. Ich bin keine, die twittert, um zu twittern.
SPOX: Was man auf Twitter sehr schnell erfährt: Sie sind ein großer Bayern-Fan - wie konnte das einem Nordlicht wie Ihnen passieren?
Görges: Meine Mama ist Fränkin, aber das ist vermutlich auch keine gute Erklärung. (lacht) Ich verfolge die Bundesliga seit ungefähr zehn Jahren und finde einfach, dass die Bayern sehr attraktiven Fußball spielen. Ich bin aber auch ein großer Biathlon-Fan.
Julia Görges im Steckbrief