Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985: "Ich haue einfach drauf"

Der Moment des Glücks: Becker reißt die Arme hoch - er ist Wimbledonsieger!
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Curren: Blitze wie von Zeus

7. Juli 1985. Wimbledon-Finale der Herren. Elf Millionen Deutsche fiebern vor dem Fernseher mit, als Becker den Court betritt. 17 Jahr, rotblondes Haar. Hochgezogene Socken, kurze Hosen, Ellesse-Tennishemd, darüber der klassische Becker-Pullunder, den er im Laufe des Matches ablegen wird. Eine Handvoll Puma-Schläger dabei, mit denen er an diesem Nachmittag 21 Asse servieren wird. Eine Kette von seiner Mutter um den Hals, an der er ab und zu knabbert.

Hinter ihm kommt Curren. 27 Jahre alt, groß, drahtig, Nummer Acht der Welt, Favorit. Auch in seiner Heimat Südafrika bangt man vor den Bildschirmen. "Wenn Becker gegen Curren antritt, wird der Youngster aus Westdeutschland gegen einen Mann kämpfen, der mythische Ausmaße angenommen hat, er lässt es Asse und Service Winner regnen, als schleudere Zeus Blitze aus dem Olymp hinab", tönte die amerikanische Zeitung The Day. Curren nimmt den noch aufsteigenden Ball beim Service extrem früh, spielt giftige Winkel, ist kaum zu lesen.

"Was für'n Schwächling!"

Einmal hatten er und Becker schon miteinander trainiert, im März 1985. Gesprochen wurde in den 90 Minuten kaum. "Als ich auf den Platz ging, war es sehr heiß. Die Bälle werden schnell fliegen, dachte ich. Becker habe ich kaum angesehen. Mir fiel nur einmal mehr auf, wie groß und muskulös er ist", sagt Curren später der Welt. Becker legt es seinerseits darauf an, gesehen zu werden. Er setzt auf psychologische Kriegsführung - und sei es nur, um sich selbst zu pushen.

"Man sieht hier, ich überhole Curren beim Gang auf den Platz, das war mir wichtig, da schon Entschlossenheit zu zeigen, vor meinem Gegner den Platz zu betreten", erklärt er, als er sich das Finale 2010 zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre noch einmal anschaut. "Kevin Curren hat die Wahl gewonnen, und ich habe mir noch gedacht, warum wählt denn der damals weltbeste Aufschlagspieler Rückschlag - was für'n Schwächling!"

Wie ein Rennpferd am Start

Um 14:09 Uhr geht es los. Becker spielt seine Spielchen, geht beim Seitenwechsel demonstrativ auf Konfrontationskurs, unterbricht beim Aufschlag des Gegners. Etikette? Da wird gejammert und gemosert, nicht so publikumswirksam wie ein McEnroe, aber eben doch hörbar. Da fliegt er auch schon mal mit seinem patentierten Becker-Hecht in den Dreck und trägt den Staub des ausgetretenen Centre Courts wie ein Ehrenabzeichen.

"Ich bin ins Match gegangen und dachte: Er ist 17. Wenn ich mein Spiel spiele, dann wird er sich selbst zerstören. In diesem Alter wird er den Druck spüren und sein Level nicht für vier Stunden halten können." Curren ist sich seiner Sache sicher. Schließlich hatte Becker in der Trainingsstunde mindestens so viele dämliche Fehler ausgepackt wie gute Schläge.

Dazu kommt es aber nicht. "Angst spüre ich keine", so Becker. "Ich fühle mich eher wie ein Rennpferd in der Startmaschine." Der Aufschlag kommt, wie "Raketen der Wehrmacht" (danke, englische Presse!). 6:3 geht der erste Satz an Becker. Nicht mehr weit bis zur persönlichen Mondlandung.

"Was hat der Junge doch für Nerven!"

Doch die 13.118 Zuschauer - in Boschs Buch sind es 14.433 - auf den Sitzen müssen noch ein paar Stunden ausharren - kampflos gibt sich sein Gegner nicht geschlagen. 4:2 führt Becker schon im Tiebreak des zweiten Durchgangs, dann legt Curren fünf Punkte in Folge auf. Rückhand-Return cross auf die Linie, bei Satzball die glatte Rückhand als Passierball die Kreide runter. Alles wieder offen. Zu diesem Zeitpunkt ist sich Curren sicher: Ich habe ihn!

Becker kämpft in Satz drei mit seinem Spiel. Er schreit, schmeißt den Schläger, beleidigt sich selbst als "Dummkopf" und "Vollidiot". Auf der Tribüne raucht Tiriac die x-te von insgesamt drei Schachteln Zigaretten. Doch Curren kann die sich ihm bietende Chance nicht nutzen. "Auf dem Weg ins Finale habe ich furchtlos gespielt, so wie Becker gegen mich. Aber im Finale spielte ich mit ein bisschen Furcht - damit meine ich defensiver als sonst", lamentiert er rückblickend auf Wimbledon.com.

Bei Break vor für ihn im dritten Satz ist er am Netz nicht zwingend genug, verschlägt einen Smash. Becker kommt zurück: Starker Return, danach die Rückhandpeitsche! 4:4! Da kommt es wieder, das Tippeln, die Becker-Faust, die "Becker-Säge". Er vergibt Satzbälle gegen Currens Aufschlag, der mittlerweile nach Fehlern auch lautstark vor sich hinflucht. Wirft sich gar an der Grundlinie nach den Volleys seines Gegenspielers.

Es hilft nichts. Tiebreak. Die komplette rechte hintere Seite des Shirts von Becker ist braun von Schmutz, er ist eins mit dem Centre Court. Und so spielt er auch. Brutale Aufschläge, enorme Laufleistung in der Defensive. Und plötzlich wirkt Curren unbeholfen am Netz, macht leichte Fehler. Sechs Satzbälle Becker. Er vergibt gleich drei, schließlich die Vorhand vor die Füße des heranrückenden Curren. 7:6! "Ja!" schreit der sonst so zurückhaltende Kommentator Gerd Szepanski ins Mikrofon. "Was hat der Junge doch für Nerven!"

Boris Becker am Ziel

Und diese Nerven hat Curren nicht. Seine stärkste Waffe, sein Aufschlag, verlässt ihn. Zu nur 48 Prozent kommt das Service beim ersten Versuch, dazu acht Doppelfehler und 21 Fehler am Netz. "Curren konnte keinen Druck machen", weiß DTB-Teamchef Niki Pilic. Beckers Aufschlag steht über das gesamte Match bei 61 Prozent. Er verzeichnet mehr Passierschläge, mehr Smashes, mehr Return-Winner. Frühes Break zum 1:0 im vierten Satz - das Match ist entschieden.

"Ich konnte jetzt in der Schlussphase seine stärkste Waffe, den Aufschlag, lesen", erinnert sich der spätere Sieger. Nur beim Stand von 5:4, 40:15 wird es noch einmal spannend. Doppelfehler! Nerven! Die Herzogin von Kent schlägt die Hände vors Gesicht, liebe Güte, Mutter Elvira packt den Fotoapparat noch einmal weg. Boris: "Ich habe einfach nur gebetet: Gott, gib mir den ersten Aufschlag."

Also noch einmal konzentrieren. Ball und Schläger vor dem Körper angelegt, ein langer Blick über das Netz zum Gegner, die Zunge spielt leicht um die Lippen, unbewusst. Die wippende, schaukelartige Bewegung kommt erst später dazu. Dann der runde Ballwurf mit der linken Hand, die goldene Uhr am Handgelenk blitzend. Oben ist der weiße Ball - gelb werden die Filzkugeln erst 1986 - der Oberkörper überstreckt, Brust raus, es hat etwas Majestätisches.

Und dann der Moment, der ihn unsterblich machte. "Ich haue einfach drauf."

 

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