Der bis Tokio letzte Auftritt auf asiatischem Boden war ein Denkwürdiger - im negativen Sinne. Beim neu eingeführten Saison-Finale für Spielerinnen der Weltranglistenpositionen neun bis 19 vergangenen November im chinesischen Zhuhai kassierte Andrea Petkovic im zweiten Gruppenspiel gegen die Spanierin Carla Suarez-Navarro mit 0:6 und 0:6 zum ersten Mal in ihrem Leben die Höchststrafe - das traurige Ende einer verkorksten Saison.
Anschließend folgte das fast schon berüchtigte Interview mit der offiziellen Seite der WTA-Tour, in dem die damals 28-Jährige intensiv über ein Karriereende philosophierte und erstaunlich tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewährte.
"Ich hasse derzeit mehr Teile meines Jobs, als ich andere mag. Als ich zu Hause war, habe ich mich wirklich glücklich gefühlt. Aber ab jener Minute, als ich wieder auf die Tour zurückgekehrt bin, war ich irgendwie deprimiert. So deprimiert, dass ich eigentlich überhaupt nicht aus dem Bett kommen wollte", hatte Petko gesagt: "Ich habe gefühlt, dass es das erste Jahr war, in dem ich Zeit für andere Dinge verloren habe, weil ich Tennis spiele. Das hat sich angefühlt wie Folter." Es waren Aussagen, die danach tagelang durch die Medienlandschaft schwappten.
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Erfolg nicht gleich Lebensfreude
Aussagen, die deutlich machten, wie sehr die ehemalige French-Open-Halbfinalistin wohl unter Erlebnissen in ihrem beruflichen und privaten Umfeld litt. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Nachgang des Interviews von einer Erkrankung der Mutter, die mit der restlichen Familie im heimischen Darmstadt lebt.
Wohl einer der Gründe, warum die in Tuzla (Bosnien-Herzegowina) geborene deutsche Fed-Cup-Spielerin trotz prächtigen Saisonstarts - Turniersieg in Antwerpen, Rückkehr in die Top Ten - sportlichen Erfolg nicht in Lebensfreude umzumünzen vermochte.
Sie wollte einfach nur zu Hause bei der Familie sein. "Aber weil ich Profi bin, habe ich einfach weitergemacht mit dem Training und all den Dingen, die zu tun waren", rechtfertigte sich Petkovic damals, nach dem die Erfolge ausgeblieben waren.
Sportliche Neuausrichtung nach ungewöhnlicher Auszeit
Es folgte eine sportliche Auszeit in New York: Der Freigeist Petkovic, der einst die elfte Klasse übersprang und parallel zur Tenniskarriere via Fernstudium Politikwissenschaft studiert, wanderte durch Museen, verbrachte aber auch viel Zeit "in schäbigen Bars".
Es waren Einblicke, die sie der Süddeutschen Zeitung kurz vor den Australian Open 2016 gewährte. Zuvor hatte sie intensive Gespräche mit Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner geführt und richtete sich sportlich neu aus, indem sie den sich mit schwierigen Charakteren auskennenden Jan de Witt als Trainer für größere Turniere engagierte. Ansonsten wird sie vom Belgier Simon Goffin begleitet.
"Ich hatte nach Ende der Saison Zweifel, ob ich den Spaß am Tennis, die Liebe am Tennis wiederfinde", sagte sie rückblickend auf die Zeit nach dem Saisonabschluss 2015: "Irgendwann schließen sich Türen. Und das wurde mir bewusst. Ich werde keine Ärztin mehr! Keine Anwältin! Kein Studentenleben führen!" Mit Tennis, dies sei ihr bewusst geworden, schaffe man nichts Bleibendes.
Dennoch startete sie neu motiviert und mit Zuversicht in ihre elfte Profisaison - trotz der privaten Probleme, trotz dreier schwerer Verletzungen seit ihrem Erfolgsjahr 2011 und trotz des Vorurteils, mental nicht stark genug für entscheidende Momente auf dem Platz im Profitennis zu sein.
Nach Doha gehts bergab
Dem Erstrundenaus bei den Australian Open ließ sie zwei starke Auftritte in Dubai (Viertelfinale) und Doha (Halbfinale) folgen. Bei letzterem schlug sie unter anderem Garbine Muguruza, musste aber im Halbfinale wegen einer Oberschenkel-Verletzung aufgeben. Doch es war der erste Sieg gegen eine Top-Fünf-Spielerin seit September 2013 und - was Anfang dieses Jahres nicht absehbar war - es blieb der Einzige im bisherigen Kalenderjahr.
Nach der auskurierten Blessur folgten drei Auftakt-Niederlagen auf Hartplatz in den USA. Während der darauffolgenden Sandplatz-Saison kam die Rechtshänderin nicht einmal über die zweite Runde hinaus - ihr liebstes Grand-Slam-Turnier in Paris, wo sie 2014 das Halbfinale erreichte, mit eingeschlossen.
Auf ungeliebtem Rasen erreichte sie in Eastbourne immerhin das Achtelfinale, in Wimbledon war wieder nach dem zweiten Einzel Schluss. Seit der Rasen-Saison hat sie keine zwei Spiele mehr in Folge für sich entscheiden können, bei Olympia folgte das Aus direkt zum Auftakt. Zuletzt war bei den US Open in Runde zwei Endstation gegen die von einer Verletzung zurückgekehrten Belinda Bencic.
Spaß zurück dank neuem Trainer - Erfolg noch nicht
Zuvor hatte Petko sich nach ihrem schwer erkämpften Auftaktsieg gegen die slowakische Qualifikantin Kristina Kucova in der Pressekonferenz noch optimistisch geäußert und von spielerischen Fortschritten gesprochen: "Der Spaß am Sport ist wieder da."
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Zu verdanken hat sie das auch ihrem Trainer Jan de Witt, der sich in den vergangenen Jahren mit der Breakpoint-Base-Tennis, die jetzt am Gerry Weber Sportpark angegliedert ist, eine Existenz aufgebaut hat. Der 51-Jährige verhalf dem längst abgeschriebenen Rumänen Andrei Pavel, einst Nummer eins der Junioren, im Jahr 2004 mit Rang 13 zum Karriere-Highlight, und betreut den Franzosen Gilles Simon. Bis Ende 2015 war er auch für Gael Monfils zuständig - ebenfalls keine einfachen Charaktere.
Experten attestierten dem Duo Petkovic/de Witt bereits im Sommer gute, intensive Arbeit. Doch Fortschritte blitzen lediglich in einzelnen Sätzen auf. "Ich erwarte viel mehr von mir, aber es ist das erste Mal, dass ich noch an mich glaube, während alle um mich herum den Kopf verlieren", erklärte sie nach dem Aus in New York.
Endet die innerliche Achterbahnfahrt?
Ihren Trainer nahm sie von dieser Kritik explizit aus. Ihre harte Arbeit schlage sich zwar noch nicht in Ergebnisse nieder: "Aber ich liebe Tennis und warte darauf, dass diese Liebe irgendwann erwidert wird." Vom Kater der vergangenen Saison, erklärte sie, habe sie sich eben nur langsam erholt.
Nach den US Open feierte Petko ihren 29. Geburtstag. Innerhalb nicht mal ganz eines Jahres hat sie den Sport also einmal verflucht, abgeschossen, um dann die Liebe am Tennisspielen wieder zu entdecken.
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Um die Schwankungen zu verstehen, hilft ein Blick in ein älteres FAZ-Interview, in dem sich Petkovic als "Disziplin-Tier" bezeichnet, das alles in Form presse und nicht nach links und rechts schaue. Andererseits treffe sie sich oft mit Intellektuellen, "die sich aus Regeln gar nichts machen". "Dass ich diese beiden Seiten nicht vereinen kann, ist der rote Faden in meinem Leben, der mich immer wieder entzweit", sagte sie damals.
Ob die Weltranglisten-45. das privat mittlerweile geschafft hat, kann und wird nur sie wissen. Auf den Tennis-Plätzen dieser Welt ist ihr das dieses Jahr nachhaltig noch nicht gelungen. Will sie aber langfristig - und Petko hat nach der Erfahrung Olympia unlängst angekündigt, Tokio 2020 als Fernziel auf der Rechnung zu haben - nochmal in die erweiterte Weltspitze zurückkehren, muss sie diese Balance finden. Die Grundschläge dafür hat sie, die körperliche Voraussetzung sowieso.
"Man kann nicht erwarten, dass ich direkt wieder in die Top Ten durchstarte", sagte Petkovic auf ihrer Abschluss-PK in New York und übte sich in Gelassenheit: "Ich bin völlig ruhig und glaube, dass ich die Leute noch überraschen kann."
Die WTA-Weltrangliste