Was machen Sachen, Novak?

Jannik Schneider
06. Dezember 201616:16
Wohin führt der Weg von Novak Djokovicgetty
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Die Klatsche bei den ATP-Finals gegen Andy Murray zeigt beeindruckend deutlich, dass es für Novak Djokovic alles andere als einfach ist, seine Form wiederherzustellen und - zumindest was die letzten Prozent betrifft - abzurufen. Was ist seit dem French-Open-Titel vor fünf Monaten eigentlich geschehen - warum genügt der Djoker nicht mehr allerhöchsten Ansprüchen, die Murray momentan an ihn stellt?

Novak Djokovic wird ab dem kommenden Tennisjahr eine eigene Realityshow erhalten, die ein internationaler Streamingdienst auch in Deutschland ausstrahlen wird. Dabei sollen der Serbe und sein Team in der Serie "Novak" während der kompletten Zeit auf der Tennistour 2017 von einem Kamerateam begleitet werden. Der Djoker als gläserner Profi. Diese Meldung platzte Anfang September.

Die Idee, die Planung und die vertragliche Festhaltung der Show wurden wohl früher im Jahr 2016 festgehalten. Da befand sich der serbische Volksheld noch in einem gefühlten Allzeithoch. Im Juni vervollständigte er mit dem Sieg über Andy Murray bei den French Open den Karriere-Grand-Slam. Nach vier Grand-Slam-Titeln in Folge war für viele Experten sogar der Golden-Slam ein realistisches Unterfangen.

Doch seit dem strahlenden Erfolg auf dem roten Sand von Paris hat der 29-Jährige vor allem abseits des Platzes für Aufsehen gesorgt und zusätzlich einige herbe sportliche Niederlagen einstecken müssen. Komprimiert wären bereits genug Anekdoten für quotenstarke Staffeln dabei gewesen. Schön blöd, wird sich vielleicht der eine oder andere Macher der Realityshow heimlich denken, dass die Verfilmung erst 2017 beginnt.

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Die erste Folge hätte sich sicherlich den Dingen gewidmet, die sich in Djokovics Team rund um den heiligen Rasen von Wimbledon abspielten. Zur Verwunderung der allermeisten Fans und Experten scheiterte der damalige Weltranglistenerste bereits in Runde drei an Sam Querrey. Gut, eine sportliche Niederlage alleine reicht nicht, um ein breites Publikum vor den Bildschirmen zu fesseln. Vielmehr beschäftigten jedoch die Nebengeräusche, die das Ausscheiden auf mysteriöse Art und Weise begleiteten.

Öffentliche Becker-Kritik und private Probleme

Zum einen wären da die erstaunlich scharfe, aber vor allem öffentliche Kritik seines Trainers Boris Becker nach dem Aus des Titelverteidigers: "Nach Paris haben alle Novak gratuliert. Das hat er dann wohl etwas zu sehr genossen und dann die Vorbereitung vernachlässigt." Djokovic selbst bewahrte die Etikette und antwortete öffentlich nicht auf die Aussagen seines Coaches.

Wahrscheinlich, weil der Serbe über gute Manieren verfügt. Vor allem wohl aber, weil den Serben zu jenem Zeitpunkt private Probleme mehr beschäftigten. Dies gab er Wochen später am Rande einer Pressekonferenz bei den US Open offen zu. Detailgetreuer wurde die Gazzetta dello Sport, die von einer handfesten Ehekrise im Hause Djokovic erfahren haben wollte. Demnach soll Frau Jelena ihrem Mann angedroht haben, ihn mit ihrem gemeinsamen Sohn zu verlassen.

Das Aus in Wimbledon bedeutete aus sportlicher Sicht den jähen Abschied vom Golden Slam. Über die privaten Angelegenheiten verlor das Team kein Wort. Wie sich das für eine gute Show gehört, hätte es in einer der nächsten Ausstrahlungen zwischenzeitlich sogar ein kleines Hoch gegeben. Der Djoker setzte sich beim Masters-Turnier in Kanada die Krone auf und überzeugte mit fehlerfreiem Baselinetennis. Alles also wieder gut?

Drama in Rio - Verletzung in New York

Doch im Stile eines Staffelfinales ging es in Rio de Janeiro hochdramatisch zu. Körperliche Probleme ließen den Djoker mit ungewohnter Schwerfälligkeit im Juli über die Trainingsplätze bei Olympia schlürfen. Die Schulter machte ebenso Probleme wie der Ellenbogen sowie eine Zehenverletzung. Juan Martin del Potro kämpfte den Serben in der Auftaktrunde nieder. Djokovic, der wiederholt betont hatte, wie wichtig ihm Olympia sei, verließ unter Tränen den Platz.

Die körperlichen Verschleißerscheinungen wären dem TV-Zuschauer auch in der Folge nicht verwehrt geblieben. Sie setzten sich auch im August bei den US Open fort. Doch Djokovic selbst verlor kein Wort darüber. In dieser Folge wäre sein Trainer zum "Goodguy" aufgestiegen. Denn dieses Mal war es Becker, der sich nach lauterwerdender Kritik der Medien vor seinen Schützling stellte und ihn ob der Beschwerden verteidigte.

Ansatzweise romantisch wurde es ebenfalls: In Flushing Meadows kehrte Jelena Djokovic in die Box zurück und unterstützte ihren Gatten, der sich trotz der Beschwerden ins Finale vorspielte. Doch Stan Wawrinka erwies sich am Finalabend als spielerisch und körperlich stärker.

Lustlos-Aussage wird zum Boomerang

Unerwartet interessant verlief die vierwöchige Spielpause aufgrund eines vielbeachteten Interviews des Branchenprimus' im Schweizer Blick. Dort ließ er verlautbaren, nach dem Titel in Paris schlichtweg die Lust am Tennis verloren zu haben. "Ich habe einen riesigen Druck verspürt, der abgefallen ist. Deswegen habe ich die Lust etwas verloren." Auch zu seinen Verletzungsproblemen äußerte er sich: "Die Müdigkeit beschäftigt mich. Mein Körper ist nicht mehr derselbe wie mit 20. Die vielen Jahre auf dem höchsten Niveau haben ihren Preis."

Die Medienlandschaft nahm die Motivationsprobleme naturgemäß dankend auf, die Nachricht beherrschte weltweit die Schlagzeilen. Es traf das Team des Djokers wie ein extrem früh genommener Return eines seiner härtesten Konkurrenten und drängte es in die Defensive.

Eine ganz eigene Folge hätten die Showmacher wohl dem Thema Yoga widmen müssen. Denn inmitten all dieser Baustellen tauchte ein Youtube-Video auf, das den Serben in einer Meditationsrunde von Pepe Imaz zeigt, dem Inhaber der spanischen Tennisschule in Marbella. In diesem hält der Serbe auch eine Art Motivationsrede. Dem ein oder anderen Berichterstatter war da zu viel Hokuspokus dabei.

Der Djoker in der Schublade

Der Djoker meditiert bereits seit Jahren, Yoga ist fester Bestandteil in seinem Trainingsprogramm. Dass er der visuellen und esoterischen Komponente generell große Bedeutung beimisst und auf diesem Weg seine größten Erfolge feierte - geschenkt.

In Kombination mit der kolportierten Sinnkrise, die das Blick-Interview in der öffentlichen Wahrnehmung gefestigt hatte, wurde Djokovic in eine Schublade gesteckt: Trainingsfaul, leidenschafts- und motivationslos mit dem Fokus auf unwichtige Dingen. Das alles wäre kein schönes Ende der 2016er-Staffel geworden.

Doch dürfen sich Fans des Serben 2017 auf "Novak", die Serie, freuen? Wird er sich bis zu den Australian Open im Januar und langfristig wieder heranpirschen an Murray?

Generell bleibt festzuhalten: Experten und Fans sind seit der Ära Federer extrem verwöhnt was das Thema Dominanz im Herrentennis angeht. Roger Federer, Rafa Nadal - und zuletzt eben der Djoker. Diese Spieler haben nicht nur große Turniere gewonnen. Nein, sie haben die Tour dominiert und den Rest der Profispieler zeitweilig wie Amateure aussehen lassen.

Entsprechend hoch ist der Maßstab, der an Djokovic gesetzt wurde und wird. Zwischenzeitlich schien es nur noch darum zu gehen, wann er den Slam-Rekord von Federer würde knacken können.

Djokers Maßstab ist jetzt ein anderer

Im November 2016 jedoch ist klar: Das war nicht das primäre Ziel des Serben. Sondern der Karriereslam, den er in Paris in diesem Jahr einheimste. Klar würde er gerne wieder zum Dominator aufsteigen und den Federer-Rekord knacken, aber nicht mehr um jeden Preis. Der Maßstab des Djokers an seine Karriere hat sich geändert. Und das gibt er auch unumwunden zu.

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Wenige Wochen nach den "Lustlos"-Aussagen ging er mit eigenen Schlüssen an die Öffentlichkeit: "Innere Freude und glücklich darüber zu sein, auf dem Platz zu stehen", darum gehe es ihm nun, gab Nole vor dem Turnier in Shanghai zu Protokoll. "Alles andere ist zweitrangig."

"Versuche optimalen Seelenzustand zu finden"

Der Grund klang plausibel und einfach: "Ich habe schon immer gesagt, dass es mir Spaß gebracht hat, einen Schläger in der Hand zu halten und Tennis zu spielen. Weil es darum geht, ein Spiel zu spielen. Zuletzt habe ich mich zu sehr gestresst, zu viel von mir erwartet. Und nicht nur ich, auch die Leute um mich herum. An einem bestimmten Punkt verlierst du dabei die Ausgeglichenheit. Und Ausgeglichenheit zählt im Leben enorm. Ich versuche momentan, meinen optimalen Seelenzustand wiederzufinden. Dieses Gleichgewicht, das einen mit Freude erfüllt."

Nach diesem bemerkenswerten Statement schaffte er es mit Mühe ins Halbfinale. Dort zog er gegen Roberto Bautista Agut den Kürzeren. Es folgten die Viertelfinal-Niederlage von Paris und der Verlust des Nummer-Eins-Status' an seinen Buddy Andy Murray.

Der Schotte hatte im Windschatten des Djokers seit Roland Garros eine beeindruckende Performance hingelegt. Im Stile eines Vielspielers verlor er seitdem nur ein Einzel auf der Tour und gewann vier Turniere in Serie. Der große Rückstand auf Djokovic in der Weltrangliste verwandelte sich in einen kleinen Vorsprung.

Der richtige Reiz?

Der (zwischenzeitliche?) Machtwechsel könnte der Reiz sein, den Novak Djokovic benötigt. Dafür, seinen Rhythmus und seine Balance wiederzufinden. Sein Spiel von 90 Prozent zurück an die absolute Leistungsgrenze zu heben. Zwar tat er in den vergangenen Wochen einiges dafür, doch das ist ein Prozess, für den es Zeit bedarf. Kurzfristig wird das nicht gelingen, dazu ist er nicht der Typ.

Der Djoker benötigt eine hohe Quote in den Grundlinienschlägen und das Selbstvertrauen, diese Eigenschaften mit einer Leichtigkeit fehlerfrei gegen jeden Gegner der Welt einsetzen zu können. Die fehlt ihm momentan auf allerhöchstem Niveau - das hat das Endspiel der ATP Finals eindrucksvoll gezeigt.

Und während hierzulande viel darüber diskutiert wird, ob der Tennisstar nun Boris Becker als Trainer absetzen wird oder nicht, hat Marian Vajda, der langjährige Technikcoach des Serben, der französischen Le Parisien ein bemerkenswertes Interview gegeben, in dem er das Jahr seit den French Open reflektierte: "Die absolute Fokussiertheit ist seitdem nicht mehr da. Um ganz oben zu bleiben, musst du jeden Tag mit der größtmöglichen Konzentration arbeiten, dazu war er jedoch nicht in der Lage. Deshalb hat es Andy Murray verdient, an der Spitze zu stehen."

Coach Vajda: "Werden in Australien bereit sein"

Für die nahe Zukunft sieht er Djokovic trotz allem gerüstet: "Er war jahrelang die Nummer eins und akzeptiert, dass er sie momentan verloren hat. Ihn motivieren eher die Grand Slams, jeder Champion will sie gewinnen. Er wird sich jetzt noch mehr um seine Gesundheit kümmern. Novak ist fast 30, wir können ihn nicht mehr drei Stunden über den Platz hetzen, deshalb werden wir die Vorbereitung anpassen.

Novak trainiere gerne, er werde bereit sein für die Australian Open, wird Vajda am Ende zitiert. Das darf getrost als sportliche Kampfansage verstanden werden.

Und um Sport soll es ja schließlich auch primär in der Realityshow 2017 gehen: "Meine Fans leiden und feiern auf den Tennisplätzen seit Beginn meiner Karriere mit mir. Nun möchte ich mit ihnen mein tägliches Leben und all das, was mir wichtig ist, teilen - meine Werte, meinen Glauben, meine Gewohnheiten. Außerdem möchte ich ihnen all die tollen Leute vorstellen, die um mich herum sind", sagte Djokovic über seine Show.

Für Fans und Zuschauer ist seine aktuelle sportliche Situation sicherlich ein besonderer Anreiz, um regelmäßig einzuschalten. Ob ein Kamerateam und die ständige Beobachtung den Djoker auf dem Weg zurück behindern oder gar fördern werden, wird spannend zu beobachten sein.

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