Die Transformation der Angie K.

Von Jannik Schneider
Zwei Grand-Slam-Titel, Silber bei Olympia. Das Jahr der Angelique Kerber kann sich sehen lassen
© getty

Angelique Kerber beendet das Tennisjahr 2016 - trotz Final-Niederlage bei den WTA-Finals als zweifache Grand-Slam-Siegerin und Nummer eins der Welt. Wie hat es die 28-Jährige nach drei Jahren als Außenseiterin in den Top Ten geschafft, alle zu überflügeln? Die Schlüsselmomente auf dem Weg nach ganz oben beginnen bereits im Oktober 2015. SPOX gibt einen Überblick.

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30. Oktober 2015: Kerbers bitteres Aus bei den WTA-Finals

Nur einen mickrigen Satzgewinn benötigt die deutsche Nummer eins im letzten Match, um bei der dritten Teilnahme erstmals die Vorrunde der WTA-Finals zu überstehen. Doch die 27-Jährige scheitert - wie so oft in den großen Matches seit ihrem erstmaligen Einzug in die Top Ten drei Jahre zuvor - am öffentlichen Druck und an den eigenen Erwartungen.

Kerber verliert 4:6, 3:6 gegen Lucie Safarofa und scheidet aus. "Diesem Druck habe ich nicht standgehalten, ich war mental schwach. So bin ich in den Urlaub gestartet, das war kein schönes Gefühl. Und da wusste ich, das soll mir nie wieder passieren in meiner Karriere", wird sie rückblickend im SPOX-Interview im Herbst 2016 sagen. Diese Niederlage ist der Startschuss einer für Außenstehende nicht mehr für möglich gehaltenen Transformation.

19. Januar 2016: Matchball gegen sich - Kerber dreht Erstrundenpartie bei Australian Open

Transformation? Der Japanerin Misaki Doi (Weltranglistenplatz 64) fehlt in der ersten Runde der Australian Open ein einziger Punkt, um die positive mentale Entwicklung von Angi Kerber im Keim zu ersticken. Doch der Matchball der Außenseiterin im Tiebreak des zweiten Satzes bleibt an der Netzkante hängen.

Die deutsche Fed-Cup-Spielerin behält die Nerven, dreht die Partie und sagt auf der anschließenden Pressekonferenz: "Ich war mit mehr als einem Bein schon wieder im Flugzeug nach Hause. Als ich den Matchball gegen mich hatte, habe ich den Reiz gespürt, jetzt alles zu drehen."

27. Januar 2016: Kerber schlägt Victoria Azarenka im Viertelfinale der Australian Open

Kerber wird ziemlich sicher Deutschlands Sportlerin des Jahres. Und in den vielen Jahresrückblicken werden wohl vornehmlich die Bilder aus dem gewonnenen Finale gegen Serena Williams gezeigt werden.

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Vielleicht noch einen Ticken wichtiger ist aber der Viertelfinal-Sieg gegen die zweifache Australian-Open-Siegerin Victoria Azarenka, gegen die sie bis dato eine Einzelbilanz von 0:7 - darunter mit dem verlorenen US-Open-Spiel das vielleicht beste Match des Jahres 2015 - vorzuweisen hat. Doch in der brütenden Hitze von Melbourne spielt die Deutsche groß auf und gewinnt mit 6:3 und 7:5 und erklärt danach: "Sie hat das Match nicht verloren, ich habe es gewonnen, weil ich bis zum Ende meinen Spielplan durchgezogen habe."

Der Sieg gegen ihre Angstgegnerin löst alle Blockaden. Kerber gewinnt drei Tage später mit 6:4, 3:6 und 6:4 das Finale gegen Williams und damit die Australian Open: Mit einem Glas Champagner in der Hand sagt sie in der Pressekonferenz: "Ich bin ein Grand-Slam-Champion, das klingt so verrückt. In diesen zwei Wochen hat sich alles geändert."

24. April 2016: Die deutschen Wochen der Angelique Kerber enden mit einem Porsche

Nach den Triumph in Australien prasselt viel auf "Fräulein Wunder" ein. Die gestiegene Aufmerksamkeit wird zum Problem. Denn Kerber sagt zu fast jedem Termin "ja". Es hagelt empfindliche Niederlagen im Fed Cup gegen die Schweiz sowie bei den Turnieren in Doha und Indian Wells.

Doch dann kommen ihre "deutschen Wochen". Zunächst steuert sie mit zwei Einzelsiegen erheblich zum Klassenerhalt im Fed Cup bei. Eine Woche später gewinnt sie das Heimturnier in Stuttgart. Kerber ist zufrieden. Der Sponsor ist zufrieden - in diesen Tagen präsentiert sich eine würdige deutsche Nummer eins.

24. Mai 2016: Erstrunden-Niederlage bei den French Open

Wettexperten scharren nach der Auslosung mit den Hufen - wittern das große Geld. Denn Kerber hat bei den Sandplatzturnieren nach Stuttgart kein Spiel mehr gewonnen. Ihre Gegnerin Kiki Bertens reist mit der Empfehlung eines Turniersieges in Nürnberg nach Paris. Die Quoten sehen dennoch die Australian-Open-Siegerin vorne.

Die Kombination mit dem Druck als Grand-Slam-Champion in Frankreich liefern zu müssen und zu wollen sowie den nasskalten Bedingungen, die ihrer angeschlagenen Schulter zusetzen, erweist sich als zu viel für Kerber. Sie verliert mit 3:6 im dritten Satz.

In der Folge wird sich Kerber zurückziehen, tritt erst drei Wochen später zum ersten Vorbereitungsturnier in Birmingham an. In der Heimat berät sie sich, will weniger Termine wahrnehmen. Ein weiterer wichtiger Schritt für die Entwicklung.

9. Juli 2016: Kerbers Erkenntnis nach dem Wimbledon-Finale gegen Serena Williams

Kerber zeigt beim wichtigsten Grand Slam des Jahres, dass sie zurecht zum Kreise der Topspielerinnen gehört, erreicht mit Konstanz das Finale. Das Endspiel gegen Serena Williams verliert sie mit 5:7, 3:6. Die Amerikanerin gewinnt ihren 22. Grand-Slam-Titel und schließt damit zu Steffi Graf auf.

"Ich habe gezeigt, dass Melbourne kein Zufall war", sagt Kerber, die sich endgültig in die Herzen der Zuschauer gespielt hat, anschließend.

13. August 2016: Kerber gewinnt Silber in Rio de Janeiro

Wie kaum eine andere Spielerin betont Kerber vehement, wie wichtig ihr die Olympischen Spiele sind. Auf den südamerikanischen Hartplätzen findet sie dann auch schnell ihren Rhythmus, erreicht mit großartigen Siegen das Endspiel.

Doch das Finale verliert die 28-Jährige gegen Monica Puig mit 4:6, 6:4, 1:6. Die Weltranglisten-34. spielt das Match ihres Lebens und gewinnt die erste olympische Goldmedaille für Puerto Rico überhaupt. "Es ist nicht die Medaille, die ich wollte, aber es ist Silber", sagt eine enttäuschte Kerber danach.

Doch ihren Status als Topspielerin stärkt sie vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande erneut. Das Finale verfolgen in der Spitze mehr als vier Millionen Menschen vor den Bildschirmen.

10. September 2016: US-Open-Sieg und Sprung an Spitze der Weltrangliste

Zwei Wochen zuvor verliert Kerber im Finale von Cincinnati gegen Karolina Pliskova und verpasst den Sprung auf Platz eins der Weltrangliste. Für Kritiker, die ihr den ganz großen Sprung nicht zutrauen und ihr mentale Schwäche vorwerfen, ein gefundenes Fressen.

Doch die Entwicklung ist nicht mehr zu stoppen. Beim letzten Grand Slam der Saison erreicht Kerber erneut das Finale. Bereits zwei Tage zuvor hatte sie durch die Halbfinal-Pleite von Serena Williams den Sprung an die Spitze der Weltrangliste sicher. Kerber ist damit die zweite Deutsche nach Steffi Graf, die den Platz an der Sonne erobert.

Doch Kerber gibt sich damit nicht zufrieden, dreht im Finale einen Rückstand und schafft die Revanche gegen Karolina Pliskova. Die Deutsche ist jetzt zweifacher Grand-Slam-Champion.

30. Oktober 2016: Kerber verliert das Finale der WTA-Finals

Während der gesamten Asien-Tour plagt sich Kerber erst mit Oberschenkel- später mit Schulterproblemen herum - frühe Pleiten sind die Folge. Drei Tage vor dem Beginn der WTA-Finals in Singapur gibt sie in einem Interview bekannt, ihren Turnier-Kalender für 2017 deutlich ausdünnen zu wollen.

Mit dieser Entscheidung und einer erneuten Anpassung ihres Spielstils - Kerber möchte noch einen Ticken offensiver werden und daran in der Winterpause feilen - gibt sie ein deutliches Signal an die Konkurrenz ab. Die Nummer-Eins-Position möchte sie so schnell nicht wieder hergeben.

In Singapur mobilisiert sie nochmals alle Kraftreserven, marschiert beeindruckend durch die Vorrunde und gibt im Halbfinale nur drei Spiele gegen Agnieszka Radwanska ab.

Im Endspiel gegen Überraschungsfinalistin Dominika Cibulkova erwischt Kerber allerdings einen gebrauchten Tag. Sie verliert mit 3:6, 4:6 und verpasst die Krönung - aber das Jahr bleibt golden. Mit 63:18 Siegen schließt sie es ab.

Dass sie das Jahr als Nummer eins beendet, war bereits vor Singapur klar. "2016 - das war alles der Wahnsinn!", sagt Kerber. Dem ist nichts hinzuzufügen.

WTA: Die Weltrangliste

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