Mehr als ein One-Hit-Wonder?

Von Jannik Schneider
Marcus Willis will in Zukunft noch öfter auf sich aufmerksam machen
© getty

Marcus Willis gelang im Sommer als Nummer 772 der Welt der märchenhafte Sprung aus der Vorqualifikation für Wimbledon hinein ins Zweitrunden-Karrierehighlight auf dem Centre Court gegen Roger Federer. Dann setzte ihn eine mysteriöse Leistenverletzung für Monate außer Gefecht.

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"Es ist ein unfassbarer Traum, der da wahr wird. Ich werde auf einem Stadion-Court spielen", sagte Marcus Willis vor dem Zweitrunden-Match des diesjährigen Wimbledon-Turnieres gegen Roger Federer und scherzte auf der Pressekonferenz: "Ich bin nicht sicher, ob er auf Rasen spielen kann." Es sollte - trotz einer klaren Dreisatzniederlage - sein nächster großer Auftritt in jenen märchenhaften Wochen im Juni 2016 werden.

Am 29. Juni ging der Traum auf dem Centre Court in Erfüllung. Direkt den ersten Satz sicherte sich Federer zwar mit 6:0. Doch obwohl der Schweizer sein überlegenes Spiel gnadenlos durchzog, schaffte es Willis eine elektrisierende Atmosphäre zu erzeugen. Jeder Punktgewinn wurde bejubelt. Als der talentierte Linkshänder den Maestro gar überlobte, nahm der Jubel Murrayähnliche Zustände an.

Mühsam zu erwähnen, wie laut es wurde, als Willis im zweiten Durchgang sein erstes Aufschlagspiel durchbrachte. 6:3 und 6:4 endeten zwar die weiteren Sätze zu Gunsten des ehemaligen Weltranglistenersten. Doch der Lokalmatador ließ sich für jedes Ass, für jeden Winner und für jeden erfolgreichen Netzangriff feiern.

Das Ergebnis war für den 26-Jährigen zweitrangig. Das Match gegen den Maestro war sein persönliches Karrierehighlight. Medien wie Fans hatten Gefallen am auf und außerhalb des Platzes so charismatischen und orthodox zugleich auftretenden Willis gefunden. Doch kaum ein Experte setzte deshalb nun große sportliche Erwartungen in ihn.

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Monate später, genauer gesagt in dieser Dezemberwoche, schlägt Willis fernab der kalten Insel bei durchschnittlich 24 Grad in Kairo auf. Future-Serie - die unterste Profiebene im Tennis. Es ist der dritte Auftritt seit den zauberhaften Tagen auf dem heiligen Grün. Hat Willis nichts gelernt? Hat sich seine Karriere seitdem nicht weiterentwickelt?

Willis wollte Karriere beenden

Willis hätte zu Beginn dieses Jahres wohl selbst nicht erwartet, dass er sich die Qualen der Future-Ebene nochmal antun würde. Mit Platz 23 in der britischen Rangliste sah Willis kaum Aussicht auf Erfolg und war drauf und dran seine Karriere zu beenden. Er hatte bereits ein Jobangebot aus den USA angenommen und war kurz davor, nach Übersee umzusiedeln.

Doch dann lernte er seine heutige Freundin Jennifer kennen. Sie überredete ihn seinen Traum noch nicht aufzugeben und dem aktiven Tennissport noch eine Chance zu geben. Auch, weil sie sah, dass er seinen Lebenswandel bereits in 2015 umgekrempelt hatte, professioneller wurde. Ihr Support sorgte dafür, dass sich eine erste Synthese aus besserer körperlicher Voraussetzung und seinem ohne Zweifel vorhandenen talentierten linken Händchen entwickelte.

Beim deutschen Regionalliga-Klub Marienburger SC in Köln sammelte er Siege und Selbstvertrauen. Über ein kleines britisches Turnier rückte er in die Nähe der Qualifikation zur Qualifikation für Wimbledon. Dann verpasste ein Landsmann einen Flug und Willis durfte spielen - und wie. Sechs atemberaubende Qualispiele gegen Spieler, die teilweise 500 Plätze vor ihm platziert waren, später traf er in der ersten Runde von Wimbledon auf Ricardis Berankis. Der Rest ist Geschichte.

Auftritte in der Yellow Press

An weiteren Turnierteilnahmen soll ihn im Saisonverlauf eine hartnäckige Leistenverletzung gehindert haben. Auftritte in Tennisclubs und kleinere Showevents waren für Willbomb90, wie Willis sich in den sozialen Medien nennt, jedoch drin.

Hinzu kamen nicht weniger als drei Pärchenauftritte in der britischen Yellow Press, im Hello! Magazin. Dort gaben Marcus und seine Jennifer unter anderem bekannt, dass sie im März Nachwuchs erwarten - und, dass sie sich recht sicher seien, das Baby nach dem Erstrundenerfolg in Wimbledon gegen Berankis gezeugt zu haben.

Um das Glück perfekt zu machen, erklangen im Herbst die Hochzeitsglocken. Auch hier sorgte das Magazin für standesgemäße Berichterstattung - gegen Bares versteht sich.

250-fache Gage

Für die Showmatches, die vielen Auftritte musste er Kritik einstecken. Manch einer war sauer, dass er seine dritte, ja vierte Chance nicht richtig ergreife - sein Talent verschwende. Schlicht zu viel Zeit mit anderen Dingen vergeude.

Bis zum Start bei den All England Championship hatte er im Jahr 2016 258 Pfund Preisgeld eingespielt. Ein Taschengeld, allerhöchstens.

Etwas mehr als 60.000 Euro hat Willis alleine mit dem Zweitrundeneinzug in London verdient. Das entspricht nahezu dem 250-fachen der vorherigen Gagen. Zudem merkte der Brite rasch, dass sich das große Interesse an seiner Person, seiner Geschichte und seiner Beziehung auch in ein paar Extra-Einnahmen umwandeln lassen würde. Das machte er sich geschickt zu nutze. Doch nicht nur für einen besseren Lebensstandard, sondern ebenfalls im Sinne seiner weiteren Karriere.

Veränderungen für den Erfolg

Denn die Verletzungspause, das berichtete im Oktober der Telegraph, könnte vom Briten selbst bewusst etwas ausgedehnt worden sein, um seinen Körper für einen langfristigen Angriff auf die vorderen Plätze der Weltrangliste vorzubereiten.

"Wenn ich auf die Tour zurückkehre, dann ohne Unterbrechung. Ich will spielen bis ich 33, 34 bin", erklärte der 26-Jährige damals. Er habe sieben Prozent Körperfett abgebaut, ein spezifisches Trainingsprogramm aufgestellt - inklusive Ernährungsplan und Trainingsplan. "Außerdem habe ich die Bewegungsabläufe aufnehmen lassen und Einlagen erhalten, mit denen ich eine bessere und effektivere Körperhaltung erreicht habe." Willis ließ all die Dinge anklingen, die für Profis eine Selbstverständlichkeit sein sollten und deren Anfänge er bereits 2015 ins Rollen gebracht hatte.

Denn einer der Punkte, die Kritiker gerne verschweigen: Willis hatte schon lange vor dem Wimbledonmärchen genug von Übergewicht, regelmäßigen Discobesuchen und langwierigen Knieverletzungen aufgrund von Fehlhaltungen.

"Habe mir den Sieg verdient"

In all dem Trubel um seine Person ging dabei Eines besonders unter: Der Linkshänder verfügt über ein fabelhaftes Winkelspiel mit allerlei Slicevarianten und einem bockstarken Service.

"Ich habe in Wimbledon einen Top-50-Spieler in glatten Sätzen besiegt - nicht mit Augen zu und durch. Ich habe mir den Sieg damals verdient", sagte er rückblickend. Er wolle die körperlichen Voraussetzungen schaffen, dieses Potential regelmäßiger abrufen zu können.

Die große Bühne lockt

Bei den Erste Bank Open in Wien Ende Oktober, für das Willis ob seines guten Rufs eine Wildcard für die Qualifikation erhielt, konnte er diesen Nachweis noch nicht in Gänze antreten. In der ersten Qualifikationsrunde ging ihm bereits im zweiten Satz sichtbar die Puste aus. Willis verlor im dritten Satz. Doch trotz der noch offensichtlichen Schwächen, sah Willis schon recht drahtig aus.

Am nächsten Tag durfte er bei einem Promoturnier in selbiger Halle antreten. In sogenannten Matchtiebreaks bis zum zehnten Punkt duellierten sich Andy Murray, Jo-Wilfried Tsonga, Dominic Thiem, Marin Cilic, Tommy Haas, Goran Ivanisevic und eben Willis um ein Preisgeld von 250.000 US Dollar.

Willis war anzumerken, dass er die große Bühne zwar genoss, ihm aber Stabilität und Matchpraxis auf höherem Niveau gänzlich fehlten. Nach dem Vorrundenaus folgten weitere Trainingswochen in der Heimat, mit der Erkenntnis, sich Selbstvertrauen auf der untersten Profiebene holen zu wollen.

Wieder am Anfang

"Ich bin mir auch in Zukunft nicht zu schade, Futures zu spielen. Aber langfristig will ich mehr und mehr bei Challenger und Qualifikationen für ATP-Turnieren aufschlagen", erklärte er.

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Wirklich schön sind Future-Events allerdings nicht. Die Ebene ist harter Tobak und in etwa vergleichbar mit der Regionalliga im Fußball. Nur mit wesentlich schlechteren Rahmenbedingungen. In Kairo diese Woche geht es um 27 Weltranglisten-Punkte. Gewinnt er das Turnier, bleiben circa 1000 Euro Preisgeld übrig.

Willis will um seine Chance kämpfen

Das gelang vor zwei Wochen eindrucksvoll beim Future-Turnier-Sieg in Kuwait - ohne Satzverlust. In der Weltrangliste kletterte er zur Belohnung um drei Plätze auf Rang 442. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

Aufgrund dem Mehr an Einnahmen, für deren Akquise er teilweise kritisiert wurde, finanzierte er sich nun den weiteren Aufenthalt und schlägt in Kairo auf. Es wird das letzte Turnier des Jahres sein. Aber nicht seiner Karriere.

Willis hat verstanden. Er kämpft um seine Chance - mit Nachhaltigkeit. "Ich habe ja auch gemerkt, dass es die Menschen gibt, die sich nicht mit dir freuen, die hinter meinem Rücken reden. Jene, die vielleicht eifersüchtig sind, weil ich mich für Wimbledon qualifiziert habe und gegen Federer spielen durfte." Nicht viele hätten das in ihrer Laufbahn geschafft, "erst recht nicht von Platz 770 aus." Er wolle beweisen, dass er eindeutig weiter klettern könne, um neue Chancen zu erhalten. Vielleicht schon in der einen oder anderen Qualifikation 2017.

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