Australian Open: 3 Gründe für Alexander Zverevs Aufschwung

Alexander Zverev steht bei den Australian Open zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Halbfinale.
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Alexander Zverev hat bei den Australian Open in Melbourne zum ersten Mal in seiner Karriere das Halbfinale bei einem Grand Slam erreicht. Am Freitag trifft der 22-Jährige auf Dominic Thiem (Fr., 9.30 Uhr live im Eurosport-Channel auf DAZN und im LIVETICKER). Wie kann es sein, dass Zverev aus dem Nichts on fire ist, nachdem noch vor zwei Wochen niemand einen Pfifferling auf ihn gesetzt hätte? SPOX nennt die Gründe für Zverevs plötzlichen Aufschwung und gibt einen Ausblick aufs Thiem-Match.

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Alexander Zverev: Eine neue Einstellung

Zverev gab nach seinem Viertelfinal-Sieg gegen Stan Wawrinka einen interessanten Einblick in sein Innenleben. Warum war er in der Vergangenheit in der Lage die ATP World Tour Finals und Masters-Series-Events zu gewinnen, hatte aber Probleme, bei Grand Slams eine ähnliche Leistung abzurufen?

"Ich wollte es bei den Grand Slams in gewisser Weise zu sehr. Ich war zu professionell. Fast zu fokussiert. Ich habe in Grand-Slam-Wochen kaum mit jemandem geredet, bin nie ausgegangen oder habe schön zu Abend gegessen. Das habe ich jetzt versucht zu verändern. Ich habe hier jetzt viel mehr außerhalb des Courts gemacht", erzählte Zverev.

Ein weiterer Vorteil für Zverev: Nach seinen Horror-Auftritten zu Beginn des Jahres beim ATP Cup hatte nicht nur die gesamte Tennis-Welt keinerlei Erwartungen an ihn beim ersten Grand Slam des Jahres - vor allem er selbst hatte keine und rechnete selbst nicht damit, am Ende der zweiten Woche noch im Turnier zu sein. Es hat ihn offensichtlich befreit.

Alexander Zverev: Oha, der Aufschlag kommt

"Der zweite Aufschlag ist der Blick in die Seele eines Tennisspielers." Philosoph und Eurosport-Experte Boris Becker brachte es 2019 bei den US Open auf den Punkt, nachdem Zverev auch wegen 17 Doppelfehlern im Achtelfinale an Diego Schwartzman gescheitert war.

Zverevs Service war 2019 ein riesiges Problem - und Anfang 2020 beim ATP Cup wurde es sogar noch schlimmer. 31 Doppelfehler in 31 Aufschlagspielen waren eine dramatische Bilanz.

Zverev sagt zwar: "Aber ich hatte dort nicht nur mit meinem Aufschlag Probleme. Ich hatte Probleme mit allem: mit meiner Vorhand, mit meiner Rückhand, meinem Stopp, meinem Slice, meinem Return und dem Aufstehen am Morgen."

Das mag sicher stimmen, aber auch Zverev weiß, dass sich sein Spiel extrem über den Aufschlag aufbaut. Kommt der Aufschlag, kommt der Rest im Normalfall nach. Dann gehört er auch zu den Besten der Welt.

Und was soll man zu Zverevs Service-Bilanz in Melbourne sagen? Er hat in fünf Spielen gerade mal elf Doppelfehler fabriziert (bei 56 Assen) und er bringt vor allem bärenstarke 79 Prozent seiner ersten Aufschläge ins Feld und liegt damit in dieser Kategorie an der Spitze des gesamten Feldes. So benötigt er natürlich auch gar nicht viele zweite Aufschläge ...

Alexander Zverev: Er ist im Flow

Was musste sich Zverev gerade nach dem ATP-Cup-Debakel wieder alles anhören? Es ist jetzt endlich an der Zeit, dass er sich einen neuen Trainer sucht und sein Vater nicht mehr die alles entscheidende Rolle spielt. Die Südamerika-Tournee mit Roger Federer war ein Fehler. Alles war schlecht.

Aber Zverev blieb ruhig und realisierte, was er jetzt braucht: Training. Ganz einfach: Training. In der Woche vor Melbourne gönnte sich Zverev drei Einheiten pro Tag - fünf bis sieben Stunden stand er täglich auf dem Court.

Bei Zverev galt schon immer, dass er sich sein Selbstvertrauen übers Training holen muss. Sitzt der Aufschlag im Training, nimmt er dieses gute Gefühl in der Regel auch ins Match mit. Und im negativen Fall gilt das eben auch.

Zverev gelang es über die intensive Trainingsarbeit, sich bis zum Start des Turniers so zu steigern, dass er sich selbst die Chance gab, ins Turnier reinzukommen und im Verlauf von Match zu Match zu steigern.

Denn auch das gehört zur Wahrheit: Gerade bei den Jungstars hängt es entscheidend davon ab, wie sie im Turnier in einen Flow kommen. Zverev konnte sich in den ersten Runden so reinspielen und dabei im Gegensatz zu früheren Slams wenig Energie verbrauchen, dass er im Achtelfinale im Match gegen Andrey Rublev, den heißesten Spieler auf dem Circuit in den vergangenen Monaten, genau rechtzeitig voll da war und eine bärenstarke Vorstellung abliefern konnte.

Jetzt steht Zverev im Halbfinale und US-Open-Finalist Daniil Medvedev oder ATP-Champion Stefanos Tsitsipas, die ihn doch alle schon längst überholt hatten, schauen nur noch am Fernseher zu.

JahrTurnierBelagRundeSiegerErgebnis
2019ATP FinalsHartplatz (Indoor)SemifinaleThiem7:5, 6:3
2018Roland GarrosSandplatzViertelfinaleThiem6:4, 6:2, 6:1
2018Masters MadridSandplatzFinaleZverev6:4, 6:4
2017RotterdamHartplatz (Indoor)Letzten 32Thiem3:6, 6:3, 6:4
2016BejingHartplatz (Outdoor)Letzten 32Zverev4:6, 6:1, 6:3
2016Roland GarrosSandplatzLetzten 32Thiem6:7(4), 6:3, 6:3, 6:3
2016NizzaSandplatzFinaleThiem6:4, 3:6, 6:0
2016MünchenSandplatzSemifinaleThiem4:6, 6:2, 6:3

Halbfinal-Ausblick: Wie stehen die Zverev-Chancen gegen Thiem?

Im Head-to-Head führt Thiem mit 6-2, darunter waren auch zwei Grand-Slam-Duelle bei den French Open. 2018 sah Zverev im Paris-Viertelfinale überhaupt kein Land und verlor 4:6, 2:6, 1:6.

Was ist dieses Mal zu erwarten? Grundsätzlich muss man den Österreicher leicht favorisieren, nicht nur wegen seines Gala-Auftritts gegen Rafael Nadal im Viertelfinale. Thiem ist vier Jahre älter und dadurch auch insgesamt weiter in der Entwicklung. Er stand schon in zwei Grand-Slam-Finals in Roland Garros.

Thiem ist eindeutig der Spieler nach den Big 3, der fällig ist für seinen ersten Grand-Slam-Titel. Eigentlich schien die Asche von Paris auch der logische Ort für Thiems ersten ganz großen Triumph, aber wer seine Hardcourt-Form in den vergangenen zwölf Monaten mit mehreren Turniersiegen anschaut, den würde auch ein Titel in Melbourne keinesfalls mehr überraschen.

Zverev wird gerade gegen den so returnstarken Thiem (niemand hat in Melbourne mehr Punkte nach dem ersten Aufschlag des Gegners gemacht) - natürlich - extrem gut servieren müssen, dann hat er eine Chance, das Match mindestens mal sehr eng zu halten.

Für Thiem wird es vor allem eine mentale Herausforderung, weil er gerade nach dem Sieg gegen Nadal weiß, dass es sein Turnier ist. Er muss das Match mehr gewinnen als Zverev - nicht einfach für den Kopf. Aber die Tendenz geht trotzdem knapp Richtung Österreich ... Prognose: Thiem in 4.

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